Klinsmanns 302 Trainertage beim FC Bayern „Wir dachten, mit dem Jürgen verlieren wir kein Spiel mehr“

Die Münchner treffen gegen Hertha auf ihren Ex-Coach. 2008 wollte Jürgen Klinsmann den FC Bayern umkrempeln. Das Experiment war aufregend - und schnell beendet. Was ist von damals übrig geblieben?
Aus München berichtet Florian Kinast
Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann (rechts) und zwei Fans in Tracht nach der 2:5-Niederlage gegen Bremen im September 2008: „Wir waren überzeugt, das ist der richtige Mann für die Zukunft“

Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann (rechts) und zwei Fans in Tracht nach der 2:5-Niederlage gegen Bremen im September 2008: „Wir waren überzeugt, das ist der richtige Mann für die Zukunft“

Foto: A3419 Stefan Puchner/ dpa

Auch Claudia Roth äußerte sich noch zu dem Thema des Tages. Die Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen brachte es vor laufenden Kameras mit einer messerscharfen Analyse auf den Punkt. „Es zeigt sich, dass kein Buddha hilft und keine Millionen helfen. Wenn man zuhause gegen Schalke verliert, dann ist das das Ende.“ Es gab weitere Reaktionen: von Olaf Scholz und Günther Oettinger, von Mario Basler und Thomas Schaaf. Die ARD sendete nach der Tagesschau einen „Brennpunkt“, 20.15 Uhr mit Gerhard Delling. Brennpunkt-Sondersendungen gab und gibt es immer zu dramatischen Ereignissen. Der Amoklauf von Winnenden, Erdbeben in Haiti, Bomben auf Bagdad. Anlass der Sendung am 27. April 2009 war die Entlassung eines Übungsleiters bei einem Münchner Fußballverein. Jürgen Klinsmann, der beim FC Bayern eine große Ära prägen sollte, war doch nur eine kurze Episode geblieben. Das Ende kam nach 302 Tagen.

An diesem Sonntag trifft der FC Bayern beim Spiel gegen die Hertha auf seinen Ex-Trainer, und mag die Beziehung zwischen Klinsmann und den Bayern einst ein Missverständnis gewesen sein: Man macht es sich zu leicht, Klinsmann, wie es gern dargestellt wird, als kompletten Fehlgriff hinzustellen, als totales Fiasko, als größten Flop der Klubhistorie. Klinsmanns Vermächtnis sieht und spürt man an der Säbener Straße bis heute noch.

Wie sehr hatten sich die Klub-Granden damals selbst gefeiert für ihren Coup, wie stolz waren Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß, als sie am 11. Januar 2008 im Saal „Garmisch“ des Münchner Sheraton-Hotels Klinsmann als nächsten Trainer präsentierten, als Nachfolger des im Sommer scheidenden Ottmar Hitzfeld. Die Bayern-Bosse, selbst noch berauscht von 2006, im Glauben, Klinsmann könnte in München eine ähnliche Euphorie entfachen wie einst bei der Heim-WM. Klinsmann, Messias, Heilsbringer, Sommermärchen-Onkel.

Lässig, hip, kalifornisch 

„Wir waren überzeugt, das ist der richtige Mann für die Zukunft“, erinnert sich einer, der damals eng mit Klinsmann zusammenarbeitete, „wir dachten: Mit dem Jürgen verlieren wir kein Spiel mehr.“ Mehr noch, Klinsmann sollte dem FC Bayern ein ganz neues Image verschaffen, lässig, hip und kalifornisch, Huntington Beach in München-Harlaching.

Und tatsächlich krempelte Klinsmann in der Klubzentrale erst einmal alles um. Von US-Topklubs aus NBA und NFL inspiriert installierte er viele Innovationen mit vielen Anglizismen: Player-Lounges und Family-Rooms, für Sprachkurse gab es den E-learning-Room, für ihn und seinen Staff das Coaches Office. In den Spielerspinden zeigten Messageboards den Profis den Ablauf ihres Achtstundentages. Klinsmann ließ ein Kino bauen mit 39 Plätzen, Leinwanddiagonale 2,8 Meter, dahinter fünf Kabinen für Simultandolmetscher. Eine Bibliothek mit Büchern von Amos Oz und Oscar Wilde, Kurt Tucholsky und Thomas Bernhard. Hesse, Kafka, Grass. Krass. „Jürgen wollte den kompletten Profi kreieren“, heißt es in der Rückschau aus der Klubzentrale, „nicht nur mit Ball am Fuß, sondern auch mit Wissen im Kopf. Und bei den Spielern kam das alles erst einmal auch sehr gut an.“

Ein moderner fensterloser Medienraum für die Journalisten-Gespräche löste das altehrwürdige Pressestüberl ab, in dem einst Giovanni Trapattoni die Frage aufwarf "Was erlauben Strunz?". Oben auf dem Dach lud eine Terrasse mit Rattanmöbeln und Sonnensegel zum Verweilen, und dann gab es eben noch die Buddha-Statuen. In gold und weiß, liegend und im Schneidersitz. Mag sich Klinsmann wie zuletzt bei seiner Präsentation als Hertha-Trainer inzwischen davon distanzieren und behaupten, mit den Buddhas habe er nichts zu tun gehabt: Damals war er von der Idee seines zuständigen Innenarchitekten Jürgen Meißner begeistert, Klinsmann konstatierte den Statuen einen „gewissen Energiefluss.“ Ein Fluss, der aber recht bald versiegte.

Der Zauber verflüchtigte sich bald  

Denn das große Problem, so hört man, sei von Beginn an sein Co-Trainerteam gewesen, zu groß, zu aufgebläht, vor allem zu überfordert. „Die kannten sich hier im Profigeschäft überhaupt nicht aus“, heißt es, „die waren der Bundesliga einfach nicht gewachsen.“ Und mehr noch, es nahm sie keiner ernst, die Klinsi-Kumpels Martin Vasquez und Nick Theslof, Marcelo Martins und Darcy Norman. Theslofs beachtliche Qualifikation etwa: Er war mal Trainer beim Verein Orange County Blue Star, als Klinsmann dort unter seinem Pseudonym Jay Goppingen kickte. Dritte Liga, USA.

Klinsmanns Zauber verflüchtigte sich recht bald. Schon beim allerersten Auftritt nach Amtsantritt im Juli 2008 gab es Misstöne, als er sich vom Blitzlichtgewitter der Kameras gestört fühlte und die Fotografen geschlossen den Presseraum der Münchner Arena verließen. Störgeräusche gab es letztlich an allen Fronten. Mit den Spielern, als er Kapitän Mark van Bommel zum Reservisten degradierte. Mit den Klubbossen, weil die Ergebnisse ausblieben und ein wirklich ausgefeiltes taktisches Konzept nicht zu erkennen war. Mit Münchner Bürgern und Politikern, die kritisierten, durch die Buddhas würden die Spieler einem anderen Glauben unterworfen, im September 2008 kamen die Statuen daher weg. Und mit den Fans von Anfang an.

Drei Wochen vor seinem Rauswurf zeigte sich seine Entfremdung, als er sagte: „Ich bin hier seit Tag eins empfangen worden, als der, der bei der Nationalelf den Sepp ersetzt hat und der den Oliver vor der WM auf die Bank setzte.“ Den Umgang mit den Klublegenden Maier und Kahn beim DFB hatten sie ihm in München nie verziehen. Nach dem 0:1 gegen Schalke war Klinsmann Ende April 2009 beim FC Bayern Geschichte.

"Es war die Grundlage für das, was wir heute hier haben“

Und was ist geblieben? Die Bibliothek nicht, genauso wenig wie der E-learning-Room. Die meisten Räume wurden im Lauf der Jahre weiter modernisiert, die Players Lounges wanderten samt Kantine eine Etage tiefer, das Auditorium wird noch genauso genutzt wie der Medienraum für die wöchentlichen Pressekonferenzen. Mag es nicht mehr der große Geist von Klinsmann sein, der omnipräsent und allzeit über der Säbener Straße schwebt, ein Hauch von ihm ist in jedem Fall geblieben. Auch wenn seine Ideen und Visionen deutlich zu überambitioniert waren: Als Antreiber und Anschieber hat Klinsmann einen wichtigen Grundstein für eine moderne Klubzentrale gelegt, so wie sie in ihrem physischen Kern heute noch besteht. Der Weggefährte von damals sagt: „Es war die Grundlage für das, was wir heute hier haben.“

Unbestritten war die kurze Episode von damals weit mehr als nur ein kleines Lichtspieltheater mit 39 Plätzen. Klinsmann bei Bayern, das war wirklich ganz großes Kino.

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