Finalverlierer Liverpool Klopp, der Silberrücken
Es gibt diesen speziellen Liverpooler Reflex, der in schmerzhaften Momenten Linderung verschaffen soll.
Die Menschen aus der englischen Hafenstadt, deren Herz an ihrem großen Fußballverein hängt, fangen an, ihr berühmtes Lied "You'll Never Walk Alone" zu singen, doch nach dem frustrierenden 1:3 (1:0) gegen den FC Sevilla im Europa-League-Finale wollte nicht einmal dieses heilsame Ritual gelingen.
Nur ganz kurz erhob sich die wärmende Melodie, als es in den letzten Minuten der trostlosen zweiten Halbzeit nichts mehr zu gewinnen gab. Aber der Song ging dann schnell unter im lärmenden Jubel der Spanier, die ihren dritten Europa-League-Triumph in Folge feierten. Nach dem Abpfiff flüchteten die meisten Liverpooler ganz schnell in ihre Hotels oder in eine Kneipe, auf der Suche nach wirksameren Mitteln gegen den Schmerz.
Dieser Fluchtweg stand Jürgen Klopp nicht offen. Der deutsche Trainer bekam wieder einmal eine Silbermedaille umgehängt, es war seine fünfte Finalniederlage in Folge - eine unheimliche Serie. "Ich glaube nicht, dass Gott geplant hat, dass ich diese Endspiele erreiche und dann immer verliere", sagte er später. Er wirkte ziemlich ratlos und floskelte: "Es gibt Schlimmeres im Leben."
"Keine Fehlentscheidung zu meinen Gunsten"
Aber ein paar mahnende Worte an das Schicksal wollte Klopp dann doch noch loswerden. Ja, er habe "das eine oder andere Finale verloren in den letzten Jahren", sagte er und schimpfte: "In all diesen Spielen ist keine Fehlentscheidung zu meinen Gunsten ausgefallen. Das wird sich auch ändern!"

An diesem Abend aber waren es die Spanier, die von den Entscheidungen der Schiedsrichter profitierten. Zweimal hatten sie den Ball während der ersten Halbzeit im eigenen Strafraum mit der Hand gespielt, außerdem gab es ein elfmeterwürdiges Foul, doch die Pfeife des schwedischen Unparteiischen blieb jeweils stumm. Zwar war keine dieser Szenen ganz einfach erkennbar, aber dass alle Urteile gegen Liverpool ausfielen, kann man schon als Pech bezeichnen.
"Das Spiel war eng", sagte Klopp, und in solchen Duellen brauche man eben auch mal "etwas Glück", wobei der 48-Jährige bemüht war, die Gründe für die Niederlage nicht allein in diesen umstrittenen Momenten zu suchen. "Am Anfang steht immer die Selbstkritik", sagte er, auch Klopp hatte natürlich gesehen, dass am Ende ein verdienter Sieger den Pokal in den verregneten Basler Nachthimmel hievte.
Die erste Halbzeit sei noch okay gewesen, erläuterte Klopp, wobei in diesen ersten von Fehlern und Ungenauigkeiten geprägten 45 Minuten keines der beiden Teams wie ein würdevoller Europapokalsieger gespielt hatte. Nur das 1:0 von Daniel Sturridge war Weltklasse. Doch als Kévin Gameiro dann in der ersten Minute der zweiten Halbzeit das 1:1 erzielt hatte, brach etwas zusammen im Spiel der Engländer.
Das schnelle 1:1 war der "Schlüsselmoment"
Eigentlich seien während der Pause in der Kabine "genau die richtigen Sachen besprochen worden", sagte Kapitän James Milner, "aber wir haben nichts davon umgesetzt." Klopp sprach von einem "Schlüsselmoment", denn mit dem Gegentor ging auch bei den Fans etwas kaputt. "Wir hatten bis zum 1:1 eine großartige Atmosphäre", sagte Klopp, "danach änderte sich alles." Irgendwann versuchte er die Tribüne mit den lautesten Liverpooler Fans zu weiterem Support zu motivieren, aber es gab keine erkennbare Reaktion, der ganze Klub schien irgendwie gelähmt zu sein.

"Wir sind in dieser Saison so oft nach Rückständen zurückgekommen", rief Milner in Erinnerung, "aber an diesem Abend war das irgendwie nicht möglich." Coke schoss das 2:1 und das 3:1, während die Engländer keine einzige Torchance mehr hatten. Am Ende steht daher die Erkenntnis, dass dieser FC Liverpool noch nicht reif ist für einen solch großen Titel.
In der Europa League habe die Mannschaft einige Male "overperformed", verkündete Klopp noch, an diesem Abend nicht. Nun haben sie ein ganzes Jahr Zeit, die vielen Europapokalwochen für seine Entwicklungsarbeit zu nutzen, denn nur mit einem Sieg in der Europa League hätte der FC Liverpool an der kommenden Champions-League-Saison teilnehmen dürfen.
Die freie Zeit wird helfen, Einzelspieler besser zu machen und das Mannschaftsspiel zu verfeinern, allerdings auf Kosten neuer internationaler Erfahrungen. Und vermutlich werden auch einige umworbene Spieler im Sommer lieber zu einem anderen Klub wechseln, denn welcher Star will schon zu einem Verein, der dienstags, mittwochs und donnerstags trainiert, statt sich im schillernden Licht des Europapokals feiern zu lassen?
Jetzt müsse die Mannschaft "die Zeit und die Erfahrung, die wir gemacht haben, nutzen", forderte Klopp, irgendwann werde dieser Abend womöglich als Meilenstein in einer großen Entwicklung erinnert werden. Das mag sein, aber dieses Spiel hinterließ den Eindruck, dass dieser Moment noch sehr weit weg ist.