BVB-Nationalspieler Brandt Nur dabei statt mittendrin

Julian Brandt ist einer der besten deutschen Fußballer. Das macht ihn nicht zum Stammspieler – weder beim BVB noch im Nationalteam. Dabei sollte seine Art zu spielen mehr gefördert werden.
Julian Brandt hat einen der besten ersten Ballkontakte in der Bundesliga

Julian Brandt hat einen der besten ersten Ballkontakte in der Bundesliga

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Martin Rose / Getty Images

Beim Streamingdienst DAZN wird eine Serie über Borussia Dortmund angeboten. "BVB 09 Stories – who we are"  heißt das Format. Es soll nah dran sein, Geschichten aus dem Innenleben des Klubs werden erzählt, Spieler kommen ausführlich zu Wort. Eine Dokumentation, die wohl auch im hauseigenen Sender BVB TV laufen könnte. Kritische oder gar brisante Themen spielen kaum eine Rolle oder werden wohlwollend aus der Sicht des Vereins erzählt.

Und doch gibt es Zitate, die mehr erzählen, als vermutlich geplant war. In der zweiten Folge stehen Mahmoud Dahoud und Julian Brandt im Mittelpunkt. Beide spielen im Mittelfeld, sie sind 24 Jahre alt und gelten als große Talente – auch für die Nationalmannschaft. Beide eint obendrein die Tatsache, dass sie trotz ihrer herausragenden Fähigkeiten keine Stammspieler in Dortmund sind – das könnte für das Duo auch am Abend im Topspiel gegen den FC Bayern (18.30 Uhr Liveticker SPIEGEL.de; TV: Sky) zwei Bankplätze bedeuten. In den "BVB-Stories" erzählen Dahoud und Brandt, wie sie mit ihrer Situation umgehen.

Brandt kann ein Unterschiedspieler sein

Brandt schien in der vergangenen Saison schon mal weiter zu sein. Er stand in 26 seiner 33 Bundesligapartien für den BVB in der Startelf, dabei war er an elf Toren beteiligt. In die Richtung unumstritten ging es für Brandt, als er ins zentrale Mittelfeld wechselte. Wenn er das Spielfeld vor sich hat, wenn er die Angriffe mit direkten Ballkontakten beschleunigen kann, wenn er den Ball im Zentrum vorantreiben kann – dann ist Brandt ein Unterschiedspieler.

Dabei steht sich der ehemalige Leverkusener beizeiten aber auch selbst im Weg. Als Achter darf man sich – insbesondere in einer so dominanten und hochstehenden Mannschaft wie Borussia Dortmund – kaum Abspielfehler erlauben. "Es lockt mich", sagt Brandt in der DAZN-Serie, "auf dem Spielfeld Sachen zu machen, wo jeder sagen würde, ich gehe jetzt den sicheren Weg. Mag ich nicht so." Das Risiko ist wesentlicher Bestandteil von Brandts Spiel. Böse Zungen nennen es Unkonzentriertheiten. Es ist auffällig, dass ihm gerade bei den ersten Kontakten, also den Pässen, die er beim BVB mit am besten beherrscht, Fehler unterlaufen.

Mit Risiko zu spielen – letztlich sollten solche Spielertypen viel mehr gefördert werden. Und doch ist es gerade in Dortmund so, dass Ballsicherheit unerlässlich ist. In der vergangenen Saison bekam der BVB insgesamt zu viele Gegentore (41) – speziell nach Ballverlusten – und gab gegen zu viele vermeintlich kleine Gegner Punkte ab. In dieser Saison spielte das Team von Trainer Lucien Favre in fünf von sechs Bundesligapartien zu null. Es ist auffällig, wie wenig Torchancen der BVB zuletzt zugelassen hat. Favre setzt im defensiven Mittelfeld lieber auf Axel Witsel, Jude Bellingham oder Thomas Delaney. Brandt ist der beste Fußballer in diesem Quartett – und doch gibt es keinen Platz für ihn.

Mal hier, mal da, aber nie fest

Bräuchte es eine Beschreibung von Brandts Karriere, würde es wohl darauf hinauslaufen: Außerordentlich begabt, zu wenig anerkannt. Als 17-Jähriger war Brandt aus der Jugend des VfL Wolfsburg nach Leverkusen gewechselt. Jahr für Jahr steigerte er seine Einsatzzeiten. Unter insgesamt sechs Trainern spielte Brandt mal links, mal rechts, mal im offensiven Mittelfeld, mal als hängende Spitze. Unumstritten war er aber auch im Werksklub nicht.

Um zu verstehen, warum Brandt nicht immer spielt und keine feste Position hat, hilft ein weiteres Zitat aus der BVB-Dokumentation. "Wenn ein Trainer zu mir kommt und sagt, du spielst auf der Position, du machst genau das, und du musst nach dem Muster spielen – das wäre für mich der Horror", erzählt Brandt. "Unser Coach ist an dem Punkt angelangt, dass er zu mir sagt: 'Das ist deine Position, aber lauf rum, wo du willst.'" Auch wenn er einschränkend "natürlich offensiv" hinterherschiebt: Brandt ist ein Freigeist, ein Individualist, der von seinen Mitspielern mitgetragen werden muss.

Im DFB-Team auch kein Stammspieler

Beim DFB suchen sie eigentlich genau solche Spieler. Zumindest in der Ausbildung. Im Jugendfußball soll in Zukunft wieder mehr Wert auf Dribblings, auf das Lösen von Eins-gegen-eins-Situationen gelegt werden – und weniger auf Taktik oder perfektes Passspiel. In den U-Nationalmannschaften hinkt Deutschland qualitativ hinterher, das soll sich mittelfristig wieder ändern. Brandt könnte ein Pionier dieser Entwicklung sein – und doch ist er auch im Nationalteam unter Bundestrainer Joachim Löw nur die Nummer 13 oder 14. In 33 Länderspielen kam Brandt 19 Mal von der Bank.

Brandts Dilemma wird sowohl in Dortmund als auch im DFB-Team um einen Aspekt erweitert: die starke Konkurrenz. Beim BVB sind das in der Offensive Jadon Sancho, Marco Reus, Giovanni Reyna und Thorgan Hazard, in der Nationalmannschaft heißen die Spieler Kai Havertz, Timo Werner, Serge Gnabry, Leon Goretzka oder Julian Draxler. In beiden Teams wird er dadurch häufig auf die Außenposition verdrängt, dorthin, wo seine Stärken nicht so zum Tragen kommen.

"Ich bin sehr entspannt", antwortet Brandt auf die Frage nach seinen Einsatzzeiten und verweist auf seine 42 Pflichtspiele beim BVB in der vergangenen Saison. Entspannt sein – auch das ist Julian Brandt.

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