Real-Star Karim Benzema Einer der Größten seiner Zeit

Behauptet sich gegen alle: Karim Benzema, 32 Jahre, von Real Madrid
Foto: Daisuke Nakashima/ AFLOSPORT/ imago imagesViele Fußballer werden an der Seite von Cristiano Ronaldo besser. Dass es ohne den Superstar in die andere Richtung gehen kann, konnte man bei Real Madrid in der Saison 2018/2019 sehr gut beobachten. Als der Portugiese die Königlichen vor jener Spielzeit verließ, endete das Jahr für den dreifachen Champions-League-Sieger in Serie in einer Demütigung: Achtelfinal-Aus in der Königsklasse, abgeschlagen in der spanischen Liga.
Dass Real heute wieder ganz oben steht in Spanien, liegt allerdings an einem Spieler, der immer schon sehr gut war, nach dem Abgang Ronaldos aber noch einen kleinen, den entschiedenen Sprung gemacht hat: Es liegt an Karim Benzema und an den 21 Treffern und acht Torvorlagen des 32-Jährigen. Dass sein Team am Abend (21 Uhr, Liveticker SPIEGEL.de) noch auf den Einzug in das Viertelfinale der Champions League hoffen darf - allerdings nur mit Außenseiterchancen nach dem 1:2 im Hinspiel gegen Manchester City -, ist auch mit der Form des Franzosen zu begründen. Und mit seiner neuen Rolle.
Benzema war jahrelang der Schatten und Zuarbeiter für Ronaldo, der wie der Franzose 2009 nach Madrid gekommen war. Aber nun wird allein Benzema zugearbeitet. Er ist zum zentralen Spieler einer Mannschaft aufgestiegen, die weder glanzvoll spielt, noch ihre Gegner mit mehreren Toren Unterschied erledigt. Trainer Zinédine Zidane hat sein Team pragmatisch umgebaut: Er lässt nicht zaubern, sondern arbeiten, er hat die Königlichen zu einer 1:0-Sieg-Mannschaft geformt. Das erschwert das Weiterkommen gegen City allerdings ungemein.
Ohne Ball ist Benzema am auffälligsten
Real ist jedoch schwer zu schlagen, und gleichzeitig gibt es weiter Kreative im Team, die mit einer Aktion den Unterschied ausmachen können. Benzema kann das, als Torschütze, als Passgeber, aber auch, weil er ohne Ball einer der klügsten Spieler ist. Oft zieht er Verteidiger auf sich, führt sie in die Irre, läuft weg von Ball und Mitspieler. Nutznießer der freien Räume waren früher meist andere, war Ronaldo.
Aber den Platz, den er einst CR7 überließ, nimmt er sich heute selbst: Benzema hat deutlich mehr Aktionen pro Spiel, mehr im Strafraum, er kommt auf mehr Tore und Assists pro 90 Minuten als in den Jahren unter Ronaldo. Benzema ist heute Reals Zielspieler. Das verdeutlicht die Torverteilung bei Madrid: Nach Benzema ist der zweitbeste Pflichtspieltorschütze der Saison Sergio Ramos mit 13 Treffern. Ein Verteidiger, und die meisten dieser Treffer erzielte er per Elfmeter oder nach Standards. Heißt: Aus dem Spiel heraus trifft Benzema - aber sonst so gut wie keiner.
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— Karim Benzema (@Benzema) June 18, 2020
Aber schon an der Seite von Ronaldo war Benzema einer der besten Mittelstürmer der Welt. Die Mischung aus Zuarbeiter, Vollstrecker und Raumöffner machte ihn schon damals so gefährlich, so unberechenbar. Trotzdem taten sich Fans und Trainer mit diesem Spielertpyen schwer. Reals früherer Trainer José Mourinho sagte einmal über Benzema: "Wenn du keinen Hund im Angriff hast, musst du halt die Katze nehmen." Blieb der Angreifer ohne eigenes Tor, verlor Real sogar, gab es schon mal Pfiffe gegen ihn.
Karim Benzema im Jahr 2014
Auch in seiner französischen Heimat musste Benzema oft ohne Rückhalt auskommen, wenn es schlecht lief für die Nationalelf. Er sehe übergewichtig aus hieß es, tauche in den großen Spielen ab, sei abgelenkt durch sein Interesse an Musik und Mode. Was so behauptet wird, wenn sportliche Argumente oder Kompetenzen fehlen. Auf die Spitze der Anfeindungen trieb es die rechtsextreme Partei Front National, sie forderte 2013 seinen Ausschluss aus der Nationalmannschaft. Ihre Begründung: Der in Lyon geborene Sohn zweier Einwanderer aus Algerien singe die Nationalhymne nicht mit. "Treffe ich, bin ich Franzose. Treffe ich nicht, bin ich Araber", sagte Benzema 2014 und eröffnete damit eine Rassismusdebatte. Ähnliche Worte benutzte auch Mesut Özil, als seine Zeit im DFB-Team 2018 endete.
Das Hadern mit Benzema mag viele Faktoren haben. Es dürfte auch mit seinem langjährigen Teamkollegen Ronaldo zusammenhängen, der oft genug eine Spielzeit mit 50 Toren beendete. Genauso wie Lionel Messi. Sie prägten jahrelang gemeinsam die spanische Liga, sie galten als Aushängeschilder ihrer Offensive. An diesen Außerirdischen wurde man gemessen.
Benzema aber ist kein Superstar, der das Rampenlicht genießt. Er erzielt auch heute noch weniger Tore als Ronaldo und Messi. Er hält dafür Bälle, spielt Pässe, wichtige Aktionen, aber in einem Sturmorchester mit Ronaldo halt eher die zweite Geige. "Ich kann es nicht ab, wenn ich kritisiert werde, obwohl ich gut gespielt habe, aber kein Tor erzielt habe", sagte Benzema 2018 über diesen Zwiespalt.
Seine Klasse mag auf den ersten Blick nicht sofort ins Auge stechen. Das aber ist kein Makel. Ronaldo wusste das: Als Bayern Münchens Stürmerstar Robert Lewandowski vor einigen Jahren bei Real im Gespräch war, soll sich der Portugiese für eine Vertragsverlängerung von Benzema stark gemacht haben. Zu den Fürsprechern von Benzema gehören auch Trainer Zidane ("Für mich ist er der beste Stürmer Europas") und Klubpräsident Florentino Pérez.

Geboren in Lyon, ausgebildet bei Olympique: Bis 2009 spielte Benzema für Olympique Lyon
Foto: ANDREW YATES/ AFPDie enge Verbindung zu Pérez wird in der Dokumentation "K Benzema" deutlich, als es um Benzemas vermeintliche Rolle im Sexvideo-Skandal geht. Ihm wurde 2015 vorgeworfen, Mittäter in einem Erpressungsversuch gegen seinen französischen Nationalmannschaftskollegen Mathieu Valbuena gewesen zu sein. Der Vorwurf erhärtete sich nie, aber er blieb an ihm haften. In die Nationalmannschaft durfte Benzema nie mehr zurückkehren, als sie 2018 Weltmeister wurde, mit Olivier Giroud im Sturm statt ihm selbst, musste er zuschauen. Real aber unterstützte ihn. "Pérez hält in guten, aber auch in schlechten Momenten zu mir", sagte Benzema "Vanity Fair".
Inzwischen spielt Benzema bereits seit elf Jahren für die Königlichen. Es stehen nur noch sieben Spieler vor ihm (512 Einsätze), die mehr Pflichtspiele für Real bestritten haben - und an einer Legende wie Fernando Hierro (587) könnte er noch vorbeiziehen. Benzemas Vertrag läuft bis 2022; in den vergangenen zwei Jahren kam Benzema in 100 von möglichen 107 Partien zum Einsatz. Beobachter sagen, dass der Franzose seit Ronaldos Abgang sehr an sich gearbeitet habe, er sei fitter, praktisch nie verletzt, übernehme mehr Verantwortung.
Aktuell sieht man vielleicht den besten Benzema, den Real Madrid je hatte. Zum ersten Mal in seiner Karriere erzielte er auch in zwei Spielzeiten hintereinander über 20 Treffer in La Liga. In den Jahren ohne Ronaldo, und mit solchen Zahlen haben auch Kritiker kaum Argumente. Aber Karim Benzema sollte man nicht allein an Toren messen.