Hoffenheims Spielmacher Demirbay Ein Mix aus Kroos und Özil

Kerem Demirbay
Foto: imago/ Sportfoto RudelMarkenpullover, Schal, perfekt sitzende Frisur: Bundestrainer Joachim Löw ist bekannt für seine Stilsicherheit. Am vergangenen Samstag wagte er etwas Neues: Während Hoffenheims 4:2-Sieg in Freiburg trug der Bundestrainer seinen Schal halb um den Hals, halb über die Ohren, fast wie ein Kopftuch. Zumindest sein Blickfeld war frei. So konnte Löw registrieren, wie gut Hoffenheims Kerem Demirbay gespielt hat.
In der 72. Minute nahm der 25-Jährige einen missglückten Pass mit der Hacke mit, bediente sogleich Mannschaftskollege Andrej Kramaric, Tor. Eine knappe Viertelstunde später knallt er aus 25 Meter den Ball Richtung Tor, er springt von der Unterkatte der Latte hinter die Linie.

Bundestrainer Joachim Löw
Foto: Patrick Seeger/ dpaDemirbay überragte seine Gegen- und Mitspieler - mal wieder. Bereits 2017 debütierte er in der Nationalmannschaft, geriet seitdem aber etwas aus Löws Blickfeld. In dieser Saison hat er sich wieder zu einem Kandidaten für die DFB-Elf gemausert, auch weil er auf den Spuren von Mesut Özil und Toni Kroos wandelt.
Demirbay stammt wie Özil aus Gelsenkirchen, absolvierte seine Ausbildung zum Fußballprofi bei Borussia Dortmund. Den Durchbruch wollte er beim Hamburger SV schaffen. Doch seine Zeit dort wurde zu einem großen Missverständnis. Die wechselnden HSV-Trainer monierten wahlweise seine fehlende Körperlichkeit (Mirko Slomka) oder seinen mangelnden Kampfeswillen (Bruno Labbadia). Der HSV verlieh Demirbay in die zweite Liga, zunächst nach Kaiserslautern, dann nach Düsseldorf.
2016 folgte die Trennung. Demirbay ging nach Hoffenheim, HSV-Sportchef Dietmar Beiersdorfer gab ihn für gerade einmal zwei Millionen Euro ab. Laut "Hamburger Morgenpost" verzichtete er auf eine in der Bundesliga übliche Klausel, nach der Hoffenheim im Falle eines Länderspieleinsatzes eine Millionennachzahlung leisten müsse. In Hamburg glaubte man nicht daran, Demirbay je im Nationaldress zu sehen.
Im neuen Umfeld blühte Demirbay auf, wie so viele ehemalige HSV-Spieler vor ihm. Das lag nicht zuletzt an seinem Trainer Julian Nagelsmann. Hoffenheims Coach beorderte Demirbay von der Zehner- auf die Achterposition. Dort erhielt er mehr Zuspiele, war stärker eingebunden in das Spiel seiner Mannschaft. Fortan konnte er seine Fähigkeiten besser zur Geltung bringen.
Demirbay gehört zu jenen Mittelfeldspielern, die Deutschlands Jugendakademien in den vergangenen Jahren zuhauf hervorbrachten. Er agiert auf technisch höchstem Niveau, kann dribbeln und den Ball behaupten. Zugleich verfügt Demirbay über Genauigkeit im Passspiel sowie Übersicht. Demirbay ähnelt in dieser Hinsicht Gladbachs Jonas Hofmann oder Bremens Maximilian Eggestein: kein klassischer Zehner, aber eben auch kein reiner Ballverteiler aus der Tiefe.
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Alle diese Typen vereinen in ihrem Spiel die Stärken von Mesut Özil und Toni Kroos (wenngleich auf individuell schwächerem Niveau). Sie können das Spiel aus dem zentralen Mittelfeld lenken, das Tempo vorgeben, punktgenaue Pässe spielen, fast so wie Kroos. Sie fühlen sich jedoch auch in der Nähe des Tors wohl, behalten unter Druck die Übersicht, legen Torchancen auf wie Özil.
Demirbay hebt sich von dieser Konkurrenz durch seinen starken Fuß ab. Auch wenn er mit rechts flanken und auch abschließen kann: Am liebsten nutzt er den linken Fuß. Das ist im modernen Fußball noch immer selten, zumal auf seiner Position im zentralen Mittelfeld.
Nagelsmann nutzt dies, um ihn als halbrechten Achter nach innen ziehen zu lassen. Demirbay gelangt somit häufig in ähnliche Situationen wie Arjen Robben: Als Linksfuß kann er im halbrechten Raum zum Schuss ansetzen oder den tödlichen Pass spielen. Demirbay bereitet pro Spiel durchschnittlich mehr als drei Schüsse seiner Teamkollegen vor, fast ebenso oft schließt Demirbay selbst ab. Kein Bundesligaspieler ist an so vielen Abschlüssen pro Partie beteiligt.
Diese Stärke unterstreicht auch der SPIX: Demirbay weist sowohl im Bereich Chancenkreation als auch bei der Torgefahr hohe Werte vor. Spielt er auf der Position im offensiven Mittelfeld, sind seine Werte noch einmal leicht höher als im defensiven Mittelfeld. Kein Wunder: Hier kann er seinen Zug zum Tor noch besser einbringen. Nach SPIX-Werten ist Demirbay aktuell sogar bester offensiver Mittelfeldspieler der Liga, noch vor Marco Reus und Leon Goretzka.
Nationaltrainer Joachim Löw wird diese Werte nicht benötigen, um auf Demirbay aufmerksam zu werden. Er hat schließlich vor Ort gesehen, wozu der Mittelfeldspieler fähig ist.