Klinsmann-Crew Frust und Flitzer

Jürgen Klinsmann hielt sich zurück. Bei der WM im eigenen Land setzt der für Überraschungen bekannte Bundestrainer vorwiegend auf bewährte Kräfte. Zum Aufsteiger avancierte ein schneller Dortmunder. Der Revierrivale Schalke trauert hingegen.

Jürgen Klinsmann hatte sich für die Hochgeschwindigkeitsvariante entschieden. Das Personal seines Vertrauens für die Fußball-Weltmeisterschaft (9. Juni bis 9. Juli) gab der Bundestrainer im Mercedes-Zentrum Berlin bekannt. So säumten schnelle Luxuslimousinen das Podium, auf dem neben Klinsmann auch noch dessen Assistent Joachim Löw, Teammanager Oliver Bierhoff und Torwarttrainer Andreas Köpke saßen. Die noblen Kisten beschleunigen in wenigen Sekunden auf 100 Kilometer pro Stunde.



Ganz so flott ist David Odonkor nicht, aber der Dortmunder soll ja auch nicht auf Asphaltpisten glänzen, sondern in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. "Er ist ein Riesentalent und er bringt etwas mit, was unser Team dringend benötigt: Schnelligkeit und Überraschungen", lobte Klinsmann den Flitzer vom BVB, dem in der Bundesliga keiner folgen kann, wenn er die rechte Außenbahn entlang pest.

Für den Bereich Überraschungen ist ansonsten ja Klinsmann selbst verantwortlich. Und seinem Hang, gängige Erwartungen partout nicht zu erfüllen, frönte der Weltmeister auch am Nominierungstag. Denn Odonkor hat bislang nur in der U21 gespielt. Der 22-jährige Novize soll nun der DFB-Auswahl bei der WM im eigenen Lande "etwas geben, was uns bisher gefehlt hat", wünscht sich Klinsmann. Erst am Vormittag hat es, so der Bundestrainer, den allerersten persönlichen Kontakt zu Odonkor gegeben – und das war bei dem Telefonat, in dem der Flügelflitzer von seiner WM-Teilnahme erfuhr. "Er hat sich natürlich sehr gefreut", sagte Klinsmann und musste angesichts der Untertreibung über die eigene Aussage lachen. "Ich bin sicher: Die WM wird David Odonkor viel Spaß machen."

Dagegen wurde Klinsmann für Schalkes Stürmer Kevin Kuranyi zur Spaßbremse. "Das war ein Telefonat, vor dem man als Trainer sicher auch ein bisschen Bammel hat", sagte Klinsmann über die Ausbootung der bisherigen Stammkraft. Wie Kuranyi wurden auch dessen Clubkollege Fabian Ernst die mäßige Spielzeit des FC Schalke zum Verhängnis. "Dies ist sicherlich nur eine Momentaufnahme für den Mai und den Juni 2006", vertröstete Klinsmann die unfreiwilligen Sommerurlauber. Unter diesen war auch der Bremer Patrick Owomoyela, der sich bis zuletzt beste Chancen auf eine Nominierung hatte ausrechnen können. Hätte die WM "ein paar Monate früher oder später stattgefunden, hätte das Team sicherlich ein anderes Gesicht", so Klinsmann.

Dann wäre vielleicht auch Mike Hanke nicht dabei gewesen. Der Wolfsburger Angreifer galt bis zuletzt als Wackelkandidat, weil sein Verein lange um die Bundesliga-Zugehörigkeit bangen musste und erst am Abschluss-Spieltag mit einem Remis gegen Kaiserslautern den Klassenerhalt schaffte. Auch weil Hanke wegen seiner Roten Karte aus dem Kondörderationen-Cup für die ersten beiden WM-Spiele gesperrt ist, schien der Gladbacher Oliver Neuville gegenüber dem Wolfsburger die Nase vorn zu haben. Aber typisch Klinsmann: Die Frage "Hanke oder Neuville" beantwortete er mit "Hanke und Neuville". Beide seien gut drauf, so der Bundestrainer, und brächten seit Monaten ihre Leistungen.

Einer, der die WM vermutlich auch schon innerlich abgehakt hatte, konnte auch vom Willen zur Überraschung Klinsmanns profitieren. Der Stuttgarter Thomas Hitzlsperger gehört trotz einer schwachen Saison beim VfB zum 23-köpfigen Kader. Die Flanken des Linksfußes werden von den deutschen Stürmern doch zu dringend gebraucht, als dass Klinsmann schon von vornherein auf Hitzlsperger verzichten wollte.

Bundesliga-Champion FC Bayern München stellt vier Akteure, Vizemeister Werder Bremen und der Tabellensiebte Borussia Dortmund jeweils einen weniger. Von einer Blockbildung kann dennoch keine Rede sein. "Wir sind voll überzeugt, dass es die richtigen Spieler sind", sagt Klinsmann: "Ich halte an dem Ziel fest, Weltmeister zu werden. Wir haben Vertrauen." Dieses genießt neuerdings auch der Abwehrspieler Jens Nowotny, 32. Bisher war der Leverkusener bei Länderspielen unter Klinsmann nur Zaungast. Nun sagt der Bundestrainer, dass Nowotny "mit seiner Erfahrung uns sehr helfen kann".

Ein anderer Bundesliga-Routinier war von Anfang an chancenlos, so sehr er auch von den Boulevardmedien gefordert wurde: Mehmet Scholl. "Er spielte in unseren Überlegungen keine Rolle", sagte Klinsmann. Im Wirbel um die Nominierung der 20 Feldspieler und des dritten Torwarts (Timo Hildebrand) war es nur eine Randnotiz, dass die bisherige Stammkraft Oliver Kahn jetzt auch in puncto Rückennummer nicht mehr die Nummer eins ist. Die trägt jetzt Jens Lehmann, Kahns Trikot ziert die 12.

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