Jörn Meyn

Skandal um Fußballer-Gesten Unpolitisch geht nicht mehr

Türkische Fußballnationalspieler grüßen wiederholt Soldaten in einem Krieg, der für Empörung sorgt. Die Uefa sollte das sanktionieren. Trotzdem gilt: Der Fußball muss politischer werden.
Türkischer Torschütze Kaan Ayhan (r.)

Türkischer Torschütze Kaan Ayhan (r.)

Foto: Alain JOCARD / AFP

Salutierende türkische Nationalspieler; Rassisten in Bulgarien; ein St.-Pauli-Profi, der für seinen Arbeitgeber nicht mehr tragbar ist, weil er mit dem türkischen Militär bei der Offensive gegen kurdische Truppen in Nordsyrien sympathisiert; ein Like zweier deutscher Nationalspieler, ebenfalls zum Thema türkisches Militär. Das ist eine Kurzzusammenfassung der vergangenen Tage.

Der Fußball wurde schon oft als politisches Vehikel benutzt, aber selten in einer Taktung wie jetzt. Das ist manchmal schwer zu ertragen. Und manche Akteure der Fußballwelt scheinen oft nicht einmal richtig zu verstehen, was genau um sie herum eigentlich geschieht.

Wer sich im Fußball wie politisch äußern darf, ohne mit größeren Problemen rechnen zu müssen, ist oft Auslegungssache. Im Moment empört sich der Westen über die türkische Militäroffensive in Nordsyrien. Und weil türkische Nationalspieler nun zum zweiten Mal nach einem Tor salutierten, um ihre Soldaten im Kriegseinsatz zu ehren, empören sich viele über sie.

Die Uefa hat angekündigt, den Fall zu untersuchen. Manche verlangen jetzt von ihr drastische Sanktionen gegen den türkischen Verband. Es wäre ein Zeichen, dass der Fußball nicht zum Vehikel von Kriegspropaganda werden darf. Und das wäre zu begrüßen.

Es braucht ein politisches Erwachen der Akteure im Fußball

Aber Sperren, Strafgelder und ähnliche Maßnahmen sind der letzte Schritt. Was es braucht, ist ein stärkeres politisches Bewusstsein aller Beteiligter.

Der Fußball ist heute so kompliziert wie die Welt um ihn herum. Er ist eben nicht nur das reine Spiel. Er ist Politik, er ist Ökonomie. Das Spielfeld tritt über die eigenen Grenzen hinaus in viele Lebensbereiche der Gesellschaft hinein. Auch im Fußball werden die großen Themen unserer Zeit verhandelt: Krieg und Frieden, Rassismus, Integration und Flucht (Stichwort Bakery Jatta).

Daher braucht es ein politisches Erwachen seiner Akteure. Wer eine derart große Wirkung auf viele Menschen hat wie Fußballprofis, benötigt dringend ein gewisses politisches Verständnis, um die Folgen seines Handelns abschätzen zu können.

Als die deutschen Nationalspieler Ilkay Gündogan und Emre Can das Salutierfoto ihres türkischen Freundes Cenk Tosun likten (und später entlikten), zeugte das vermutlich nicht von nationalistischer Überzeugung oder gar Kriegsverherrlichung. Zumindest haben beide das schnell betont. Es zeugte von einer politischen Dummheit, die vor allem beim klugen Gündogan mit seiner Vorgeschichte des Erdogan-Fotos von 2018 verwunderte. Wären beide Spieler politisch bewusster gewesen, es hätte den Like vermutlich nie gegeben - und damit auch nie den Furor, der darauf folgte.

Auch das Nichtstun ist politisch

Immerhin der Deutsche Fußball-Bund scheint ein bisschen aufgewacht zu sein. In der Vergangenheit verschlief der DFB den richtigen Zeitpunkt, auf Themen von politischer Relevanz zu reagieren. Diesmal twitterte der Verband schnell ein Foto. Darauf zu sehen waren alle Spieler, Bundestrainer Joachim Löw und die Betreuer. In der Bildunterschrift hieß es: "Gemeinsam für Offenheit, Vielfalt und Toleranz. Gegen jede Form von Gewalt und Diskriminierung."

Eine schwammige Formulierung ohne konkreten Bezug, aber immerhin ein politisches Statement eines Verbands, der es sich sonst hinter dem Deckmantel des Unpolitischen so gemütlich gemacht hat wie kaum ein anderer - und der in der Vergangenheit entweder lange schwieg oder mit seinen Statements zielsicher den falschen Ton traf, wie Julian Draxler mit seinem offenen Brief beim Confed Cup 2017 . Hätten der DFB und Draxler damals mehr politischen Verstand besessen, es hätte das Loblied auf Russland nie gegeben.

Bisher ist nicht bekannt, warum der Bundesligaprofi Kaan Ayhan dem Salutieren seiner türkischen Nationalelfkollegen fernblieb. Weil er sich nicht mit dem Krieg gemein machen wollte, oder weil ihm sein Klub, Fortuna Düsseldorf, das zuvor verboten hatte. Aber der Fall zeigt, dass auch das Nichtstun im Fußball durchaus politisch sein kann. Und dass man sich deshalb besser vorher darüber Gedanken macht.

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