
Football Leaks Faul ist nicht nur der Fußball


Eric Cantona
Foto: STEPHANE DE SAKUTIN / AFPSelbst für den Profifußball und seine großzügigen Maßstäbe dessen, was noch normal und was der helle Wahnsinn ist, gilt der Franzose Eric Cantona als Exzentriker. Unvergessen, wie er bei Manchester United im Kung-Fu-Stil in die Ränge sprang, um einen pöbelnden Fan niederzustrecken.
Für seinen Videoblog auf Eurosport, in dem er regelmäßig über den Fußball räsoniert, kostümierte Cantona sich nun als Jon Snow, Held der Fantasyserie "Game of Thrones". Er trug auf dem nackten Oberkörper Riemen und ein schwarzes Fell. Am Ende der Show imitierte er in diesem Outfit einen Skispringer, und wäre Cantona nicht Cantona, hätte man ihm vermutlich die Riemen noch etwas fester gezurrt. Um ihn einzuliefern.
Ein typischer Cantona eben, mit diabolischen Blicken, wildem Zeigefinger, wogenden Worten, aber andererseits: In der verrückten Welt des Fußballs sind vermutlich nur noch die Narren in der Lage, die Wahrheit zu erkennen. Und so war auch das, was Cantona über die Enthüllungen von Football Leaks sagte, nahe am Kern des Problems, näher zumindest als so einiges, was man in den vorangegangenen zwei Wochen dazu im Markt gehört hatte.
Nicht besser als der Rest der Welt
Ah, Football Leaks, sagte Cantona, große Namen, große Summen, aber wieso glaubten eigentlich alle, nur weil wir Fußballer als Idole verehrten, dass sie besser wären als der Rest der Welt. Fußball, das sei doch immer nur ein Spiegelbild der Gesellschaft. Sicherlich, wenn Spieler gegen Gesetze verstießen, wenn sie Steuern hinterzögen, dann müsse man sie hart bestrafen. Aber wenn sie nur alle Lücken des Steuerrechts mit jedem nur denkbaren, aber erlaubten Trick ausnutzten, um ihren Gewinn zu maximieren, was unterscheide sie da eigentlich vom Rest der Gesellschaft? Von den Großkonzernen, die das auch tun, von den Banken, die ihnen dabei helfen.
Die Enthüllungsplattform Football Leaks sammelt vertrauliche Daten und E-Mails zu den Geldflüssen im Fußball. So deckt sie illegale Zahlungen an Spielerberater und Investoren ebenso auf wie die Versuche, Millionen an der Steuer vorbeizuschmuggeln dank Offshore-Geschäften. Football Leaks schweigt zu seinen Quellen, hat die Dokumente allerdings dem SPIEGEL und anderen Medien im Verbund der European Investigative Collaboration zur Verfügung gestellt. Mit einem Umfang von 1,9 Terabyte handelt es sich um den bisher größten Datensatz im Sport.
Dann sei es doch nicht die Aufgabe des Fußballers, sondern des Gesetzgebers, das zu ändern. Da ist tatsächlich einiges dran. Zweieinhalb Wochen lang hat der SPIEGEL mit seinen Partnern aus elf Medienhäusern in ganz Europa die Wirklichkeit des Fußballs freigelegt: dubiose Steuermodelle mit Briefkastenfirmen in der Karibik, gierige Berater, gigantomanische Verträge, Sportvermarkter, für die Spieler nur Material sind. Die deshalb genauso gut Frischfleisch verkaufen könnten, was auch immer, wie auch immer, Hauptsache ihr Profit stimmt.
Der Datensatz entlarvt den schönsten Sport der Welt als ziemlich schäbige Kirmes, auf der sich alle um die besten Plätze im Karussell drängen, notfalls mit beiden Ellbogen. Tatsächlich dreht das Fußball-Business mittlerweile frei. Die Ablösesummen und die Gehälter sprengen jeden Rahmen, der Verfall der Sitten ist atemberaubend; Fußball ist heute die Spitze eines Geschäftsgebarens, das keine Wachstumsgrenzen mehr akzeptiert und dafür keine Rücksichten mehr nimmt. Aber es ist eben nur die Spitze, und jede Spitze ist nur Teil eines größeren Ganzen. Die Fehlentwicklungen im Fußball haben ihre Entsprechung in Fehlentwicklungen, die tiefer reichen.
Der Fall Ronaldo
Beispiel Ronaldo: Noch ist nicht klar, wie genau Cristiano Ronaldo so viele Millionen am Fiskus vorbeischleusen konnte und ob das nicht doch illegal war. Das werden in diesem und auch weiteren Fällen, die Football Leaks aufgedeckt hat, erst die nächsten Monate zeigen; die Steuerbehörden interessieren sich für den Fall. Aber wenn es legal gewesen sein sollte, dann nur deshalb, weil in Spanien, einem hochverschuldeten Land, Stars wie Ronaldo bis Ende 2014 kaum Steuern zahlen mussten.
Oder: Wie kann es sein, dass die Offshore-Fluchtwege weiterhin offen gehalten werden, nicht nur für Fußballer, auch für andere Reiche und für Konzerne? Dass etwa die Niederlande, einer der größten Profiteure von Steuerschlupflöchern für Unternehmen, die Schließung dieser Löcher gerade mal wieder auf EU-Ebene verhindert?
Und dass Irland, ein Land, das in der Finanzkrise ohne die Milliarden der Europäer zusammengebrochen wäre, ungeniert weiter mit seinem Unternehmenssteuersatz von 12,5 Prozent anderen EU-Ländern Konkurrenz macht? Ja, das System Fußball ist faul, das haben die Football-Leaks-Dokumente gezeigt. Aber es ist mehr faul in Europa als der Fußball; der ist nur der Indikator für die fehlende Bereitschaft, den freien Kräften der Wirtschaft genug soziale Bindung entgegenzusetzen.