Krisenclub Hannover 96 Auf der Suche nach Normalität
Seit sich das Leben genommen hat, sind 69 Tage vergangen. Die öffentliche Diskussion um seinen Tod hat sich weitgehend gelegt. Erst in der vergangenen Woche wurde eine Stiftung mit seinem Namen gegründet, die sich der Erforschung von Depressionen und der Aufklärung über diese Krankheit widmen soll. Die Beteiligten sind sichtbar bemüht, einen Schlusspunkt zu finden.
Doch in jenen 69 Tagen hat sich Enkes ehemalige Mannschaft Hannover 96 von einem soliden Team aus dem Mittelfeld der Bundesliga in einen Abstiegskandidaten verwandelt. Aus den sieben Spielen seit seinem Tod holte das Team nur einen Punkt. Durch das 0:3 gegen Hertha BSC am Wochenende sind die Niedersachsen auf den Relegationsplatz abgerutscht. Nach dem desolaten Ergebnis gab es noch am Samstagabend Krisensitzungen - und vorerst Entwarnung für Trainer Andreas Bergmann, der sich seines Arbeitsplatzes aber nur bis zum nächsten Spiel in Mainz sicher sein kann.
Todesfälle im Fußball bleiben meist lange in Erinnerung, weil der Sport eben auch für Emotion steht. Im November 1991 etwa verunglückte Maurice Banach, der damalige Mittelstürmer des 1.FC Köln, bei einem Autounfall tödlich. 2004 erlebte die Mannschaft von Benfica Lissabon, wie der ungarische Nationalspieler Miklos Feher während eines Punktspiels einen Herzinfarkt erlitt und schon bei Ankunft im Krankenhaus verstorben war. 2007 brach auch Antonio Puerta vom FC Sevilla auf dem Platz zusammen, er starb drei Tage später. Vor Beginn dieser Saison starb Mannschaftskapitän Dani Jarque von Espanyol Barcelona während eines Telefonats mit seiner schwangeren Freundin an einem Herzinfarkt.
Auswirkungen schwerer Schicksalsschläge
Fast immer rangen die betroffenen Mannschaften schwer damit, sich von den Schicksalsschlägen zu erholen. Espanyol Barcelona ist aktuell im Abstiegskampf, und das spanische Spitzenteam Sevilla musste nach dem Tod von Puerta eine Serie von Niederlagen überstehen, bevor es sich wiederfand. Benfica verlor im portugiesischen Titelrennen völlig den Tritt, holte dann aber noch zumindest den nationalen Pokal, dessen Gewinn Feher gewidmet wurde. Der 1. FC Köln hingegen rückte nach dem Tod von Banach enger zusammen, und kämpfte sich in der zweiten Saisonhälfte vom elften auf den vierten Platz der Bundesliga vor.
Doch diese und ähnliche Fälle unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt von Enkes Tod: Hannover 96 ist die erste professionelle Fußballmannschaft, die mit dem Umstand fertig werden muss, dass eines ihrer Mitglieder den Freitod gewählt hat. Damit umzugehen ist ungleich schwieriger. Man kann eben nicht die Ungerechtigkeit des Schicksals bei einem Unfall oder eine tödlichen Krankheit beklagen. Denn Fußball ist auch ein Spiel, in dem es in großem Maße immer auch um die Illusion der Unbezwingbarkeit geht.
Auch Robert Enke verkörperte diese Haltung: Er war nicht nur der beste Spieler von Hannover 96, sondern gerade wegen seiner ruhigen Selbstsicherheit der Anführer des Teams. Es bedarf keiner großen Phantasie, was für die hinterbliebenen Akteure die Erkenntnis bedeutet, dass Enke ihnen seine Stärke teilweise nur vorgespielt hatte. Und so verwundert es nicht, dass die Hannoveraner Profis nach der Niederlage gegen Hertha gerade mangelndes Selbstvertrauen beklagten.
Den Beginn der Normalität erzwingen
Für wird der Freitod ihres Stammtorwarts mit jedem weiteren Misserfolg ein problematischeres Thema. Einerseits wirkt er schwer greifbar nach, und zugleich darf immer weniger darüber gesprochen werden. In der Winterpause hat Mittelfeldspieler Hanno Balitsch das getan und gesagt, er hätte Enkes Tod überhaupt noch nicht verarbeitet. Vor gut einer Woche wollte der Verein den Beginn der Normalität durch eine symbolische Handlung erzwingen. Das sieben mal sieben Meter große Plakat, auf dem Enkes Trikot zu sehen war, wurde unter dem Dach der Westtribüne des Stadions abgenommen. Die 96-Profis sollten während des Spiels nicht immer an ihren toten Mannschaftskameraden erinnert werden.
Doch Hannover 96, das wird nun immer deutlicher, steht weiterhin in seinem Bann. Und es macht die Sache für den Club und nicht zuletzt Trainer Bergmann noch bedrohlicher, dass 69 Tage in den Rhythmen des Fußballs zwar eine Ewigkeit sind, in denen der Verarbeitung des Selbstmordes eines nahestehenden Menschen aber nur ein Anfang.