
Mihajlovic und Stimac: Trainer in Extremen
Duell zwischen Kroatien und Serbien Mann gegen Mann
Rückblickend lässt sich die Zeit, ab der es kein Zurück mehr gab, leicht bestimmen: Als sich Kroatien 1991 aus der jugoslawischen Föderation lösen wollte, lehnte ein Großteil der serbischen Minderheit diese Bestrebungen ab. Mit der Unterstützung nationalistischer Freischärler, die aus Serbien herüberkamen, bildete sie Milizen und errichtete Barrikaden rund um ihre Enklaven auf kroatischem Gebiet.
Einer der Brennpunkte war Borovo Selo, ein Dorf in der Nähe der Stadt Vukovar, direkt an der Grenze zu Serbien. Das Dorf und die Stadt sind durch Borovo Naselje miteinander verbunden, einen industriell geprägten Vorort von Vukovar, der in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts rund um eine große Schuhfabrik errichtet worden war, um Wohnraum für mehr als 20.000 Arbeiter und ihre Familien zu schaffen. Hier begann Sinisa Mihajlovic mit dem Fußballspielen.
Der örtliche Club NK Borovo genoss einen guten Ruf und hatte sich vor allem durch seine Nachwuchsarbeit einen Namen gemacht. Der Verein richtete regelmäßig Jugendturniere aus, an denen Mannschaften aus ganz Jugoslawien teilnahmen. Mihajlovic kam deshalb schon früh mit vielen künftigen Stars in Kontakt, etwa Spielern jener kroatischen Elf, die 1998 bei der Weltmeisterschaft in Frankreich den dritten Platz belegen sollte: Davor Suker, Zvonimir Boban, Robert Prosinecki, Robert Jarni, Slaven Bilic - und Igor Stimac.
Mihajlovic lernte sie alle bereits als Teenager kennen und nahm mit ihnen für verschiedene kroatische Auswahlteams an jugoslawischen Jugendturnieren teil. Bilic war jahrelang sein Zimmergenosse, Prosinecki bekniete die Verantwortlichen von Dinamo Zagreb geradezu, den jungen Mihajlovic zu ihrem Club zu holen. Als sie es 1987 versuchten, erhielt der damals 18-Jährige allerdings lediglich ein Angebot als Nachwuchsspieler, zudem verlangte Dinamos Trainer Miroslav Blazevic, der später das WM-Team von 1998 betreute, Mihajlovic möge sich doch bitte seine Lockenpracht abschneiden. Obendrein wurde das Talent vom jugoslawischen U20-Trainer Mirko Jozic, einem bosnischen Kroaten, erpresst: Würde er nicht bei Dinamo unterschreiben, könne er sich die bevorstehende Junioren-WM in Chile abschminken.
Mihajlovics Welt bricht zusammen
Auf Zwang reagierte Mihajlovic seit jeher ausgesprochen störrisch, also verzichtete er dankend. Angeführt von Spielern, die danach die kroatische A-Nationalmannschaft prägten, gewann die Auswahl auch ohne den Abwehrspieler aus Borovo das Turnier, nachdem sie im Halbfinale die DDR und im Finale die Bundesrepublik Deutschland bezwungen hatte.
Vier Jahre später erlebte Mihajlovic seinen eigenen Triumph, als er mit dem Europapokalsieger Roter Stern Belgrad gegen den ausgerechnet von Mirko Jozic betreuten chilenischen Verein Colo Colo den Weltpokal holte. Doch gerade, als Mihajlovic die große weite Welt eroberte, brach daheim seine eigene zusammen. Seine Heimatstadt war zerstört worden, und das Land, in dem er aufgewachsen war, existierte nicht mehr.
Die ethnischen und politischen Spannungen in der Region rund um Borovo hatten im Frühjahr 1991 ihren Höhepunkt erreicht. Zwar waren in den damals stattfindenden Friedensverhandlungen durchaus Fortschritte zu verzeichnen, doch die Hoffnung auf eine gewaltfreie Lösung hing am seidenen Faden - der von einer Handvoll militanter Fanatiker zerschnitten wurde. Am 2. Mai waren bei einer Auseinandersetzung zwischen der kroatischen Polizei und serbischen Milizen mehrere Todesopfer auf beiden Seiten zu beklagen.
Als wollten sie unmissverständlich klarmachen, dass Frieden für sie keine Option sei, verstümmelten serbische Freischärler die Leichen der Polizisten. Der kroatische Präsident Franjo Tudjman verkündete daraufhin im Fernsehen, der "offene Krieg" sei nun ausgebrochen, die Medien polarisierten die Öffentlichkeit, und so nahm das Verhängnis seinen Lauf. Jeder hatte eine Seite zu wählen, und von nun ab gab es nur noch Freund oder Feind.
"Ich hätte ihn am liebsten mit den Zähnen zerfleischt"
Sinisa Mihajlovic konnte damit anfangs wenig anfangen. Als Sohn eines bosnischen Serben und einer kroatischen Mutter war er als Kind der jugoslawischen Arbeiterklasse erzogen worden. Sein Bruder ging damals in Zagreb zur Schule, um - welch bittere Ironie - Polizist zu werden. Obwohl Sinisa Jugendfreunden zufolge Fan von Hajduk Split war, landete er schließlich weder dort noch bei Dinamo Zagreb, sondern bei Roter Stern Belgrad, dem jugoslawischen Meister.
Die damalige Mannschaft von Roter Stern war eine Art sozialistische Variante der Galácticos von Real Madrid. Fast alle ethnischen Gruppen der Föderation waren vertreten, womit es wohl die "jugoslawischste" Elf war, die jemals zusammengestellt wurde. Trotzdem wurde der Club zum Symbol des aggressiven serbischen Nationalismus. Die härtesten Ultras organisierten sich in paramilitärischen Einheiten, die in Kroatien und Bosnien Angst und Schrecken verbreiteten.
Am 8. Mai 1991 reiste Hajduk Split nach Belgrad, um im jugoslawischen Pokalfinale gegen Roter Stern anzutreten. Die Mannschaft wurde mit einer Armeemaschine eingeflogen und unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen zum Stadion eskortiert. Die Polizistenmorde von Borovo lagen nicht einmal eine Woche zurück und elf Tage später sollte in einem Referendum über die Unabhängigkeit Kroatiens entschieden werden. Für Hajduk spielten damals Igor Stimac, Slaven Bilic, Robert Jarni und Alen Boksic, außerdem Ante Misic, der mit Mihajlovic in Borovo aufgewachsen war. Das Team, das in Gedenken an die Opfer von Borovo Selo schwarze Armbinden trug, gewann überraschend 1:0.
"Ich bete zu Gott, dass deine ganze Familie ermordet wird"
Doch das Spiel wurde von einer hitzigen Auseinandersetzung zwischen Stimac und Mihajlovic überschattet. Selbst im Fernsehen war deutlich zu erkennen, dass Mihajlovic nach einer Bemerkung von Stimac darauf aus war, seinen Gegner absichtlich zu verletzen. Beide wurden schließlich vom Platz gestellt. "Wir standen uns einen Moment lang gegenüber", erzählte Mihajlovic später. "Er beugte sich zu mir rüber und sagte voller Hass: 'Ich bete zu Gott, dass deine ganze Familie ermordet wird.' In dem Moment hätte ich ihn am liebsten mit den Zähnen zerfleischt."
Anders als der Mann, der an jenem Tag sein Todfeind wurde, hatte Stimac nie ein Problem mit seiner nationalen Identität. Er sah sich selbst stets als kroatischen Patrioten und stand im Ruf, mit rechtsextremen Ideen zu sympathisieren. Noch 2003 erklärte er in einem Interview mit dem Magazin "Nacional": "Ich bedaure zutiefst, nicht im Krieg gekämpft zu haben. Aber sollte er noch einmal ausbrechen, werde ich an vorderster Front dabei sein."
Im gleichen Gespräch auf Mihajlovic angesprochen, sagte er: "Er verbreitet Lügen über mich, wie zum Beispiel, ich wäre schwul. Außerdem hat er behauptet, mich mit bloßen Händen erwürgen zu wollen. Seine Mutter ist Kroatin, seine Frau Italienerin, und er hat in einer katholischen Kirche geheiratet und seine Kinder taufen lassen. Mir ist klar, dass er sich doppelt anstrengen muss, um seine Verbundenheit mit Serbien unter Beweis zu stellen. Doch sie werden ihn niemals akzeptieren, auch wenn er ständig Arkans Bild mit sich herumträgt."
Mihajlovic, der serbische Nationalist
Zeljko Raznatovic, genannt Arkan, war ein international berüchtigter Krimineller, der zunächst als Anführer der Ultras von Roter Stern und danach als Kommandeur der paramilitärischen "Serbischen Freiwilligengarde" fungierte. Als Mihajlovic Anfang der Neunziger wegen seiner unklaren ethnischen Zugehörigkeit Schwierigkeiten hatte, in Belgrad akzeptiert zu werden, nahm Arkan ihn unter seine Fittiche und sorgte überdies dafür, dass seine Familie vor Ausbruch des Krieges Zuflucht in Serbien fand. Die beiden Männer wurden darauf dicke Freunde. Vielleicht wäre alles anders gekommen, hätte Mihajlovic sich seinerzeit für Dinamo Zagreb entschieden. So aber wurde er, zumindest von kroatischer Seite, als vollwertiger serbischer Nationalist wahrgenommen.
Nach dreimonatiger Belagerung fiel Borovo in die Hände der jugoslawischen Armee und serbischer Freischärler, die gemeinsam gegen kroatische Soldaten und die einheimische Bevölkerung kämpften. Vukovar wurde vollständig zerstört und rund 30.000 Bewohner vertrieben, viele brutal ermordet, verschleppt oder gefangen genommen - darunter auch Mihajlovic Onkel mütterlicherseits, ein hochrangiger Offizier der kroatischen Armee.
"Arkan rief mich an und sagte, er hätte meinen Onkel", verriet Mihajlovic in einem Interview mit dem französischen Magazin "So Foot". "Er stellte mich vor die Wahl, ihn entweder abzuholen oder seinen Männern zu überlassen, was seinen Tod bedeutet hätte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, nahm ihn aber schließlich auf. Er verbrachte zwei Monate bei meiner Familie in Belgrad, bevor er dann nach Kroatien zurückkehrte."
Symbolfiguren eines unerschütterlichen Nationalismus
Es waren solche Geschichten und Aussagen, welche die beinahe schon legendäre Feindschaft zwischen Stimac und Mihajlovic im Laufe der Jahre am Leben erhielten. Beide Spieler wurden zu Symbolfiguren eines unerschütterlichen Nationalismus auf beiden Seiten. 1999 standen sie sich erneut auf dem Fußballplatz gegenüber, als ihre Länder im Rahmen der EM-Qualifikation aufeinandertrafen. Die Begegnungen endeten 0:0 in Belgrad und 2:2 in Zagreb. Sie waren von beispiellosen Sicherheitsmaßnahmen, Nervosität und zahlreichen Fehlern geprägt.
Am Freitag (18 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) werden sich Stimac und Mihajlovic wieder gegenüberstehen, nun als Nationaltrainer von Kroatien und Serbien. Gästefans werden nicht im Stadion sein, zu groß ist die Angst vor Krawalle. Im vergangenen Herbst haben sich beide Trainer heimlich in Warschau getroffen, um vor dem Spiel in Zagreb Spannungen abzubauen. Es war das erste Mal seit zwei Jahrzehnten, dass beide ein Wort miteinander wechselten, und es scheint, als ob dieses Match (und das Rückspiel im September in Belgrad) sie möglicherweise dazu bringt, ihre Differenzen zumindest vorübergehend hintenan zu stellen.
Tatsächlich sind sich beide ähnlicher, als sie je zugeben würden. Stimac achtet auf strikte Disziplin in seiner Elf und brach mit der Tradition, sich vor Heimspielen in Slowenien vorzubereiten, weil es seiner Meinung nach "unpatriotisch" sei. Statt in der ruhigen Abgeschiedenheit eines pittoresken Örtchens jenseits der Grenze trainieren Modric, Mandzukic & Co. nun im Zentrum von Zagreb.
Mihajlovic wiederum ließ jeden Spieler einen Verhaltenskodex unterzeichnen, der unter anderem vorsieht, die eigene Nationalhymne mitzusingen und für die Hymne des Gegners zu applaudieren. Wie ernst es ihm damit ist, bekam Kapitän Branislav Ivanovic zu spüren, der das obligatorische Klatschen für "ein bisschen albern" hielt. Mihajlovic stellte ihn vor die Wahl, sich zu fügen oder nach Hause zu fahren.
"Meine Spieler haben nicht den gleichen Antrieb wie wir"
Dennoch lastet der Schatten von 1991 noch immer auf beiden Trainern. Im November 2012 wurde der kroatische General (und enge Freund von Stimac) Ante Gotovina vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien freigesprochen. Viele Kroaten deuteten dies als Bestätigung für die Legitimität ihres Unabhängigkeitskrieges, während die serbische Seite das Urteil als politische Entscheidung bewertete, um Kroatiens Beitritt zur EU zu erleichtern.
In der ersten Euphorie dachte Igor Stimac laut darüber nach, Gotovina zum nächsten Heimspiel der kroatischen Mannschaft einzuladen und symbolisch den Anstoß ausführen zu lassen - zufällig handelte es sich dabei um die Partie gegen Serbien. Obwohl er bald einen Rückzieher machte und beteuerte, falsch verstanden worden zu sein, wurde Stimac für seine unbedachte Provokation von beiden Seiten scharf kritisiert. Mihajlovic nannte die Äußerung "nicht besonders schlau" und drohte mit einem Boykott, sollte die Idee umgesetzt werden.
Am Ende schlugen beide Trainer wenigstens nach außen wieder versöhnliche Töne an. "Meine Spieler haben nicht den gleichen Antrieb wie wir", sagte Sinisa Mihajlovic. "Gegen Kroatien anzutreten, ist für sie nicht großartig anders, als gegen Belgien oder Wales zu spielen." Igor Stimac wiederum ermahnte seine Leute, "sich nicht darum zu kümmern, was um sie herum passiert, und sich nur auf den Fußball zu konzentrieren".
Beide wissen selbst, dass es in den vergangenen 22 Jahren oft um alles andere als Fußball ging, und noch immer dreht sich vieles um jenen Konflikt, den sie in gewisser Weise personifizieren. Die Hoffnung, endlich einen Schlussstrich ziehen zu können, ist da, doch sie hängt für 90 oder 180 Minuten wieder einmal am seidenen Faden.