Meistertrainer Miroslav Blažević Der Mann, der Berti Vogts um seinen Job brachte

Der jubelnde Miroslav Blažević bei der WM 1998
Foto: PASCAL GEORGE / AFPDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Er wusste, dass er bald sterben würde. Mitte Dezember wurde Miroslav »Ciro« Blažević in Kroatien noch ein Preis überreicht, eine von so vielen Auszeichnungen, die er in seinem Fußballtrainerleben eingeheimst hat. Er stand auf der Bühne und sagte: »Es ist mir eine große Ehre. Aber das wird meine letzte Ansprache ans Publikum sein. Es ist vorbei. Auf Wiedersehen Ciro. Ich zähle die Tage – und ich bin mir dessen bewusst.« Ein Abgang, wie es ihm gebührt. Klare Ansagen. Von dem Mann, der in Kroatien »der Trainer aller Trainer« genannt wird.
Zwei Monate später ist er gestorben, an Krebs. Er hat gekämpft, aber bis zu seinem Geburtstag hat er es nicht mehr geschafft. Am Donnerstag wäre er 88 Jahre alt geworden.
Ein Kämpfer ist Blažević immer gewesen, als Trainer galt er als hart, manchmal knochenhart, einer von der alten Schule, er hat früh gelernt, sich durchzubeißen als achtes Kind einer Familie, aufgewachsen in Travnik als bosnischer Kroate in Jugoslawien. Dem Vielvölkerstaat, der sich später so gewaltsam, so kriegerisch in seine Einzelteile auflöste, eine Auseinandersetzung, die auch das Leben von Blažević geprägt hat. Weil der Krieg ihn wie so viele zu Bekennern einer Seite machte.
Vom Skilanglauf in den Fußball
Mit 18, als noch niemand an den Zerfall Jugoslawiens dachte, hat er seine ersten sportlichen Meriten errungen, aber keineswegs im Fußball. 1953 wurde er jugoslawischer Meister – im Skilanglauf. Er war der erste Nicht-Slowene, dem das gelang.

Autogrammstunde mit dem Meistertrainer 2018
Foto: ELVIS BARUKCIC / AFPEin Langlauf, so kann man auch seine Karriere im Fußball danach bezeichnen. Voller Triumphe, aber auch voller Brüche. Ein Fußballleben über 62 Jahre, von seinen Anfängen als Kicker bei NK Travik 1953 bis zu seiner letzten Trainerstation bei NK Zadar 2015. Dazwischen liegen ein mittelmäßiges Profidasein und 28 Engagements als Coach. In Kroatien, im Kosovo, in der Schweiz, in Iran, in Frankreich, Griechenland, Bosnien, China.
Blažević hat die Welt gesehen, aber sein Name bleibt mit Kroatien verbunden. Mit Dinamo Zagreb, dem Klub, den er 1982 nach 24 langen dürren Jahren zur jugoslawischen Meisterschaft führte. In der Stadt sind sie danach ausgeflippt, die Begeisterung in Zagreb ebbte über Wochen nicht ab, und der Held war der dynamische Coach mit seinem weißen Schal, den er so gern um den Hals trug.
Man denkt an den Sommer 1998
»Es war eine perfekte Zeit und der größte Erfolg meiner Karriere«, sagte Blažević in der Rückschau: »Es war die Krönung von allem, was ich als Trainer getan habe«. Und das sagt einer, der seine Berühmtheit auf dem größten Parkett des Weltfußballs errang, der Fußballweltmeisterschaft.
Wenn man heute den Namen Blažević hört, denkt die Fußballwelt sicher nicht an die jugoslawische Meisterschaft von Dinamo Zagreb. Sie denkt an den Sommer 1998. Den Sommer, in dem Ciro Blažević dem Bundestrainer Berti Vogts den Garaus machte.

WM-Viertelfinale 1998: Rote Karte für Christian Wörns
Foto: Ross Kinnaird/ Getty ImagesDie Neunzigerjahre, das ist das Jahrzehnt, in dem der Balkan von Krieg, Gewalt, Nationalismus erschüttert zerrissen wurde. Blažević hatte sich früh festgelegt, er war ein glühender Anhänger der Loslösung Kroatiens, er bewunderte den autoritären kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman. Es heißt, Tudjman, mit dem er ab und an Tennis spielte, habe durchaus eine Rolle dabei gespielt, als es darum ging, Blažević von der Übernahme des Jobs als Nationaltrainer zu überzeugen. Für den Coach war es von Anfang an ohnehin mehr als ein Job, es war eine Mission.
Die kroatischen Spieler und ihr Trainer machten schon bei der EM 1996 aus dem Nationalismus keinen Hehl. In manchen Spielen wirkten sie wie beseelt von einem Auftrag, das EM-Viertelfinale gegen Deutschland 1996 wurde mit allen Mitteln geführt, hart bis an die Grenze, manchmal darüber hinaus. Damals siegten Vogts und das DFB-Team noch 2:1, zwei Jahre später kam es im Stade Gerland in Lyon zur Revanche.
Šuker, Bilić, Boban
Wieder war es ein Viertelfinale, diese Partie am 4. Juli 1998, und es wäre sehr falsch, dem damaligen Kader von Blažević nur als eine Mannschaft von Nationalisten darzustellen. Es waren vor allem fantastische Fußballer: Davor Šuker, Slaven Bilić, Robert Jarni, Robert Prosinečki, Zvonimir Soldo, angeführt von Zvonimir Boban. Mit allen Wassern gewaschen, in den europäischen Topligen gestählt.
Eingestellt dazu von einem Trainer, der das favorisierte DFB-Team genau durchanalysiert hatte, getragen vom Pathos in ihrem weiß-rot gewürfelten Schachbrettmuster auf dem Trikot. In der Kabine sagte er ihnen: »Geht jetzt raus und sterbt für die kroatische Flagge und für all diejenigen, die ihr Leben gelassen haben.« Das kann man geschmacklos, zynisch nennen, zumindest furchtbar übersteigert. Aber am Ende steht es 3:0 für Kroatien.

Jubel bei Kroatien, Frust beim DFB
Foto: HORSTMÜLLER GmbH / imago/HorstmüllerDie Rote Karte von Christian Wörns, das anschließende Verschwörungsgeraune von Vogts, all das bleibt aus deutscher Sicht unvergessen. Die Zeit des Bundestrainers Vogts beim DFB war anschließend praktisch beendet. Dass danach Erich Ribbeck kam, darf man Blažević nicht anlasten.
Kroatien und Blažević scheiterten bei der WM im Halbfinale zwar an den beiden einzigen Länderspieltoren von Frankreichs Lilian Thuram, aber das Land ist seitdem eine internationale Fußballgröße.
Nach dem siegreichen Spiel um Platz drei sagte der damalige VfB-Profi Soldo: »In unserem Land wir jetzt die Weltmeister.« Blažević wird spätestens seit damals nicht nur in Zagreb verehrt. Tudjman beförderte seinen Kumpel zum Generaloberst, das ist der zweithöchste Rang in der Armee.
Sogar Trainer beim Erzrivalen
Sein Ruf in der Heimat war danach so unantastbar, dass er es sich sogar erlauben konnte, 2005 als gefeierter Dinamo-Meistertrainer beim Erzrivalen Hajduk Split anzuheuern. So etwas war vorher undenkbar. Aber in Split blieb er glücklos, als hätten die Dinamo-Fans ihm einen Fluch angehext. In der Champions-League-Qualifikation unterlag das Team dem ungarischen Vertreter VSC Debreceni 0:5, das war auch für einen Erfolgstrainer zu viel. Die Reise des Weltenbummlers Blažević ging weiter.

Miroslav Blažević 2016
Foto: imago sportfotodienst / imago/PixsellMeister war er auch in der Schweiz mit Grashoppers 1984, so vom Glück begleitet war er anderswo nicht. Mit Iran verfehlte er die WM-Teilnahme 2002, insgesamt viermal war er Trainer von Dinamo Zagreb, zuletzt 2003, die Erfolge von 1982 konnte er nicht mehr einholen.
2011 erkrankte er an Prostatakrebs. Da war er noch voll im Geschäft, trainierte die U23 in China. Aufgeben, das kam für ihn nicht infrage. Zwölf Jahre hat er der Krankheit danach noch abgerungen, es war die letzte große Mission des Miroslav Blažević.