Länderspiel in Gladbach Ein Mythos lebt wieder auf
Im Mai war Peer Steinbrück das letzte Mal da. Da spielte der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen eine Partie Schach gegen einen örtlichen Diplom-Mathematiker, zugunsten einer wohltätigen Organisation. Zunächst gewann der hohe Besuch aus Düsseldorf das Duell am Brett, später verlor er dann die Landtagswahl. Doch Steinbrück wird wohl auch nach dem Gang in die Opposition wiederkommen, in den Borussia-Park.
Nicht alle kommen so regelmäßig ins Stadion von Fußball-Bundesligist Borussia Mönchengladbach, manche lassen sogar 105 Jahre auf sich warten. Wie die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, die am Abend (20.45 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) auf Russland trifft. Es ist der erste Auftritt einer DFB-Elf in Mönchengladbach in der Geschichte des Verbandes, abgesehen von einem Spiel des mittlerweile wieder eingemotteten "Team 2006" - und wenn nicht alles täuscht, gibt es schlechtere Momente für diesen Besuch im Borussia-Park: Mit der Nationalelf kommt sozusagen das Abziehbild der erträumten Zukunft nach Mönchengladbach.
Denn Klinsmanns Truppe besitzt derzeit all das, was dem Traditionsverein vom Niederrhein (noch) fehlt. Deutschlands Auswahl hat Erfolg (sieben Siege und zwei Unentschieden in zehn Spielen), einen internationalen Vergleich vor der Brust (den Konföderationen-Cup, 15. bis 29. Juni) und eine Vision (den WM-Titel 2006). Nicht ganz so Wohlmeinende spotten sogar, die DFB-Elf habe den Gladbachern noch etwas voraus: viele deutsche Nationalspieler.
Horst Köppel und das Stadion als Hoffnungsträger
Hinter der Borussia hingegen liegt wieder ein verlorenes Jahr. Der Tabellen-15. der abgelaufenen Bundesliga-Saison, mit großen Ambitionen gestartet, war am Ende vom internationalen Geschäft so weit entfernt wie Klinsmanns USA-Wohnsitz von der DFB-Zentrale. Stattdessen kämpfte die Mannschaft monatelang gegen den Abstieg und verschliss dabei zwei Trainer (Holger Fach und Dick Advocaat). Der Gang in die zweite Liga wurde erst unter dem Alt-Borussen Horst Köppel vermieden.
Doch die sportliche Malaise ist mittlerweile abgehakt, und ganz langsam macht sich sogar so etwas wie Aufbruchstimmung breit. Und das liegt just an jenem Bau, dem Ballack und Co. am Abend internationale Weihen verleihen: dem Borussia-Park. Das Stadion wurde zwar als Austragungsort für die WM nicht berücksichtigt, eröffnet dem Verein aber seit August vergangenen Jahres ungeahnte wirtschaftliche Möglichkeiten: zuletzt wies die Bilanz - obwohl Mönchengladbach in der Liga nicht gerade reüssierte - einen Traumgewinn von 3,5 Millionen Euro aus. Ganz nebenbei wird wohl der Vereinsrekord an verkauften Dauerkarten fallen.
Sportdirektor Pander: "Club mit Perspektive"
Genau 53.148 Zuschauer finden in der Arena Platz, bei Länderspielen sind es immerhin noch 45.600. Kein Vergleich also zum alten Bökelberg, der mit 34.500 Plätzen vergleichsweise winzig erschien. Von einer "anderen Dimension, einer neuen Zeitrechnung, einem Quantensprung" spricht Gladbachs Präsident Rolf Königs. Auch der neue Sportdirektor Peter Pander, der den im Mai geschassten Christian Hochstätter ersetzte, ließ sich durch die neuen finanziellen Möglichkeiten zum Kommen bewegen und sekundierte artig: "Das ist ein Club mit Perspektive, der wirtschaftlich erfolgreich arbeitet."
Um in der kommenden Saison auch sportlich angreifen zu können, wird die neu gewonnene Finanzkraft nicht ganz ohne Risiko eingesetzt. Erst erfüllte man Advocaat in der Winterpause den Wunsch nach neuen Spielern (von den sieben Zugängen überzeugten bislang nur der Belgier Bernd Thijs und Torwart Kasey Keller aus den USA wirklich; Wesley Sonck war häufig verletzt, Giovane Elber konnte noch gar nicht spielen). Gestern verpflichtete Gladbach nach dem Niederländer Niels Oude Kamphuis von Schalke 04 den dänischen Nationalspieler Kaspar Börgelund. Für den Rechtsverteidiger überweist der Club angeblich eine Million Euro an den PSV Eindhoven. Pander lobt die Erfahrung des 24-Jährigen, "besonders auf internationaler Ebene".
Die internationale Ebene. Der Weg scheint klar: Pander, 54, schon beim VfL Wolfsburg der Mann für die großen Visionen, und Königs wollen den Verein wieder dahin führen, wo er in den Siebzigern war. In der erfolgreichsten Epoche der Clubgeschichte gewann die Mannschaft fünf Meisterschaften, zweimal den Uefa-Cup und einen DFB-Pokal.
Acht Titel in neun Jahren begründeten den "Mythos Mönchengladbach". Die Borussia dieser Zeit wurde "Fohlen-Elf" gerufen, weil Günter Netzer und Jupp Heynckes und Allan Simonsen und Rainer Bonhof jung waren und so schnell spielten wie sie liefen. In schöner Regelmäßigkeit verhöhnten sie ihre Gegner - spielerisch, versteht sich. Mit langen Haaren und kurzen Pässen führten sie sogar den großen FC Bayern München vor.
"In drei Jahren wollen wir oben anklopfen", lautet die Zielvorgabe von Präsident Königs. Und ob gewollt oder nicht: Auch hier gibt das Stadion die Richtung vor. Der Borussia-Park liegt 19 Meter höher als der Bökelberg.