Bayerns Leon Goretzka Der Unverhinderbare

Beim 7:0 gegen Bochum zeigte Leon Goretzka, dass er in seiner vierten Saison zum prägenden Protagonisten des FC Bayern werden könnte. Eine Rolle, die der engagierte Kämpfer auch neben dem Platz ausfüllen soll.
Von Florian Kinast, München
Leon Goretzka

Leon Goretzka

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Manuel Riemann hatte so viele Gegentore kassiert, dass er am Ende beim Zählen sogar den Überblick verlor. »Wenn du es den Bayern so einfach machst«, resümierte Bochums Torwart nach Abpfiff am Sky-Mikrofon, »dann gibt es eben acht Stück«. Letztlich fing sich Riemann zwar nur sieben Treffer ein, aber auch das reichte noch für einen grausamen Spätsommernachmittag in München.

Dass der VfL mit der höchsten Bundesliga-Niederlage seiner Geschichte tief in den Westen zurückreiste, lag auch an einem Ex-Bochumer. Leon Goretzka blieb zwar selbst ohne Torerfolg, brachte aber alle drei Bayern-Treffer in der zweiten Halbzeit auf den Weg und erhielt später von Julian Nagelsmann das Sonderlob, »herausragend gut gespielt« zu haben.

Zwei Tage nach seiner Vertragsverlängerung bis 2026 demonstrierte Goretzka, dass er als Multitalent im Mittelfeld auch dank seines neuen Trainers nun immer mehr die Position im Bayern-Spiel ausfüllt, in die er seit seiner Ankunft in München vor drei Jahren hineinwachsen wollte: in die Rolle des vielseitigen und vor allem offensiven Führungsspielers.

Dass Goretzka das nicht schon längst ist, das lag einerseits an einer Vielzahl kleinerer bis mittelschwerer Verletzungen und krankheitsbedingter Ausfälle seit 2018, aber oft auch an einer festen Positionierung auf der Doppel-Sechs an der Seite seines Freundes und Mitstreiters Joshua Kimmich. Manchmal, so schien es, war Goretzka angesichts der vielen Glanzleistungen von Kimmich eher nur der Nebenmann im defensiven Mittelfeld.

Zwischen der Sechs und der Zehn

Die ersten Wochen der Saison zeigen nun, dass der neue Trainer in ihm noch mehr den Schlüsselspieler im Spiel der Bayern sieht als zuletzt Hansi Flick. Nagelsmann, der den 26-Jährigen für »einen der torgefährlichsten Spieler auf diesem Planeten« hält, sprach zuletzt immer wieder vom großen aber noch nicht voll ausgeschöpften Potenzial bei Goretzka: »Er kann in der Positionsfindung und der Variabilität noch weitere Schritte gehen.«

Was das konkret bedeuten kann, das zeigte dieser Samstag. In der ersten Hälfte gab Goretzka vor allem noch vor dem eigenen Sechzehner den ungemütlichen Abräumer. Nach dem Seitenwechsel wirbelte er in der Offensive, erkämpfte sich im Gegenpressing den Ball und leitete damit das 5:0 durch Robert Lewandowski ein, gab den Assist zum 6:0 durch Joshua Kimmich, bewies viel Übersicht vor dem 7:0 durch Eric Maxim Choupo-Moting. Goretzka bewegte sich in seinem Positionsspiel zwischen der Sechs und der Zehn, am liebsten nahe der Acht. Hätte Thomas Müller nicht längst die Wortschöpfung »Raumdeuter« für sich beansprucht, sie könnte inzwischen auch für Goretzka ein guter Beiname sein.

»Der Leon war schon damals ein Spieler, den konntest du nicht verhindern«

Bochums Trainer Thomas Reis

VfL-Trainer Thomas Reis, der 2012 noch als Co-Trainer miterlebte, wie ein damals 17-Jähriger namens Leon Goretzka für Furore sorgte, hatte bereits vor dem Anpfiff gesagt: »Der Leon war schon damals ein Spieler, den konntest du nicht verhindern.«

Beim FC Bayern 2021 wäre das eine weitere gute Bezeichnung für seine Qualität. Einige Umschreibungen gibt es ja schon. Der Antreiber. Der Kämpfer. Neu auf der Liste: der Führungsspieler. Und jetzt eben: der Unverhinderbare.

Auch Box-to-Box-Spieler ist ein Begriff, den man über Goretzka oft hört, Julian Nagelsmann verwendet ihn gern. Nach dem 7:0 schwärmte er von Goretzkas »Wucht« und seiner »Dynamik« und erklärte: »Leon hat den Schwung der Vertragsverlängerung mitgenommen.« Ein Schwung, der noch lange anhalten soll. Denn Goretzka soll nun auch nach seinem eigenen Selbstverständnis nichts anderes sein als ein prägender Protagonist, der die Mannschaft durch die Ära Nagelsmann in die zweite Hälfte des Jahrzehnts führt.

Dabei dürfte es den Bayern gerade jetzt sehr gelegen kommen, nach den zwischenzeitlich auf Eis gelegten Vertragsgesprächen nun doch zügig eine langfristige Einigung mit Goretzka erzielt zu haben. Die Klub-Oberen wurden zuletzt nicht müde, Goretzka wie auch Kimmich immer wieder als meinungsstarke Persönlichkeiten und Vorbilder für die Gesellschaft zu würdigen: für ihre Spendeninitiative »We Kick Corona«, für ihren Kampf gegen Rassismus.

In einer Zeit, in der der FC Bayern nach den Abschieden der Alphafiguren Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge erstmals seit Jahrzehnten zuletzt eine kleine Phase der Neuorientierung durchlebte, hilft es bei der Identitätsfindung ebenso wie bei der Außendarstellung, zwei solch charismatische Charaktere zu haben. Ein Duo, mit dem sich die Bayern gern schmücken. Zwei, die das Zeug haben, die Gesichter der Bayern der Zwanzigerjahre zu werden. Auf dem Platz und abseits davon.

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