Bayern-Kapitänin Lina Magull "Equal Pay sollte nicht unser oberstes Ziel sein"

Mehr Anerkennung, Geld und Sichtbarkeit: Lina Magull vom FC Bayern will den Fußball der Frauen voranbringen. Hier spricht sie über ihre Ideen. Gleiche Prämien wie die Männer gehören nicht dazu.
Ein Interview von Jan Göbel und Marcus Krämer
Seit dieser Saison die Kapitänin des FC Bayern: Lina Magull

Seit dieser Saison die Kapitänin des FC Bayern: Lina Magull

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Patrick Elmont / UEFA / Getty Images

SPIEGEL: Frau Magull, zuletzt wurde viel darüber berichtet, dass im Deutschen Fußball-Bund vor 50 Jahren das Verbot für Fußball spielende Frauen aufgehoben wurde. Im Mittelpunkt standen Anekdoten wie das berühmte Kaffeeservice als EM-Prämie 1989. Der Blick zurück bei einem Jubiläum ist zwar nicht überraschend, aber das ständige Aufwärmen alter Geschichten muss doch nerven: Wollen Sie nicht lieber über die Zukunft sprechen?

Lina Magull: Genervt war ich davon jetzt nicht. Ich habe mich gefreut, dass überhaupt über dieses Jubiläum berichtet wurde. Aber natürlich ist auch der Blick in die Zukunft wichtig. Der Frauenfußball hat einen Mehrwert für den Sport und die Gesellschaft, und es gibt noch so viel Potenzial, es könnte noch so viel mehr erreicht werden – auch mit geringem Aufwand.

SPIEGEL: Was zeichnet den Fußball der Frauen grundsätzlich aus?

Magull: Der Fokus bei uns liegt mehr auf dem Spiel, dem reinen Fußball - aber nicht auf Dingen wie Schauspielerei oder dem Reichtum, wie das oft bei den Männern der Fall ist. Uns zeichnet Leidenschaft und Ausdauer aus, immerhin verdienen wir viel weniger als die Männer, aber wir arbeiten mindestens genauso intensiv wie sie. Wir sind nahbar, gehen auf unsere Fans zu.

Zur Person Lina Magull
Foto: Sebastian Gollnow/ dpa

Lina Magull, geboren 1994, ist eine deutsche Fußballerin. 2012 unterschrieb die Offensivspielerin einen Vertrag beim VfL Wolfsburg; Magull blieb für drei Jahre, gewann zweimal die Champions League, Stammspielerin wurde sie allerdings nicht. Beim SC Freiburg entwickelte sie sich weiter, inzwischen ist sie Kapitänin des FC Bayern, auch im Nationalteam (44 Länderspiele / 13 Treffer) hat Magull einen festen Platz. Neben dem Fußball absolvierte sie eine Ausbildung als Bürokauffrau, arbeitete in einer Werbeagentur und hat ein Zertifikat zur Ernährungsberaterin. Außerdem belegt sie in einem Fernstudium die Fächer Sportmarketing und Sportjournalismus.

SPIEGEL: Sie haben in einem Blogeintrag  geschrieben, der Fußball der Frauen habe in Deutschland nicht den Stellenwert, den er verdient. Was meinen Sie damit konkret?

Magull: Es geht um die Wahrnehmung. Werden unsere Spiele live gezeigt? Wo werden sie gezeigt? Um welche Uhrzeit finden sie statt? Es gibt keine einheitliche Plattform, wo man sich über Frauenfußball in Deutschland informieren kann. Da darf es auch gerne um kritische Themen gehen. Aber wir brauchen regelmäßige Berichterstattung. Und wir müssen viel besser vermarktet werden. Beim FC Bayern ändert sich das gerade ein bisschen. Nun ist es in Ordnung, wenn wir im Fanshop als Teil des Vereins gezeigt werden. Wir brauchen die Unterstützung der Vereine und des Verbands, um sichtbarer zu werden.

SPIEGEL: Müssen die Spielerinnen die Vereine und Verbände verstärkt darauf aufmerksam machen?

Magull: Es gibt vielleicht zu wenig Spielerinnen, die sich in dieser Verantwortung fühlen. Da müssen sich Mannschaftsräte und Kapitäninnen mehr bemühen. Aber: Es liegt nicht in unserer Hand, Kampagnen zu starten. Letztendlich werden solche Entscheidungen von männlichen Vorständen im Männerfußball getroffen – die müssen wir überzeugen.

Bei der WM 2019 gelang Magull der Durchbruch im Nationalteam

Bei der WM 2019 gelang Magull der Durchbruch im Nationalteam

Foto: Markus Endberg / imago images/Markus Endberg

SPIEGEL: Der Umgang mit den Herausforderungen in Ihrem Sport ist aufseiten der deutschen Spielerinnen häufig sehr defensiv. Ist Ihre Generation zu leise?

Magull: Die Spielerinnen sind noch relativ jung und wollen sich nicht beschweren. Wer in der Nationalmannschaft und in einem guten Verein spielt, hat auch ein ganz gutes Leben. Aber es ist noch viel mehr möglich: Ich sehe im Frauenfußball noch so viel Potenzial und will mich deshalb häufiger öffentlich äußern, um wichtige Themen anzuregen.

SPIEGEL: Gab es in Ihrer Karriere einen Zeitpunkt, an dem Sie beschlossen haben, lauter zu werden?

Magull: Ich fand es schon immer faszinierend, wenn Spieler ihre Meinung sagen und sich nicht verstecken. Bei mir hat sich das besonders im vergangenen Jahr entwickelt. Ich bin jetzt Kapitänin bei den Bayern und habe einen festen Platz in der Nationalmannschaft. Ich möchte mehr Verantwortung übernehmen.

SPIEGEL: Wenn es um gleiche Prämien in den Nationalteams geht, wird meist auf die höheren Einnahmen der männlichen Fußballer verwiesen. Der DFB ist aber ein gemeinnütziger Verein und hätte allein deshalb die Möglichkeit, mit Equal Pay ein Zeichen zu setzen.

Magull: Es ist toll, dass das in anderen, wenn auch wenigen, Ländern bereits funktioniert. In Deutschland sehe ich das trotzdem anders. Es sollte nicht das erste und oberste Ziel sein, gleiche Prämien für Leistungen mit der Nationalmannschaft zu haben. Für mich ergibt es viel mehr Sinn, ganzheitlich mehr Geld in den Frauenfußball, in die Liga und in die Vereine zu investieren. Mein großes Ziel ist es, dass wir irgendwann eine vollständige Profi-Liga sind. Am Ende sehe ich es wie DFB-Präsident Fritz Keller, der sagt: 'Equal Game geht vor Equal Pay.' Dafür braucht es aber finanzielle Unterstützung.

SPIEGEL: Ist das aber nicht frustrierend mit den ungleichen Prämien? Fußballerinnen leisten dasselbe wie Fußballer.

Magull: Ich behaupte sogar, wir leisten wegen der Doppel- oder Dreifachbelastung mehr als die Männer. Manche studieren, andere arbeiten – es gibt kaum eine Spielerin, die Vollprofi ist. Das Ausschlaggebende für das Einkommen ist das, was herauskommt. Und da ist die Lage in Sachen Marketing und Merchandising zu unbefriedigend. Die Spanne zwischen Männern und Frauen geht zu weit auseinander.

SPIEGEL: Sie sprachen vorhin von Präsenz und Anstoßzeiten, was stört Sie da?

Magull: Ein Beispiel: Unser letztes Länderspiel gegen England im Oktober hätte unter der Woche um 16 Uhr angepfiffen werden sollen. In Wiesbaden, in einem Stadion, das nicht wirklich begeistert – wenn man mal die Geisterkulisse während Corona kurz beiseite schiebt. Das ist ungünstig und ich frage mich, wer das entscheidet. So ein Spiel muss man viel größer aufziehen. Die Wirkung ist in einem großen Stadion und um 20 Uhr ganz anders.

SPIEGEL: Kritiker stellen häufig Vergleiche zwischen Frauen- und Männerfußball an – in Sachen Athletik oder Taktik. Ist das gerecht?

Magull: Es ist ein Problem. Aber ich glaube nicht, dass die Mehrheit so denkt. Jeder sollte eigentlich clever genug sein, um zu wissen, dass wir in der Athletik nie auf den gleichen Leistungsstand wie die Männer kommen. Man sollte das nicht als Maßstab sehen und das Spiel einfach mit anderen Augen verfolgen. Wir spielen Fußball auf hohem Niveau, aber nicht auf dem der Männer. Ein Spiel der dritten Liga der Männer begeistert mich am Ende auch nicht so wie ein Bundesligaspiel. Aber ich schätze jedes spielerische Vermögen.

SPIEGEL: Borussia Dortmund und der FC Schalke gehen sehr defensiv mit der Gründung einer Frauen-Abteilung um und starten in der Kreisliga. Was denken Sie über die Entscheidungen?

Magull: Ich war nicht begeistert, als ich das gehört habe. Ich hätte mir gewünscht, dass die beiden Vereine vorangehen und in kurzer Zeit in der Bundesliga landen. Das wäre ein starkes Zeichen gewesen.

SPIEGEL: Sie gehören zu einem in der Coronakrise gegründeten Bündnis von Spielerinnen und Spielern. Was ist die Aufgabe dieser Vereinigung?

Magull: Ich bin zu der Gemeinschaft dazugestoßen, um einen besonderen Austausch unter Spielerinnen und Spielern zu haben. Bei Problemen können sich die Spielerinnen so leichter Rat einholen. Mir war es wichtig, dort dabei zu sein, weil wir Spielerinnen in der Corona-Zeit im Frühjahr nicht in wichtige Entscheidungen einbezogen wurden.

SPIEGEL: Was ist passiert?

Magull: In der Frage, ob weitergespielt wird oder nicht, fühlte ich mich aufgrund der Ausnahmesituation etwas übergangen.

SPIEGEL: Hätten Sie entschieden, nicht zu spielen, wenn Sie gefragt worden wären?

Magull: Ich hätte womöglich Nein gesagt. Es gab einfach zu viele offene Fragen. Wir wissen auch noch heute zu wenig über Langzeitfolgen durch Corona, aber damals schien mir die Situation aus gesundheitlicher Sicht ganz besonders heikel für Sporttreibende. Es kam auch eine Wettbewerbsverzerrung hinzu, weil einige Vereine noch gar nicht oder zu wenig trainieren konnten.

Magull will in ihrem dritten Jahr beim FC Bayern die Meisterschaft gewinnen

Magull will in ihrem dritten Jahr beim FC Bayern die Meisterschaft gewinnen

Foto: via www.imago-images.de / imago images/ActionPictures

SPIEGEL: Ein wichtiger Aspekt im Fußball der Frauen bleibt der Kampf um Anerkennung. Müssten wir – und damit sind explizit auch die Medien gemeint – nicht schlicht von Fußball statt von Frauenfußball sprechen?

Magull: Wenn von Fußball gesprochen wird, geht es um Männerfußball. Das ist das Problem. Wir Fußballerinnen tauchen in den Medien selten auf. Deshalb muss man immer wieder darauf aufmerksam machen, dass Frauen auch Fußball spielen und dann muss man Frauenfußball auch so benennen. Wir sollten uns eher mit den vorhin erwähnten und weiteren Werten beschäftigen, die den Frauenfußball ausmachen, und uns vom Männerfußball abgrenzen. Wir brauchen eine eigene Identität.

SPIEGEL: Bei Ihrem kommenden Gegner und Rivalen um die Meisterschaft Wolfsburg (Sonntag um 14 Uhr) steht auch Almuth Schult unter Vertrag. Sie gilt als das aktuelle Gesicht des Fußballs in Deutschland. Wollen Sie in Sachen Außendarstellung ihre Nachfolgerin werden?

Magull: Ich strebe nicht an, mein Gesicht ständig in der Öffentlichkeit zu sehen oder Nachfolgerin von Almuth zu werden. Um dauerhaft Aufmerksamkeit zu bekommen, muss man aber seine Meinung äußern – und das will ich tun.

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