
Deutschland vs. Serbien: Doppelter Schock vor der Pause
Löws harte Aufbau-Aufgabe Elf Sieger müsst ihr sein
Miroslav Klose hätte gewarnt sein können, als er Dejan Stankovic durch das Mittelfeld folgte. Es war die 37. Spielminute, Klose trug da bereits die Last einer Gelben Karte mit sich herum und er war nicht allein damit. Fünf Spieler hatte der spanische Schiedsrichter Alberto Undiano schon verwarnt und dabei den Eindruck erweckt, nur so ein Foul-Festival verhindern zu können.
"Überhaupt kein ruppiges Spiel" hatte Joachim Löw bis dahin gesehen, sagt er nach der Partie und es scheint, als schüttele er immer noch in Gedanken den Kopf über den Unparteiischen. Aber Löw sagt auch, Klose hätte es vermeiden können, mitten in der gegnerischen Hälfte eine weitere Gelbe Karte zu riskieren. Klose, das meint Löw, handelte fahrlässig, er hätte in dieser 37. Spielminute gewarnt sein müssen.
Doch Klose traf Stankovics Knöchel statt den Ball und Undiano zeigte Gelb-Rot. Ob die Entscheidung richtig war oder mit wenig Fingerspitzengefühl getroffen, ist nicht wichtig - die Fifa hat ihre Schiedsrichter angewiesen, bei Attacken von der Seite durchzugreifen. Wusste Löw davon nichts? Und war er nicht auch informiert über Undiano und sein Image als hart durchgreifender Schiedsrichter? "Ich habe meinen Spielern vor der Partie gesagt, dass sie sehr vorsichtig sein sollen", wird Serbiens Trainer Radomir Antic später sagen.
Und auch, dass diese Karte Deutschland sehr geschwächt habe.
Denn unmittelbar nach dem Platzverweis überlief Milos Krasic Holger Badstuber und flankte auf Nikola Zigic. Dessen Kopfballablage drückte Milan Jovanovic zum 1:0 über die Linie.
Es ist diese unglückliche Kettenreaktion, die Miroslav Klose zur tragischen Figur des Spiels macht. Wie schon beim 4:0-Auftaktrausch gegen Australien steht der Stürmer nach der 0:1-Niederlage gegen Serbien aber nur symbolisch für die gesamte Mannschaft. Spielfreudig, torgefährlich, laufstark, schnell - so präsentierte sich Klose gegen Australien. Sein Auftritt gegen Serbien war weit entfernt von grausig schlecht. Eher unglücklich.
"Ich bin todtraurig", sagt Klose später in der Mixed Zone. Er hätte der Mannschaft gern geholfen, kein böses Foul sei das gewesen, "ich glaube, da muss mich der Schiedsrichter noch mal verwarnen. Aber nicht gleich die zweite Gelbe ziehen". Wut bricht sich Bahn in diesem Moment und auch damit ist Klose nicht allein. "Mir fehlen fast die Worte. Ich verspüre Wut und Enttäuschung", sagt Bastian Schweinsteiger und erklärt Undiano kurzerhand zum Hauptverantwortlichen für die Niederlage. "Ich glaube, über den Platzverweis kann sich jeder Zuschauer selbst ein Urteil bilden", sagt Philipp Lahm.
DFB-Team im Frust über den Schiedsrichter vereint
Es scheint, als suchen sie hier in Port Elizabeth alle nach Halt und finden ihn erstmal nur im kollektiven Frust über den Schiedsrichter. Niemand hat diese Niederlage gegen Serbien erwartet, sie wirkt verstörend auf ein Team, das vor fünf Tagen noch das beste Team der WM war, gelobt von der Weltpresse. Und das jetzt plötzlich unbedingt dieses letzte Gruppenspiel gegen Ghana am Mittwoch (20.30 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) gewinnen muss, um nicht schon in der Vorrunde auszuscheiden. "Wir haben jetzt den Druck, den wir nicht wollten", sagt Löw. Es geht so schnell im Fußball, man muss nur Klose fragen. Oder Holger Badstuber.
Im ersten Gruppenspiel gegen Australien stand er plötzlich in der Startformation, obwohl er nach vorn kaum Wirkung zeigt. Aber von Badstuber erwartet man keine Offensivaktionen, keine Dribblings oder Flanken. Badstuber ist nicht fähig zum Multitasking wie Philipp Lahm, sein Pendant auf der rechten Seite. Badstuber soll hinten links ein Wachmann sein, der niemanden passieren lässt. Gegen Australien machte er das gut, aber es war auch leicht. Es gab niemanden, den man kontrollieren konnte.
Löcher auf links
Gegen Serbien aber gab es Milos Krasic, und der zeigte gnadenlos, dass die große Bühne des Fußballs noch zu groß sein könnte für den 21-Jährigen aus München. Und die Gegner zu schnell. Immer wieder überlief Krasic Badstuber, vor dem 0:1 in der ersten Hälfte oder vor dem Pfostenschuss Jovanovics in der zweiten. Einen "internationalen Klassespieler" nennt Löw den Rechtsaußen von ZSKA Moskau und es hört sich so an, als habe Badstuber gegen Lionel Messi schlecht ausgesehen oder gegen Cristiano Ronaldo. Aber Krasic ist kein Weltklassemann, gegen Ghana war er überhaupt nicht zu sehen. Auch Ghana hat schnelle Rechtsaußen und Deutschland ein Problem links hinten.
Joachim Löw wird eine Lösung finden müssen für die Position des Linksverteidigers und er wird sich auch fragen müssen, ob es sinnvoll war, das Team unverändert zu lassen. So konnte sich Serbiens Trainerfuchs Radomir Antic seelenruhig auf den Gegner ein- und seine eigene Taktik vom 4-4-2 auf ein 4-5-1 umstellen.
Löw wird aber vor dem Alles-oder-nichts-Spiel gegen Ghana vor allem die richtigen Worte finden müssen. Er kann seine Mannschaft loben dafür, dass sie auch nach dem Rückstand nicht die Ordnung verlor und auch in Unterzahl nach spielerischen Lösungen suchte. Er kann die Willenskraft hervorheben in der zweiten Hälfte und die Laufstärke, "enorm" sei diese gegen Serbien in den zweiten 45 Minuten gewesen, so Löw.
Euro 2008 als Mutmacher
Er kann darauf hinweisen, dass sich das DFB-Team zu zehnt noch fünf Torchancen erspielte und einen Elfmeter rausholte, das nächste Mal kann ja anstelle von Lukas Podolski auch wieder Bastian Schweinsteiger schießen wie schon gegen Bosnien in der Vorbereitung. Löw kann schließlich auch einfach nur beruhigend erwähnen, dass diesmal ein anderer Schiedsrichter pfeifen wird.
Oder er blickt zurück in die Vergangenheit. Bei der Euro 2008 verlor Deutschland sein zweites Gruppenspiel, 1:2 gegen Kroatien. Das DFB-Team damals ergab sich in sein Schicksal, "diese Mannschaft heute ist viel besser als die damals", sagt Löw nach dem Serbien-Spiel, "viel gewillter, das Ergebnis noch zu korrigieren." Warum also soll die Mannschaft von heute nicht das Gleiche wie vor zwei Jahren vollbringen und die Gruppenphase überstehen? "Wir werden die nächste Runde erreichen", sagt Löw, "wir haben es immer noch selbst in der Hand."