Nationalcoach Enrique attackiert ehemaligen Assistenten Der Trainer bin ich

Luis Enrique will nie wieder mit seinem ehemaligen Assistenten Robert Moreno zusammenarbeiten
Foto: Denis Doyle/ Getty ImagesIm Schnellzug nach Madrid habe er sich auf die bekannten Gesichter gefreut, sagte Luis Enrique. Und sicher hat er auch an die Vergangenheit gedacht: sie wird ihn ja immer begleiten. Hinter dem ehemaligen Coach des FC Barcelona liegt ein fürchterliches Jahr, in dem er seine neunjährige Tochter durch eine Krebserkrankung verlor. Nun wurde er in der Zentrale des spanischen Fußballverbands nach einem situationsbedingten Intermezzo von acht Monaten wieder als Nationaltrainer vorgestellt.
Der 49-Jährige konnte schon wieder jungenhaft strahlen, und er transportierte auch diese Energie, die immer sein Markenzeichen war. Die Stimme schien noch reibender als früher, und sein Körper noch durchtrainierter. Dünner sei er geworden, weil der Sport eine "bestialische Waffe" sei, um Trauer zu besiegen. Aber jetzt sei er wieder voller Zuversicht. "Mir wurde schnell klar, dass ich ins alte Leben zurück und wieder das tun wollte, was mir am meisten gefällt: im Fußball zu arbeiten."
Bevor am Samstag die EM-Gruppen ausgelost werden, bevor ein Quartier nahe dem spanischen Vorrundenspielorts Bilbao ausgesucht wird, musste Enrique allerdings noch Scherbengericht halten. "Den Müll wegschaffen", wie er selbst es nannte. Kurzum: die Hintergründe des Zerwürfnisses mit seinem langjährigen Freund und Weggefährten Robert Moreno aufklären. Dem Mann, der ihn seit seinem Einsteig als Trainer bei Barcelonas Reserve 2010 als Co-Trainer begleitete und der ihn während seiner Abwesenheit vertrat - aber dem ansonsten unveränderten Trainerteam nicht mehr angehören wird.
Für Enrique ist es Hochverrat
"Ich muss heute viel mehr Erklärungen geben, als ich es gern getan hätte", begann Enrique und leitete damit eine fulminante Abrechnung ein. Wo Verbandspräsident Luis Rubiales das Ende Morenos eher als dessen Entschluss dargestellt hatte, wo sich dieser, wohl auch aufgrund einer Verschwiegenheitsklausel in seinem Abfindungsvertrag, in einem Kommuniqué eher nichtssagend und versöhnlich geäußert hatte - da sprach sein ehemaliger Chef unverblümt Klartext. "Der einzige Verantwortliche dafür, dass Robert Moreno nicht mehr zu meinen Angestellten gehört, bin ich."
Am 12. September habe es ein Treffen mit Moreno gegeben, das erste und einzige seit dem Tod der kleinen Xana zwei Wochen zuvor. "Darin sagte er mir, dass er die EM machen will. Danach könne er wieder ins zweite Glied rücken." Für Enrique war damit der Tatbestand des Hochverrats eingetreten. "Für mich ist das illoyal. Ich würde das nie tun, und ich will so jemanden nicht in meinem Team. Ich verstehe seine Ambition, aber maßlose Ambition ist keine Tugend, sondern ein Defekt."
Enrique entließ Moreno mit der Bemerkung, er werde bald wieder trainieren, aber nie wieder gemeinsam mit ihm. Und fühlte sich durch den Ehrgeiz seines ehemaligen Assistenten nur noch weiter angestachelt, das Rückkehrangebot des spanischen Verbands an ihn selbst bald mit einer positiven Antwort zu bescheiden.
Moreno als Tragödiengewinnler
Ob er nicht auch mal über Morenos Vorschlag des Wechsels nach der EM nachgedacht hätte, wurde Enrique gefragt. Habe er, sagte er. "Ich habe erwogen, mich zurückzuhalten, aber das wäre verlogen gewesen." Und Falschheit, die wollte er sich am wenigsten nachsagen lassen - denn genau die unterstellt er ja Moreno.
Tatsächlich erklärte dieser rund um den Tod von Enriques Tochter öffentlichkeitswirksam, er würde jederzeit ins zweite Glied zurücktreten, denn "die Freundschaft steht über allem und jedem persönlichen Projekt". Trotzdem erkannte Enrique ein doppeltes Spiel und in Moreno einen Tragödiengewinnler, denn er gab sich an anderer Stelle für seine Arbeit "10 von 10 Punkten" und sehe sich als Trainer bei der EM. "Ich habe gesehen, wer mein Freund ist und wer nicht", sagte Enrique.
Der alte und neue Nationaltrainer will nicht lavieren, er operiert mit offenem Visier. "Ich bin nicht der Gute in diesem Film", resümierte er. "Aber bestimmt auch nicht der Böse." Anders als Verbandspräsident Rubiales, der während der letzten EM-Qualifikationsspiele durch zweideutige Äußerungen erst den angestrebten ruhigen Übergang torpedierte, sich danach aber für seine "Transparenz" feiern lassen wollte. Und anders auch als Moreno, der sich unter Tränen von den Spielern verabschiedete und den Eindruck von Verrat und Vertreibung bediente, aber bisher auch keine schlüssigen Erklärungen lieferte.
Bei der Nationalmannschaft werde sich inhaltlich nicht viel ändern, sagte Enrique: "Robert war ja einer aus unserem Team". So sehr, dass er Morenos Namen aus Versehen als Fitnesstrainer nannte, als er seine Assistenten-Equipe durchging. "Seht her, ich hege keinen Zorn gegen niemanden", lachte er über seinen Lapsus. Ob es nur ein Freudscher Versprecher war oder eine letzte Breitseite? So viel Geheimnis bewahrte sich am Ende eines denkwürdigen Tages auch der angriffslustige Enrique.