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Barças Luis Suárez Vom Beißer zum Helden von Berlin

Der Uruguayer Luis Suárez war als Fußballungeheuer beinahe geächtet. Jetzt schoss er Barcelona zum Triumph in der Champions League. Nur Trainer Luis Enrique wirkte seltsam bedrückt.
Von Jörg Kramer

Der Held schlich wie ein müder Krieger vom Platz, hinkend und vom Kampf gezeichnet. Da lächelte er immerhin schon. Dann, auf dem Podium der Sieger, humpelte er zum Pokal, und da strahlte er. Fast zwei Stunden nach dem Schlusspfiff, als er aus dem Berliner Olympiastadion zum Bus schlurfte und kurz bei den Journalisten stehen blieb, wirkte Luis Suárez bereits wie von innen beleuchtet - vor den Reportern stand ein glücklicher Mann.

Der Stürmer aus Uruguay, 80 Millionen Euro teuer und als Torgranate vom FC Liverpool geholt, hatte in seiner ersten Saison mit dem FC Barcelona die Champions League gewonnen. Und er war beim 3:1-Sieg gegen Juventus Turin im Berliner Finale der entscheidende Schütze gewesen. Nachdem Ivan Rakitic Barcelona früh in Führung gebracht hatte (4. Minute) und Álvaro Morata für Turin der Ausgleich gelungen war (55.), sorgte Suárez in der 68. Minute für die abermalige Führung und damit die Vorentscheidung. Neymar erhöhte in der Nachspielzeit.

Suárez erzielte in Berlin sein 25. Pflichtspieltor dieser Spielzeit, dabei hat er erst Mitte Oktober nach viermonatiger Fifa-Sperre mit dem Stürmen anfangen dürfen. "Harte Zeiten" seien das gewesen, stellte er jetzt fest, sie hatten ihm ja sogar das Trainieren verboten, er durfte sich keinem Fußballplatz nähern.

Das Image als Beißer

Suárez, das vermeintliche Ungeheuer, galt als Geächteter der Fußballwelt, weil er im WM-Spiel gegen Italien dem Gegenspieler Giorgio Chiellini aus Ohnmacht oder Verzweiflung seine Frontzähne in die Schulter gerammt hatte, das dritte Mal, dass er in seiner Karrriere einen Spieler biss. Er hatte damals Angst, dass Barcelona ihn vielleicht nicht mehr nehmen, der Transfer wegen der Sperre storniert werden würde.

Dabei war der Uruguayer durch den Wechsel endlich angekommen - bei seinem Lieblingsklub und in der Stadt, in die seine Jugendliebe Sofía vor Jahren mit ihren Eltern ausgewandert war. Sie sind jetzt verheiratet, haben zwei Kinder. Das klingt ohnehin fast zu kitschig, um wahr zu sein, und dann auch noch dieses vorläufige Ende in der Nacht von Berlin: Das Triple für Barça, das sei "nach so viel Leid und so viel Anstrengung der Lohn", sagte Suárez, irgendwie dankbar.

Der Sturm aller Stürme kontrolliert das Team

Bei Barcelona haben sie ihm psychologische Hilfe wegen der grotesken Beißattacken besorgt. Sie fanden heraus, dass er nur in besonderen Stresssituationen die Nerven verloren hatte und immer dann, wenn er auf dem Platz zu schwer an seiner Verantwortung trug. Mit "diesen spektakulären Kameraden" bei Barça sei es dann nach seiner Rückkehr auf den Platz für ihn einfach gewesen, meint dieser Berserker von einem Stürmer: Lionel Messi, Neymar, hochdekorierte Weltstars, sollten die doch die Verantwortung tragen!

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Suárez selbst, das rehabilitierte Ungeheuer, fügte sich in die Wühlarbeit, mit der er für die anderen Räume schafft. Das macht ihn beliebt, und es nahm Messi, der sonst immer eifersüchtig auf die Ankunft neuer Stürmer reagierte, den Anlass für Angst oder Futterneid. Eine ironische Pointe, dass nach Messis entschlossenem Solo dann doch der Wühler im wichtigsten Spiel gegen Juve traf. 122 Tore hat "MSN", der Sturm aller Stürme, in der Saison erzielt.

Messi-Suárez-Neymar haben die ganze Statik bei den Katalanen verschoben. Früher, zur Glanzzeit unter Coach Pep Guardiola, wurde das Barça-Spiel stets vom Mittelfeld aus betrieben und überhaupt erst gedacht. Heute fängt es oft erst an, wenn der Ball "El Tridente", den Dreizack der stürmenden Lateinamerikaner, erreicht hat. Barcelona schießt plötzlich atemberaubende Kontertore wie in Berlin. Die Mannschaft übersteht so auch Phasen, in denen sie wie jetzt gegen Juve fast die Kontrolle verliert. Früher ging alle Macht vom Trainer aus. Jetzt scheinen die Stürmer das Team zu kontrollieren.

Denn es waren dem Vernehmen nach Messi und Suárez selbst, die verabredeten, dass der Argentinier vom angestammten Platz im Zentrum auf die rechte Seite wechselte. Von dort aus lenkt er inzwischen das Spiel, setzt uneigennützig die Kameraden ein. Messi, der sonst jedes Tor selber wollte, ließ schon Neymar generös einen Elfmeter schießen und versteht sich bestens mit dem Uruguayer Suárez - die beiden tranken schon manchen Mate aus einem Becher.

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Der Trainer als Spielball der Mächte im Klub

Wenn er diese Harmonie herauskitzeln wollte, ist dem Trainer Luis Enrique ein Geniestreich geglückt. Noch im Januar hatte er auswärts in San Sebastián sowohl Messi als auch den Brasilianer Neymar auf der Bank schmoren lassen, das Spiel verloren und damit fast einen Aufstand ausgelöst. Jetzt hat der chronisch heisere Asturier in seinem ersten Barcelona-Jahr als Coach alle drei Titel geholt, und dennoch wirkt er nur wie ein Spielball der Mächte im Klub.

In Berlin wurden ihm derart kritische Reporterfragen gestellt, als hätte er eine wichtige Partie in den Sand gesetzt. Er verteidigte und entschuldigte sich fast für Turins Überlegenheit nach dem 1:1. Er wich Fragen nach seiner Zukunft aus ("erst mal feiern"), und nachdem sein Fürsprecher Andoni Zubizarreta im Januar als Sportdirektor entlassen wurde, wirkt er zunehmend isoliert. Bleibt er überhaupt? Er wiederhole sich, insistierte Luis Enrique: Er wolle den Abend genießen. Es klang aber nicht, als hätte er Spaß.

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