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Tod von ManUniteds "Busby Babes": Tragische Rückreise

Foto: INTERCONTINENTALE/ AFP

ManUniteds legendäre "Busby Babes" Das Unglück von München

Helden sterben jung: Acht Spieler der legendären "Busby Babes" kamen 1958 beim Flugzeugunglück in München ums Leben. Noch heute ist es das entscheidende Ereignis in der Geschichte von Manchester United. Danach wurde aus dem Club eine Institution.
Von Dietrich Schulze-Marmeling

Dies ist die gekürzte Fassung des Kapitels "München 1958" aus dem Buch "United - Vom Arbeiterverein zum Fußball-Unternehmen".

Einen Tag nach der "Schlacht von Belgrad" tritt Manchester United am 6. Februar 1958 die Heimreise an. Im damaligen Jugoslawien hatten die "Red Devils" zum zweiten Mal in Folge das Halbfinale des Europapokals der Landesmeister erreicht. Das Team gilt als kommende Übermannschaft - ähnlich wie es der FC Bayern derzeit ist.

Da Johnny Berry seinen Reisepass nicht auffinden kann, startet die vom Verein gecharterte Maschine "Lord Burghley" mit einer Stunde Verspätung. Der British-Airways-Flug 609 nach Manchester führt über den Münchner Flughafen Riem, wo die Maschine einen planmäßigen Auftankstopp einlegt. Pilot James Thain bricht zwei Startversuche ab, als er unregelmäßigen Druck in den Triebwerken feststellt. Die Passagiere müssen die Maschine verlassen und in die Lounge des Flughafens umziehen. In München hat derweil ein heftiges Schneetreiben eingesetzt. Duncan Edwards telegrafiert seiner Vermieterin in Manchester: "Alle Flüge sind abgesagt, wir fliegen erst morgen."

Aber wenig später lädt Thain zu einem dritten Versuch ein. Vom Tower hat er die Nachricht erhalten, dass er bis 15.04 Uhr starten muss. Die Passagiere besteigen die "Lord Burghley", allerdings mit veränderter Sitzordnung. David Pegg und Tommy Taylor tauschen ihre Plätze mit Bobby Charlton und Dennis Viollet, da sie sich im Heck sicherer fühlen. Eine fatale Entscheidung, die Erstere das Leben kosten und Letzteren das Leben retten wird.

Tod in München

Um 15.03 Uhr unternimmt Pilot Thain seinen dritten Startversuch. Die Startbahn ist mittlerweile von Schneematsch bedeckt. Die "Lord Burghley" erreicht eine Geschwindigkeit von 117 Knoten (für einen sicheren Start sind 119 erforderlich), die aber plötzlich auf 105 Knoten abfällt. Zu wenig, um richtig abzuheben - und zu viel, um auf den verbleibenden Metern der Startbahn die Maschine noch zum Stoppen zu bringen.

Das Flugzeug durchschlägt den Zaun am Ende der Rollbahn, hinter dem eine Gärtnerei liegt. Die Maschine rast durch die Gärtnerei und direkt auf eine Baracke zu, in der ein Fuhrunternehmen untergebracht ist. Davor stehen zwei große Betonblöcke, auf denen während des Krieges für die Flakschützen Scheinwerfer montiert waren, die den Himmel nach britischen Kampffliegern absuchen sollten. 13 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zerschellt an diesen Blöcken ein britisches Zivilflugzeug. Durch das ausgetretene Kerosin gerät die Baracke in Flammen. Vier Passagiere verbrennen sofort.

Das Flugzeug ist in zwei Teile zerbrochen. Torwart Harry Gregg wird nun zum Helden von München. Der damals 18-jährige Bobby Charlton ist mit seinem Sitz aus dem Flugzeug geschleudert worden und bewusstlos. Gregg glaubt, dass sein Mannschaftskamerad tot ist. Er fasst Charlton am Hosenbund und zerrt ihn weg von den Maschine. Gregg befürchtet, dass diese bald explodiert. Auch Dennis Violett wird von Gregg aus der Gefahrenzone gebracht.

Gregg selber geht zurück ins Wrack und rettet die schwangere Jugoslawin Verena Luki und deren Tochter Vesna. Gregg geht als "The Hero of Munich" in die Geschichte ein, für Luki ist er schlicht "Superman".

Nur sieben spielen weiter

Geoff Bent, Roger Byrne, Eddie Colman, Mark Jones, David Pegg, Tommy Taylor und Liam Whelan - sieben United-Spieler sterben noch an der Unglücksstelle. Ein achter, der 21-jährige Duncan Edwards, erliegt seinen Verletzungen 15 Tage später. Edwards wird in seiner Heimatstadt Dudley beigesetzt, 50.000 Menschen folgen seinem Sarg. Pfarrer Dawson Catterall sagt auf der Beerdigung: "Talent und Genialität werden wir noch einmal begegnen, aber es wird nie wieder einen Duncan Edwards geben."

Unter den insgesamt 23 Todesopfern befinden sich auch United-Sekretär Walter Crickmer, Trainer-Assistent Bert Whalley und United-Ausbilder Tom Curry. Außer ihnen sterben acht Journalisten, von denen einige zu den Koryphäen ihres Gewerbes zählen.

United-Trainer Matt Busby wird mit den anderen Verletzten ins Münchner Klinikum Rechts der Isar eingeliefert, wo sich Professor Dr. Georg Maurer ihrer annimmt. Busby erhält zweimal die letzte Ölung, aber der Coach überlebt. Um ihn zu schonen, wird ihm der Tod seines hoffnungsvollsten Spielers, Duncan Edwards, zunächst verschwiegen. Neun Wochen nach dem Unglück kann der 48-jährige Busby das Krankenhaus verlassen und nach Manchester zurückkehren.

Nur sieben der 17 Spieler, die mitgereist sind, werden anschließend wieder professionell Fußball spielen. Charlton, Viollet, Gregg und Bill Foulkes bleiben dem Team als Leistungsträger erhalten und laufen noch während der Saison 1957/1958 wieder für United auf. Gregg und Foulkes blieben als einzige unverletzt blieben und mussten nicht ins Krankenhaus. Charlton konnte als Erster der Verletzten das Münchner Krankenhaus acht Tage nach dem Unglück verlassen.

Die beiden jungen Flügelstürmer Ken Morgans und Albert Scanlon verschwinden in den unteren Divisionen der Football League. Ersatzkeeper Ray Wood schließt sich später dem Zweitligisten Huddersfield an. Jackie Blanchflower und Johnny Berry, der zwei Monate im Koma liegt, müssen ihre Karriere beenden.

Ein Pilot als Sündenbock

Die Verwaltung des Flughafens München-Riem bezichtigt zunächst den überlebenden Piloten Thain, für das Unglück verantwortlich zu sein. Er habe versäumt, die Tragflächen der Maschine zu enteisen. Tatsächlich aber war es der Schneematsch auf der Rollbahn gewesen, der die "Lord Burghley" daran hinderte, die erforderliche Abfluggeschwindigkeit zu erreichen. Für Verhältnisse mit Schnee und Eis war die Piste zum Abheben zu kurz.

Die Ermittlungen gegen Thain ziehen sich bis 1968 hin, dann wird der Kapitän, der kurz nach dem Unglück von den British European Airways entlassen worden war und nie wieder in seinen Beruf zurückkehrte, endlich rehabilitiert. Viel nützt ihm das nicht: Im April 1969 entscheidet ein geheimes Treffen von Ministern, dass die diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland wichtiger seien als die Person James Thain. Lord Chalfont, im Foreign and Commonwealth Office für die Europapolitik der Regierung zuständig, rät davon ab, die Deutschen um eine neue Untersuchung des Unglücks zu bitten. Dies würde nur zum "Verlust des guten Willens der Deutschen uns gegenüber" führen. Der zum Sündenbock erkorene Thain erliegt 1975 im Alter von nur 53 Jahren einem Herzinfarkt.

Am Unfallort im Münchner Stadtteil Trudering erinnert seit dem 22. September 2004 ein Gedenkstein an das Unglück vom 6. Februar 1958. "Wenn United in München spielt, wird Kirchtrudering für die Engländer zu einer Art Wallfahrtsstätte", hat der ehemalige bayerische Landtagsabgeordnete und Münchner Stadtrat Hermann Memmel (SPD) beobachtet, der die Gedenkstätte auch als Beitrag zur Völkerverständigung zwischen Deutschen und Briten betrachtet. "1958 waren die Beziehungen noch nicht so gut. Die dachten, wir wären alle Nazis - und sahen, dass wir Menschen waren. Den Professor Maurer hat ja sogar die Queen empfangen", sagt er später dem "Tagesspiegel". Am 28. April 2008 wird der Platz, auf dem der Gedenkstein steht, aus Anlass des 50. Jahrestags des Unglücks in Manchesterplatz umbenannt.

Nur 13 Jahre nach Kriegsende führt das Unglück tatsächlich zur Verbesserung der englisch-deutschen Beziehungen. Die breite Anteilnahme in Deutschland, die Arbeit der Ärzte und die enorme Hilfsbereitschaft - zwei deutsche Journalisten hatten Morgans gerettet, als die Bergungsarbeiten eigentlich schon beendet waren - hinterlassen auf der Insel einen nachhaltigen Eindruck. Zwischen United und dem FC Bayern entsteht eine enge Freundschaft.

Helden sterben jung

München 1958 ist nicht die größte, aber die bekannteste Katastrophe in der Geschichte des modernen Sports. Dass dieses Unglück in der Erinnerung stärker haften bleibt als das der Turiner Fußballer von 1949, liegt in der Jugendlichkeit der "Busby Babes" begründet.

Das Durchschnittsalter des Teams, das Matt Busby in Belgrad in die "Battle" schickte, betrug lediglich 23 Jahre. Die "Babes" hatten ihre große Zeit noch vor sich. Das Team wurde nicht für das berühmt, was es zum Zeitpunkt von München war, sondern was es hätte werden können.

Der Mythos der "Busby Babes" reflektiert eine Mischung aus Jugend, Tod und einem unerfüllten Traum. Ob Duncan Edwards tatsächlich der beste Spieler der Geschichte geworden wäre und 1966 den WM-Pokal in die Luft gereckt hätte, lässt sich nicht beweisen. So erinnert das Schicksal der "Busby Babes" an das von James Dean, Buddy Holly oder Jimmy Hendrix, die zu früh starben, um einen miserablen Film oder einen schrecklichen Song abzuliefern. Helden sterben jung.

Der Mythos wird durch einige Faktoren verstärkt: Einige "Babes" überleben das Unglück, darunter mit Busby der Architekt des Teams. Der Club wird wie Phönix aus der Asche aufsteigen und zehn Jahre später unter Federführung Busbys doch noch den Europapokal der Landesmeister holen. Bobby Charlton wird 1966 Weltmeister werden.

Vom Club zur Institution

München 1958 verändert Uniteds Identität und die Wahrnehmung des Clubs. Das Desaster ereignet sich zu einer Zeit, in der das Fernsehen stark auf dem Vormarsch ist. Nach München kennt jeder Engländer den Manchester United Football Club - auch diejenigen, die sich nicht für Fußball interessieren. Harry Gregg: "Manchester United wandelte sich von einem Fußballclub zu einer Institution."

Als United 15 Tage nach dem Unglück erstmals wieder das Spielfeld betritt, haben die Fans ihre rot-weißen Schals mit einem Trauerflor drapiert. Der Verein modifiziert seine Farben zu Rot-Weiß-Schwarz. Die Erinnerung an die Katastrophe wird zu einem zentralen Bestandteil der Club-Identität.

Nicht nur in England wird United von einer ungeheuren Welle der Sympathie überrollt. "Vor 1958 waren wir das Team aus Manchester. Nach 1958 sah es so aus, als ob die ganze Welt United-Fan werden wollte", sagt Bobby Charlton.

Ryan Giggs, seit 1987 Spieler bei United, sagt einmal: "Die Menschen vergessen nie, was mit den 'Busby Babes' passierte, sie würdigen diese und zollen Respekt. Das ist etwas, worauf Manchester United immer stolz war - auf die Geschichte und das Weitertragen des Vermächtnisses."

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