Manchester United Vom Branchenkrösus zum Bittsteller

Mehr als 800 Millionen Euro Schulden und eine Mannschaft, die in die Jahre kommt: Manchester United kann nicht mehr verbergen, wie sehr die Investorenfamilie Glazer den Verein heruntergewirtschaftet hat. Die Geldnot könnte den Verein sogar zum Verkauf des Old-Trafford-Stadions zwingen.
Von Carsten Eberts
Stürmerstar Rooney: Einer der wenigen Stars, die noch Geld bringen

Stürmerstar Rooney: Einer der wenigen Stars, die noch Geld bringen

Foto: DARREN STAPLES/ REUTERS

Die Fans laufen Sturm. "Je länger die Glazers den Verein führen, desto mehr Schaden fügen sie ihm zu", sagt Duncan Drasdo, Vorsitzender des Fanverbands Supporters Trust des englischen Meisters Manchester United. Drasdo steht der mächtigen Fanvereinigung schon einige Jahre vor, hat oft das Wort erhoben, sich den Mund verbrannt, sich den Zorn der Eigentümerfamilie Glazer eingehandelt, die den Club 2005 übernommen und seitdem herunter gewirtschaftet hat. "Seit fünf Jahren zeigen wir nun die Probleme mit den Besitzern auf. Nun kann sie jeder sehen und zwar Schwarz auf Weiß", sagte Drasdo dem "Telegraph".

Es geht um ein Versprechen, das Joel Glazer, der Vorstandsvorsitzende von Manchester United, im Jahr 2005 gegeben hatte. "Wir werden uns nicht am Eigentum des Clubs vergreifen", sagte Glazer dem Haussender von United in einem Interview. Dieses Eigentum beinhaltet bei Fußballunternehmen normalerweise Güter wie Spieler, das Trainingsgelände oder das vereinseigene Stadion, in diesem Fall Old Trafford. "Das ist das Erbe und das Fundament dieses Clubs. So etwas wird nicht passieren", versprach Glazer. Das war vor fünf Jahren. Seitdem wurden Spieler verkauft, längst wird auch diskutiert, wie sich aus dem Trainingsgelände Geld machen lässt. Die Fans befürchten, dass Glazer auch sein letztes Versprechen brechen wird. Sie fürchten um ihr eigenes Stadion.

Denn Manchester United benötigt Geld. Viel Geld. Den Club drücken Schulden in Höhe von 716,5 Millionen Pfund (822 Millionen Euro). So geht es aus der Bilanz für das abgelaufene Finanzjahr hervor. Das ist der Zeitraum, in dem bei United auch rund 94 Millionen Euro für seinen Mittelfeldstar Cristiano Ronaldo eingingen. United hatte im Anschluss darauf verzichtet, das Geld von Real Madrid zu investieren, gab etwa kein weiteres Angebot für Franck Ribéry vom FC Bayern München ab, für den ManU kurzzeitig Interesse zeigte. Jetzt ist bekannt: Der Verein brauchte das Geld um seine Zinsen zu zahlen. Allein im vergangenen Jahr waren dafür rund 46 Millionen Euro nötig. Und der Club hat kaum Reserven: Sogar der Vertrag mit Trikotsponsor Aon (90 Millionen Euro für vier Jahre) wurde bereits zur Hälfte vorab ausgezahlt.

Das letzte Tabu ist der Verkauf von Old Trafford.

Um diesen Schritt noch etwas hinauszuzögern, ist Geschäftsführer David Gill in der vergangenen Woche um die halbe Welt gejettet. Fernost, Europa, USA. Mit einer 322 Seiten starken Broschüre versuchte der 52-Jährige, neue Investoren für seine Marke zu begeistern. Gill war erfolgreich: Rund 550 Millionen Euro konnte er besorgen, will damit nun die Schulden des Vereins zugunsten niedriger Zinsen umschichten. 50 Investoren, berichtet die "Times", hätten Gills Wertpapiere gekauft, für einen stolzen Satz von neun Prozent Zinsen. Finanzexperten nennen die Papiere "junk bonds" (engl. Ramschanleihe), weil bei Manchester United in den kommenden Jahren keine Wertsteigerung zu erwarten ist. Der Glazer-Familie ist das egal: Die "Times" berichtet von einem "großen Seufzer der Erleichterung", den die Familienmitglieder nach Gills Rückkehr ausgestoßen hätten. Das Vorgehen hat insgesamt eine neue Qualität: Mittlerweile sind die Heuschrecken im britischen Fußball selbst auf Geldgeber angewiesen, die sie vor der Pleite bewahren.

Die Familie bedient sich trotzdem

Wie konnte es beim einst reichsten Club der Welt so weit kommen? Der Zorn in Manchester richtet sich gegen die Eigentümerfamilie Glazer aus Miami, der auch der marode NFL-Club Tampa Bay Buccaneers gehört. Auf Pump hatte Malcolm Glazer 2003 begonnen, Anteile von Manchester United aufzukaufen. Im Mai 2005 erlangte Glazer schließlich die Mehrheit, brachte den Verein wenig später an die Börse. Manchester United ging in das Privateigentum der Familie über. Die Fans wehrten sich, Tausende gründeten aus Protest sogar einen neuen Club. Der spielt in der siebten englischen Liga, hört auf den Namen FC United und rekrutierte seine ersten Spieler aus einem weltweiten Casting.

Die übrigen ManU-Fans konnten nicht verhindern, dass Glazer das Darlehen für den Kauf auf den Verein umschrieb. Als die Glazers von der Wirtschaftskrise getroffen wurden, nahm die Talfahrt auch bei ManU ihren Lauf. Der tiefe Fall vom wertvollsten Verein der Welt zum Sanierungsobjekt zeigt, wie Investoren einen Verein zugrunde richten können. In der jüngsten Bilanz ist zudem verzeichnet, dass sich die Familie - trotz aller Schwierigkeiten - in den vergangenen Jahren 22,9 Millionen Pfund an Gehältern und privaten Darlehen genehmigt hat. Von den Glazers hört man dazu nichts. Die Familie schweigt lieber.

"Eine Bombe mit Zeitzünder"

Beim Liga-Pokalspiel gegen Manchester City am Dienstag, bei dem ausgerechnet der frühere ManU-Stürmer Carlos Tevez zwei Treffer erzielte, hingen wieder Plakate mit der Aufschrift "Love United, Hate Glazer" im Stadion. Das Schlimmste für die Fans: Ausgerechnet United ist in die Hände eines der schlechteren Geldgeber geraten. Beim FC Chelsea investierte Roman Abramowitsch rund 340 Millionen Pfund und machte den Club, den er eher als Hobby führt, damit schuldenfrei. Lokalrivale Manchester City erhielt von seinem Scheich Mansour in den vergangenen zwei Jahren rund 400 Millionen Pfund, leistet sich die teuersten Spieler, wie den Brasilianer Robinho für knapp 80 Millionen Euro. Und United? Der Verein muss mittlerweile seine Besitzer finanzieren. Drasdo vom Supporters Trust sagt: "Es ist eine Bombe mit tickendem Zeitzünder."

Die beiden Tore von Tevez zeigen auch, wie sich derzeit die Finanzverhältnisse im englischen Fußball verschieben. Denn der argentinische Stürmer war von United zu den Citizens gewechselt, und nicht, wie zuvor üblich, vom kleinen City zu Platzhirsch United. Das ist so, als würde Mario Gomez in der Bundesliga plötzlich vom FC Bayern zum VfB Stuttgart wechseln, weil er dort mehr Geld verdienen kann. Mit den Gehältern, die Chelsea und City derzeit zahlen, kann United nicht mithalten. Die Mannschaft ist überaltert, wurde in der Liga jüngst von Chelsea und dem FC Arsenal überholt. An Spielern, die ähnlich viel Geld bringen könnten wie Cristiano Ronaldo, ist nur noch Wayne Rooney übrig, den Ronaldo erst Ende 2009 zuletzt nach Madrid locken wollte. Die nächste Offerte von Real Madrid oder dem FC Barcelona wird Manchester kaum abschlagen.

Dann haben sie bald nur noch Old Trafford.

Mit Material von sid und dpa
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