Nachruf auf WM-Fußballer Manfred Schaefer Der australische Milchmann, der in Deutschland zum Medienstar wurde

Er war eines der Gesichter der Fußball-WM 1974: Der deutschstämmige Manfred Schaefer sorgte bei seinem Auftritt mit Australiens Nationalelf damals für Schlagzeilen. Im Alter von 80 Jahren ist Schaefer nun gestorben.
Manfred Schaefer 1974 im Duell mit Gerd Müller

Manfred Schaefer 1974 im Duell mit Gerd Müller

Foto:

IMAGO /Horstmüller

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Wer an die Fußball-WM 1974 zurückdenkt, denkt an Gerd Müller, natürlich. Daran, wie Johan Cruyff durch das Turnier schwebte, bevor Bernd Hölzenbein die Niederländer im Finale zu Fall brachte. An Jürgen Sparwassers Tor in Hamburg, an die Regenschlacht von Frankfurt gegen Polen, an die bunte Eröffnungsfeier, als Frank Schöbel, der DDR-Sänger, aus dem riesigen Fußball herausstieg.

Und es gab Manfred Schaefer. Den Milchmann.

Schaefer ist am Dienstag im Alter von 80 Jahren gestorben. Das Weltturnier 1974 war seine Bühne.

Zaire, Haiti, Australien

Eine Fußballweltmeisterschaft war in jenen Zeiten noch die Gelegenheit, Fußballer aus Ländern zu sehen, die abseits der WM entweder völlig unbekannt waren und von denen auch die leidenschaftlichsten Fußballfans in Europa wenig Ahnung hatten.

Bei der WM in Deutschland im Abwehrzentrum

Bei der WM in Deutschland im Abwehrzentrum

Foto: Frinke / IMAGO

1974, das war eben auch die WM der Fußballer aus Zaire, das heute gar nicht mehr so heißt, die in der Gruppenphase gegen Jugoslawien, das heute auch nicht mehr so heißt, 0:9 verloren. Es gab die Fußballer aus Haiti mit ihrem beeindruckenden Torwart Henri Francillon, die Haitianer, die gegen Italien sogar in Führung lagen.

Von Fußball-Exoten sprach man damals noch, und der dritte sogenannte Exot dieses Turniers, das waren die Australier.

1953 von Bremen nach Australien

Nie zuvor war das Team vom fünften Kontinent bei einer Weltmeisterschaft dabei gewesen, über australischen Fußball wusste man außerhalb Australiens so gut wie nichts, und die Australier wussten umgekehrt auch nicht viel mehr vom Fußball in der Welt. Und so suchten sich die Medien andere Geschichten und fanden die Story des Manfred Schaefer.

Der Name verrät es schon, Schaefer kam aus Deutschland, er war in Pillau in Ostpreußen geboren, seine Familie war in den letzten Tagen des Weltkriegs in den Westen geflohen, in Quelkhorn bei Bremen fand die Familie Schaefer Aufnahme. Dort lernte der kleine Manfred das Fußballspielen und nahm es mit nach Australien, als er mit seinen Eltern 1953 dorthin auswanderte.

In der neuen Heimat brachte er es bis zum Nationalspieler, ein wuchtiger Innenverteidiger, »der so fit war, dass er uns allen davonlief«, hat sich der damalige Assistenztrainer der Nationalmannschaft, Les Scheinflug, im SPIEGEL erinnert. Seine Fitness führte Schaefer auf seinen Beruf zurück: Sein Geld verdiente er nicht mit dem Fußball, sondern als Milchmann.

40 Kilometer am Tag zu Fuß

Bis zu 40 Kilometer legte Schaefer Tag für Tag zu Fuß zurück, um den Leuten ihre Milchflaschen vor die Tür zu stellen. Erst danach ging er zum Training.

Auf dem Platz war er eher Holzfäller als Milchmann, ein knallharter Abwehrspieler, als der berühmte FC Santos auf einer seiner Welttouren 1972 einmal zu einem Freundschaftsspiel in Australien aufkreuzte, hatte der große Pelé es mit Schaefer zu tun. Nach einem Zweikampf meinte der Superstar zu ihm: »Ich weiß, wie du heißt. Du bist Mister Bastard.« Eine beste Voraussetzung für eine Freundschaft. Die entstand tatsächlich.

Schaefer und Pelé blieben in Kontakt, bei der WM in Deutschland, der Pelé als Ehrengast beiwohnte, begrüßte er Schaefer als seinen »Mister Bastard«.

Gegen die DDR und die Bundesrepublik

Vor der WM 1970 scheiterten Schaefer und seine Socceroos noch in der Qualifikation an Israel, vier Jahre später war es aber dann so weit. Über Iran und Südkorea schaffte Australien zum ersten Mal den Sprung zu einer Weltmeisterschaft – und dann noch in Deutschland, Schaefers alter Heimat. Und als sei das alles noch nicht genug: Das Los bescherte den Australiern für die Gruppenphase die DDR und die Bundesrepublik. Das deutsche Gesamtpaket für den verlorenen Sohn.

Gegen Uli Hoeneß und die Bundesrepublik in Hamburg

Gegen Uli Hoeneß und die Bundesrepublik in Hamburg

Foto: IMAGO / Horstmüller

Die WM startete für die Australier mit einer 0:2-Niederlage gegen die DDR, am 18. Juni in Hamburg kam es dann zum Aufeinandertreffen mit dem Gastgeber. Die westdeutschen Medien hatten im Vorfeld vom Gegner nichts zu berichten als die Heimkehr von Manfred Schaefer. Ein strohblonder, kantiger Abwehrhüne, aufgewachsen bei Bremen, der jetzt in Hamburg gegen Gerd Müller spielte – das war eine Story, die wie gemalt war zur Vorberichterstattung.

Keiner für den großen Rummel

Schaefer wurde so zum Gesicht der Australier bei der WM, der eine oder andere Reporter verirrte sich sogar nach Quelkhorn, um alte Nachbarn der Schaefers aufzuspüren. Dem Spieler selbst war der ganze Rummel unangenehm, Schaefer war kein Mann großer Worte und noch weniger einer fürs Scheinwerferlicht, aber er kam nicht drumherum.

Die Bundesrepublik führte schnell durch Wolfgang Overath und Bernd Cullmann 2:0, trotzdem: Die Australier mit ihrer beinharten Spielweise nervten den großen Favoriten. Franz Beckenbauer schimpfte auf dem Platz wie ein Rohrspatz, legte sich mit dem pfeifenden Publikum an, das 3:0 von Gerd Müller nach der Pause änderte daran wenig. Am Ende fühlten sich die Sieger wie Verlierer, die Verlierer wie die Gewinner.

Mit dem Selbstvertrauen, sich gut verkauft zu haben, gelang den Australiern in ihrem Abschlussspiel gegen Chile sogar ein 0:0. Zum ersten Mal hatte nicht nur ein ozeanisches Team teilgenommen, es hatte sogar noch einen Punkt geholt.

49 Länderspiele, kein Tor

Das Spiel gegen die Chilenen war Schaefers 49. Länderspiel. Es war auch sein letztes. Schon lange musste er sich mit hartnäckigen Verletzungen herumschlagen, Tribut seiner körperlichen Spielweise. Nach der WM ging es nicht mehr weiter. Schaefer musste aufhören. Ein Länderspieltor blieb ihm nicht vergönnt, es war noch die Zeit, als die Innenverteidiger die gegnerische Hälfte nicht betraten.

Schaefer wurde Trainer, ein recht erfolgreicher sogar. Nach einem Engagement bei seinem Klub Saint George Budapest, für den er zuvor mehr als zehn Jahre gespielt hatte, betreute er auch zahlreiche andere australische Teams. Mit den Marconi Stallions aus Sydney erreichte er in den Neunzigerjahren sogar mal das Meisterschaftsfinale und unterlag Melbourne Knights FC.

Auch Tochter im Fußball aktiv

Milchflaschen trug er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr aus, in den Achtzigerjahren machte er Schluss damit. Die Beine machten das nicht mehr mit, und irgendwann brauchte es auch keine Milchmänner mehr, die zu Fuß von Haus zu Haus liefen.

Das Talent im Fußball erbte seine Tochter, die für die Nationalelf zweimal im Tor stand, Schaefer selbst zog sich aus dem Geschäft mehr und mehr zurück. Aber vergessen haben sie ihn nie in Down Under. In die Hall of Fame des australischen Fußballs wurde er aufgenommen, zum Gedenken an seinen Tod tragen die Socceroos bei ihrer Partie gegen Ecuador am Dienstag Trauerflor. Sie sollten ein Glas Milch auf ihn trinken.

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