Manuel Neuer und der FC Bayern Seltsames Schauspiel

"Ich bin Sportler, ich bin Profi - und ich will immer spielen. Ich bin kein Statist, sondern Protagonist."
Das waren die Worte von Manuel Neuer, Anfang Januar, der Bayern-Torwart und die Münchner Mannschaft waren gerade im Trainingslager in Katar. Damals glaubte man noch, dass die Vereinsfußballsaison mit dem Finale der Champions League am 30. Mai enden würde.
Neuer wählte diese Worte, weil sein Verein die Verpflichtung des Torwarttalents Alexander Nübel vom FC Schalke bekannt gegeben hatte, von einem 23-Jährigen, dem die Rolle als Nummer eins des Rekordmeisters einmal zugetraut wird. Aber solange er, Manuel Neuer, Welttorhüter, einen Vertrag beim FC Bayern besitzt, eben nicht - als Neuer das sagte, saß er auf einem Stuhl mit roter Lehne, mit goldener Umrandung. Eigentlich war es nicht wirklich ein Stuhl. Es war eher ein Thron.

Der Thron des Torhüters
Foto: Bernd Feil/M.i.S./ imago images/MISMittlerweile wirken solche Sätze wie aus einer anderen Zeit: Ansagen von Profis, der Kampf um die Stammplätze. Die Covid-19-Pandemie hat auch den Alltag der Sportwelt massiv verändert. Wann das Endspiel in der Champions League stattfindet? Niemand weiß das. Der Fußball ist ausgebremst worden.
Aber Manuel Neuer und der FC Bayern, dieses Thema kann offenbar auch durch das Coronavirus nicht gestoppt werden. Dieses Thema scheint gerade eher weiter an Fahrt aufzunehmen, zumindest wirkt es so. In einem Interview mit der "Bild am Sonntag" beklagte sich der Bayern-Torhüter über seinen Verein, für den er seit 2011 spielt. Er vermisse in den aktuellen Verhandlungen über einen neuen Vertrag "Wertschätzung", zumindest wird dieser Punkt von Neuers Berater, Thomas Kroth, angeregt, der in dem Gespräch ebenfalls zu Wort kommen darf. Neuer sagt dazu: "Das stimmt."
Maulwurf war immer
In diesem sehr unüblichen Doppelgespräch - meist lenken Berater eher im Hintergrund - werfen Neuer und Kroth dem FC Bayern Indiskretion vor, schlechten Stil. Zusammen kämpfen sie um die Deutungshoheit, gegen den Eindruck eines gierigen Profis. Inhalte aus den Vertragsverhandlungen mit Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn würden "offenbar gezielt nach außen getragen" werden. "Das kenne ich so nicht beim FC Bayern", sagt Neuer, offenbar ahnungslos, dass sein ehemaliger Trainer Niko Kovac fast regelmäßig von fehlender Diskretion im Klub sprach. Wie auch schon Pep Guardiola, Jupp Heynckes oder Louis van Gaal. Der Maulwurf wäre kein schlechtes Wappentier.
In der Öffentlichkeit hieß es, dass Neuer einen Fünfjahresvertrag (am Ende der Laufzeit wäre er 39 Jahre alt) mit 20 Millionen Euro Jahresgehalt fordere. Sein Berater sagt nun: "Diese Zahlen sind beide schlichtweg falsch." Welche Zahlen richtig wären, wird nicht gefragt. Nur: dass man bei Laufzeit und Gehalt "flexibel" sei.
Was immer das heißt, es drängt sich die Frage auf: Warum gelingt die Vertragsverlängerung dann nicht?
Es ist bekannt, dass Neuer einen hohen Stellenwert im Team genießt. Er ist Kapitän, inzwischen schon seit drei Jahren. Und es ist auch bekannt, dass Neuer sich seit dieser Saison wieder zu den besten Torhütern der Welt zählen darf. Das "wieder" muss hier stehen, weil es nach seiner schweren Verletzungszeit, die ihn ab April 2017 über ein Jahr ausgebremst hatte, leise Zweifel gab: Kommt der noch mal zurück? Anfangs schienen die Zweifel berechtigt, inzwischen nicht mehr.
Handlungsfähig auch in der Krise: Flick, Müller, Thiago
Hansi Flick drückt es so aus: "Nicht nur ich würde mich freuen, wenn Manu verlängert." Und: "Manu weiß, was ich von ihm halte." Flick ist der Coach, den der Klub gerade erst mit einem Vertrag bis 2023 ausgestattet hat - während der Coronakrise. Ein großer Vertrauensbeweis. Flick soll den Verein in die Zukunft führen, er verantwortet das Team. Und dieser Trainer setzt eben auch in seinen Planungen auf Manuel Neuer. Das klingt zumindest mal nach sportlicher Wertschätzung.
Dass die Coronakrise den FC Bayern bei Neuer zögern lässt, ist nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich. Das berühmte Festgeldkonto wird zwar nicht unendlich gefüllt sein und selbst beim Rekordmeister werden Umsätze zurückgehen. Aber der Klub ist eben auch aktuell handlungsfähig, und bereit, Geld auszugeben.

Der ehemalige Löw-Assistent Flick und Neuer wurden 2014 Weltmeister mit dem Nationalteam
Foto:LakoPress/ imago images/Lackovic
Das zeigt nicht nur die Flick-Personalie, sondern auch die Vertragsverlängerung von Thomas Müller, 30 Jahre, der nun bis 2023 bleiben soll. Auch beim spanischen Offensivgestalter Thiago, 29 Jahre, sieht es nach einem neuen Vertrag aus, schrieb das Fachmagazin "Kicker " in der vergangenen Woche: "Thiago vor Vertragsverlängerung bis 2023". Beide sind begehrte Spieler auf dem Transfermarkt, beide unterschreiben jetzt ihre letzten großen Verträge. Beide dürften dem Verein kein Geld geschenkt haben.
Und das wird Manuel Neuer auch nicht. Das Doppelinterview Neuer/Berater scheint nur ein weiterer Akt eines Schauspiels, das Anfang Januar in Katar begonnen hat. "Ich bin Protagonist", hatte Neuer gesagt. Und es wirkt deswegen so skurril, weil offenbar alle Parteien bereit sind, zu handeln: Der Trainer will den Spieler, der Spieler gibt sich "flexibel", der Verein hat sich an den Verhandlungstisch gesetzt. So zumindest ist die offiziell bekannte Ausgangslage bestellt.
Am Ende muss man sich eigentlich fragen, was Neuer mit Wertschätzung meint, und offenbar bedeutet sie übersetzt: Geld. Und das muss gar nicht verwerflich sein, im Profifußball gibt es nun mal sehr viel Geld zu verdienen. Nur wird dieser Tage genau darauf geachtet, ob die Profis während der Coronakrise auch Abstriche machen. Die zuletzt oft beschworenen Veränderungen im Profifußball, die scheint es nicht zu geben.