Marcel Reif nach Kritik an Embolo-Aussagen
»Ich hoffe, ich sage es beim nächsten Mal genau so«
Kommentator Marcel Reif galt als Intellektueller im vermeintlichen Proll-Sport Fußball. Nun sorgt eine Aussage von ihm für Empörung, die wie ein Aufruf zur Gewalt klingt. Gegenüber dem SPIEGEL rechtfertigt er sich.
Marcel Reif: »Wenn ich mal so weit bin, dass ich merke, ich will mich selbst zensieren, dann höre ich auf«
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Voigt / imago images / Jan Huebner
Es müssen komische Zeiten sein, wenn Marcel Reif keine Lust hat zu reden. Schließlich ist Reifs Lebensinhalt die Sprache. Seit 30 Jahren verdient er damit sein Geld, lange als Fußballkommentator bei Livespielen, inzwischen als Kommentator der Fußballwelt. Mehrmals wöchentlich im »Bild«-Format »Reif ist live« und in regelmäßigen Abständen sonntags in der Talkrunde »Doppelpass« bei Sport1.
Reif konnte Fußballspiele auf eine höhere Ebene heben. Weil er Dinge sah, die viele andere Kommentatoren nicht erkannten. Weil er sich akribisch vorbereitete. Weil er, der selbst in der Jugend beim 1. FC Kaiserslautern spielte, Ahnung hat vom Fußball. Und weil seine Formulierungen mitunter kunstvoll wirkten, aber nie künstlich, wie auswendig gelernt. Manchmal konnte er auch an genau den richtigen Punkten schweigen, weil er wusste, wann das, was auf dem Platz geschah, einfach besser und wuchtiger war, als jeder Satz von ihm es sein könnte.
»Ja, aber nicht über das Thema«, sagt Reif, als man probiert, ihn zu erreichen, um natürlich doch über »das Thema« zu sprechen. Es geht um die Corona-Party-Festnahme-Dementierungs-Geldstrafen-Saga um Gladbachs Breel Embolo und darum, was Reif dazu im Rahmen seines »Reif ist live«-Talks gesagt oder besser: angedeutet hat.
Nach dem 2:2 beim VfB Stuttgart fuhr der Schweizer Stürmer Embolo in der Nacht zurück aus dem Schwabenland nach Essen. Dort soll er an einer Corona-Party teilgenommen haben, die von der Polizei gesprengt wurde. Embolo ist nach Angaben der Behörden über das Dach des Cafés in eine naheliegende Wohnung geflüchtet. Die Polizei nahm die Verfolgung auf und traf Embolo allein in der Wohnung an, versteckt in der Badewanne. Der Spieler bestreitet den Partyteil, er habe allein in der Wohnung Basketball geschaut. Sein Verein stellte sich hinter ihn, belegte ihn nun aber mit einer »empfindlichen Geldstrafe«, wie es hieß.
»Das könnte ich mir gut vorstellen, so eine kleine Abreibung«
Eine ziemlich irre Geschichte, mit beinahe täglichen Wendungen und neuen Details, wie gemacht für den Boulevard. Die »Bild«-Zeitung berichtete hingebungsvoll darüber, grub alle vermeintlichen Verfehlungen aus dem Leben Embolos aus. Natürlich sollte sich auch Reif zu dem Thema in seinem täglichen Format äußern.
In seiner Sendung sagte Reif: »In meiner Zeit war das noch so: Es gab so eine bestimmte innere Hygiene in der Kabine, um es mal sehr freundlich auszudrücken. Nach dem Motto: ›Trainer, könnten Sie mal kurz rausgehen? Wir brauchen mal fünf Minuten.‹ Und dann macht man die Musik laut. Und dann wurde demjenigen mitgeteilt, mit relativ klaren, auch nonverbalen Mitteln, was geht und was nicht geht. Das könnte ich mir gut vorstellen, so eine kleine Abreibung. Draußen liegt Schnee.«
Der Vorwurf lautet nun, Reif würde sich wünschen, die Spieler von Borussia Mönchengladbach würden ihrem Mitspieler Gewalt antun, um die Sache zu regeln. Bei Twitter empörten sich allerhand Menschen über die Aussage.
»Mit meinen 71 Jahren muss ich nicht mehr in die Schlagzeilen kommen«, sagt Reif am Telefon. Genau das aber ist passiert. Von einem »verbalen Fauxpas« schreibt focus.de, bei »t-online« heißt es: »Reif sorgt mit Embolo-Spruch für Empörung«, der »Sportbuzzer« fragt sogar: »Aufruf zur Gewalt? Erneuter Wirbel um Aussagen von Marcel Reif«.
»Mich regt es furchtbar auf, wenn jemand, wie jetzt da geschehen, wegen so einer Leichtsinnigkeit den Fußball gefährdet.«
Marcel Reif
Reif, der darüber eigentlich nicht reden will, so genervt ist er von der seiner Meinung nach künstlichen Aufregung, redet dann doch ziemlich lange. »Ich lasse mich nicht treiben von der Empörungswelle«, sagt er. »Das habe ich nicht nötig.« Er findet es lächerlich, dass ihm ernsthaft jemand zutraut, zu einer Straftat aufzurufen. Er könne schon verstehen, dass man seine Aussagen so deuten und da etwas missverstehen kann, sagt er. »Aber man MUSS es nicht so verstehen!« Wie ihm seine Aussagen verdreht wurden, die Leerstellen darin gefüllt wurden, empfindet er als bösen Willen.
Aber wie hat er es denn nun gemeint?
»Mir geht es um das große Ganze. Mich regt es furchtbar auf, wenn jemand, wie jetzt da geschehen, wegen so einer Leichtsinnigkeit den Fußball gefährdet. Auch die Sonderrolle, die er jetzt gerade hat, dass die überhaupt spielen dürfen. Wenn jemand gegen Regeln der Gemeinschaft verstößt, dann soll die Gemeinschaft das regeln. Und zwar sehr laut und sehr deutlich«, sagt Reif. »Das ist viel wichtiger als ein Klubstatement oder eine Geldstrafe. Das macht man einfach für die Außenwirkung. Das hier aber war ein Vertrauensbruch, der da begangen wurde.«
»Sehr deutlich«, wieder so eine Leerstelle, wie sie beim Kommentieren eines Spiels vom Geschehen auf dem Platz gefüllt werden kann, in diesem Fall aber wieder dazu einlädt, zu spekulieren, was denn nun damit gemeint ist. Genau so wie der Begriff »nonverbal«. Reif sagt: »Schlagen Sie mal nach, was unter nonverbal im Duden steht. ›Nicht mithilfe der Sprache.‹ Ich habe ja auch von Körpersprache gesprochen. Da muss man sich vor dem Jungen aufbauen, dann merkt der schon, was gemeint ist. Ich habe früher selbst gekickt, und bei uns in der Kabine wäre dann klargemacht worden: Das machst du nicht noch mal. Ansonsten bekommst du da draußen auch nicht mal mehr einen Pass zugespielt.«
Marcel Reif (r.) bei einer Talkshow mit Oliver Geissen, Günther Jauch und Franz Beckenbauer (2003)
Foto: DPA
Das Feuilleton hat Reif früher gelobt und geliebt, kein Text über Marcel Reif kommt ohne den Hinweis auf seinen Grimme-Preis aus (»Ein Tor würde dem Spiel guttun«). Er galt als der Intellektuelle im vermeintlichen Proll-Sport Fußball. Gegen diese Überhöhung hat sich Reif nie gewehrt, er hat sie sich aber auch nicht ausgesucht.
Reif sagt, er mache heute bei der »Bild«-Zeitung und im »Doppelpass« genau das Gleiche wie früher. Er habe sich nicht verändert, er rede einfach immer noch sehr gern über Fußball und alles, was damit zu tun hat. »Fürs Geld mache ich das nicht mehr, dann hätte ich in meiner Karriere etwas falsch gemacht«, sagt er. Auch wenn man hört, dass der Job in seiner Bezahlung doch ziemlich deutlich von einem Ehrenamt entfernt ist. Aber dass Reif mit seiner Arbeit Geld verdient, kann man ihm schlecht vorwerfen.
Das Problem aber ist die Beliebigkeit seiner Aussagen. Früher reiste er als Chefkommentator schon am Vortag eines Champions-League-Spiels an, kaufte sich die lokale Fachpresse, las sich ein, sprach mit Trainern und anderen Fachleuten, im Stadion hatte er dann noch einen Experten als Unterstützung an seiner Seite. Mit seinem Wissen hätte er zig Spiele füllen können, er hatte den Luxus, aus diesem Fundus das Beste in den 90 Minuten Spielzeit unterzubringen. Ein kleines Zeitfenster, in dem man aber erkennen konnte, das dahinter noch eine ganze Welt an Wissen liegt.
»Beim nächsten Mal mache ich klar, dass damit nicht Prügel gemeint ist. Aber es macht doch keinen Spaß, wenn man immer einen Beipackzettel mitliefern muss.«
Marcel Reif
In seiner neuen Rolle ist das anders, die Vorzeichen haben sich umgekehrt. Bei der »Bild« kommentiert Reif täglich die ganze Fußballwelt. Da sind im Boulevard andere Themen gefragt, als nur der europäische Spitzenfußball, da geht es auch mal etwas unter die Gürtellinie. Wer sich darauf einlässt, braucht schon eine besondere Stilsicherheit, um nicht selbst ab und zu Treffer zu kassieren.
Das ist Reif jetzt passiert, aus eigenem Verschulden. An einer Stelle während des Telefonats sagt Reif zu seiner Formulierung: »Beim nächsten Mal mache ich klar, dass damit nicht Prügel gemeint ist. Aber es macht doch keinen Spaß, wenn man immer einen Beipackzettel mitliefern muss.« Später kommt das Gespräch wieder zu dieser Stelle, die Frage ist, ob Reif irgendwelche Schlüsse aus dem Ganzen zieht. »Ich hoffe«, sagt er, »ich sage es beim nächsten Mal genau so. Wenn ich mal so weit bin, dass ich merke, ich will mich selbst zensieren, dann höre ich auf.«
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes stand, »Reif ist live« würde täglich ausgestrahlt und Reif säße jeden Sonntag im Doppelpass. Das ist nicht richtig, die Textstelle haben wir angepasst.