

Am Ende gab es keine andere Lösung mehr. Mehmet Scholl, von der ARD als Experte bezahlt, hatte die eigene Redaktion düpiert, indem er beim Confed Cup das Gespräch über Doping im russischen Fußball verweigerte - etwas, das die ARD selbst in wochenlanger Arbeit recherchiert hatte. Scholl nannte das Thema auch Wochen nach dem Eklat noch "nicht relevant", das konnte sich der Sender nicht bieten lassen, ohne Selbstachtung zu verlieren.
Es war der Endpunkt einer schon vorher nicht komplikationsfreien Beziehung: Mit Scholl hatte die ARD zwar einen "meinungsstarken, streitbaren und originellen Experten", wie es ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky in einer Äußerung am Donnerstag formulierte. Aber genau das sorgte mehrfach für große mediale Aufregung.
2012 hatte Scholl das Halali auf Mittelstürmer Mario Gomez eröffnet, als er dem Angreifer im ersten EM-Gruppenspiel gegen Portugal attestierte: "Dass ein Stürmer nicht nach hinten arbeitet, das gibt's eigentlich im modernen Fußball nicht mehr. Dass einer auf die eine Flanke, auf eine freie Straße wartet. Das ist zu wenig." Und dann kam der berühmte Satz: "Ich hatte zwischendurch Angst, dass er sich wundliegt und mal gewendet werden muss."
Nach Gomez nahm Scholl sich Löw vor
Das Pikante an der ganzen Angelegenheit war, dass sowohl Scholl als auch Gomez zu jenem Zeitpunkt Angestellte des FC Bayern waren. An der Säbener Straße wird man gar nicht so böse über Scholls Attacken gewesen sein, schließlich war Gomez damals schon nicht mehr besonders wohlgelitten in München. Ein Jahr später verließ der Stürmer dann auch den Verein, und es gibt bis heute viele, die sagen, Scholl habe die Trennung medial vorbereitet. Das EM-Spiel endete damals übrigens 1:0 für Deutschland. Torschütze Mario Gomez.
Vier Jahre später knöpfte sich Scholl den Bundestrainer vor. Während der EM in Frankreich kritisierte er, Löw passe sein Team zu sehr an die Gegner an und hatte diesmal Chefscout Urs Siegenthaler als Schuldigen ausgemacht: "Der Herr Siegenthaler möge bitte seinen Job machen, morgens liegen bleiben, die anderen zum Training gehen lassen und nicht mit irgendwelchen Ideen kommen."
Dass seine öffentlichkeitswirksame Attacke erfolgte, nachdem kurz zuvor Meldungen über das angebliche Millionengehalt Scholls bei der ARD kursierten, wurde damals so interpretiert, dass der TV-Experte sich in der Pflicht sah, auf die Pauke zu hauen, um entweder das Gehalt zu rechtfertigen oder die Meldungen darüber verdrängen zu können. Die ARD selbst hat stets von "Phantasiesummen" gesprochen, "die jeglicher Grundlage entbehren", hat die Höhe von Scholls Honorar aber nie offengelegt.
Für die ARD war Scholl lange Zeit ein Glücksfall
Scholl hatte sich vorher schon bei mehreren Bundesligatrainern unbeliebt gemacht, als er über sie als "Laptoptrainer" gelästert hatte. "Je mehr ich die Kandidaten beobachtet habe, die mit Bestnoten abschließen, die dieses typische Kursbestergesicht haben und die Kursinhalte aufgesogen haben, desto mehr sträubten sich bei mir die Nackenhaare. Bei denen ist Taktik oberstes Gebot, das sind Laptop-Trainer", sagte der ehemalige Bayernstar im SPIEGEL. Auch damit hatte er sich weit aus dem Fenster gelehnt, schließlich war seine Trainerzeit als Coach der Bayern-Reserve wenig erfolgreich gewesen.
Für die ARD war er damit allerdings lange ein Glücksfall, schließlich fanden seine Aussagen immer wieder ein Echo in der Öffentlichkeit. Während sich beim ZDF Scholls früherer Teamkollege Oliver Kahn mehr und mehr in der Rolle des in sich ruhenden Fußballphilosophen inszeniert, war es Scholls Aufgabe, auf den Putz zu hauen. Mit Matthias Opdenhövel hat der Sender ihm dabei einen Partner zur Seite gestellt, der auch nicht zwingend zum Nachdenklichen neigt. Ein bisschen gepflegter Krawall war durchaus gewollt - bis es sich zuletzt beim Confed Cup gegen die eigene Redaktion wendete. Da war dann Schluss.
Das Turnier in Russland hatte ohnehin schon unglücklich für den Experten begonnen. Im Eröffnungsspiel machte er eine Altherren-Bemerkung über Cristiano Ronaldo als "Miss September", die nicht nur Übelwollende als homophob und sexistisch wahrnahmen. Auf Scholl und dem Confed Cup lag kein Segen.
Vor Scholl hatte die ARD mit Günter Netzer und dessen Senderpartner Gerhard Delling ein Duo erfunden, das erst einen Medienpreis nach dem nächsten abräumte, aber am Ende eher an das ältere Ermittler-Ehepaar Stöver/Brockmöller aus den frühen NDR-Tatorten erinnerte. Sich gegenseitig mit müden Frotzeleien fütternd und sich selbst genügend, anstatt fußballerische Expertise einzubringen.
Die war auch von Scholl nur bedingt zu erwarten. Den Eindruck, dass sich hier jemand intensiv mit den Spielern und der Partie im Vorfeld auseinandergesetzt hat, hatte man auch bei ihm kaum. Daher wirkt Balkauskys Würdigung, Scholl habe "den Zuschauern einen tiefen Einblick in den Fußball ermöglicht", doch reichlich geschönt.
Mehmet Scholl war der Mann fürs Entertainment, man kann auch sagen, der Mann fürs Grobe, keine Angst vorm Konflikt, immer einen lockeren Spruch parat. Dass seine ARD-Laufbahn jetzt beendet wurde, weil er mal ausnahmsweise nicht über etwas reden wollte, wirkt daher als seine letzte Pointe.
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1989 unterschrieb Mehmet Scholl im Alter von 19 Jahren seinen ersten Profivertrag. Beim Karlsruher SC zeigte der kreative Mittelfeldmann schnell, dass er zu Höherem geboren war.
Drei Jahre später heuerte Scholl beim FC Bayern an. Der Beginn einer Erfolgsgeschichte.
Dank seiner technischen Fertigkeiten und seiner Raffinesse im Offensivspiel entwickelte sich Scholl schnell zu festen Größe beim deutschen Rekordmeister.
1994 feierte Scholl seinen ersten von insgesamt acht Meistertiteln. Mit elf Treffern in 27 Einsätzen leistete er einen wichtigen Beitrag zum Gewinn der Schale.
Auch abseits des Rasens wusste Scholl zu gefallen. In den Neunzigerjahren galt der modebewusste Filigrantechniker als absolutes Teenie-Idol.
Für die deutsche Nationalelf war Scholl 1995 erstmals aktiv. Nur ein Jahr später stand er im EM-Finale gegen Tschechien auf dem Rasen, wo er für Siegtorschütze Oliver Bierhoff ausgewechselt wurde.
Seinen größten Erfolg auf Vereinsebene feierte Scholl 2001 mit dem Gewinn der Champions League. Im Finale gegen den FC Valencia stand der Kreativspieler bis zur 108. Minute auf dem Platz, erwischte jedoch einen gebrauchten Tag: Scholl verschoss in der regulären Spielzeit einen Elfmeter - was seine Freude nach dem Titelgewinn jedoch nicht schmälerte.
Neben seinen mannschaftlichen Erfolgen prägten auch Scholls zahlreiche Verletzungen seine Karriere. Immer wieder wurde der Mittelfeldmann von schweren Blessuren zurückgeworfen. Unter anderem deshalb verpasste er mit der WM 2002 in Japan und Südkorea seine letzte Chance, an einer Weltmeisterschaftsendrunde teilzunehmen.
Im Mai 2007, nach 15 Jahren beim FC Bayern, beendete Scholl als einer der erfolgreichsten deutschen Fußballer seine Karriere. Seine Bilanz: acht deutsche Meisterschaften, 5 DFB-Pokalsiege, ein Champions-League-Titel sowie der Gewinn der Europameisterschaft 1996.
Rund ein Jahr nach seinem Karriereende heuerte Scholl bei der ARD als TV-Experte an. Für den öffentlich-rechtlichen Sender begleitete er zunächst die EM 2008 und entwickelte sich in der Folge zum Nachfolger von Günter Netzer.
Parallel zur seinem Engagement im Fernsehen startet Scholl 2009 sein Debüt auf der Trainerbank. Insgesamt zwei Jahre lang betreute er die zweite Mannschaft des FC Bayern, ehe er die Coaching-Laufbahn zugunsten der TV-Karriere aufgab.
Mit dem Mikrofon in der Hand vertrat Scholl nicht selten streitbare Standpunkte. So warf er Mario Gomez im Zuge der EM 2012 vor, sich "wundgelegen" zu haben, bezeichnete die neue Trainergeneration um Julian Nagelsmann als "Laptop-Trainer" und betitelte Cristiano Ronaldo aufgrund dessen Steueraffäre als mögliche "Mrs September" im Gefängnis.
Ein Eklat im Zuge des Confed Cups in Russland kostete Scholl nun den Job. Aufgrund eines in seinen Augen deplatzierten Doping-Berichts brach der TV-Experte seine Moderation vor den Halbfinalpartien des Turniers ab. Nachdem es zunächst hieß, Scholl würde weiterhin für die ARD "Sportschau" vor der Kamera stehen, wurde das Arbeitsverhältnis zwischen dem Ex-Fußballer und dem Fernsehsender nun vollends beendet.
Ein Eklat im Zuge des Confed Cups in Russland kostete Scholl nun den Job. Aufgrund eines in seinen Augen deplatzierten Doping-Berichts brach der TV-Experte seine Moderation vor den Halbfinalpartien des Turniers ab. Nachdem es zunächst hieß, Scholl würde weiterhin für die ARD "Sportschau" vor der Kamera stehen, wurde das Arbeitsverhältnis zwischen dem Ex-Fußballer und dem Fernsehsender nun vollends beendet.
Foto: Getty Images"Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich 67 Kilo geballte Erotik." So selbstbewusst sah sich Mehmet Scholl schon in seiner ersten Saison beim FC Bayern München 1992/1993.
"Hängt die Grünen, so lange es noch Bäume gibt." Es ist wohl der Spruch, der Mehmet Scholl am meisten Ärger brachte. Im Bayern-Jahrbuch zur Saison 1994/1995 nannte er diese Aussage sein Lebensmotto. Die "Grünen" fanden das gar nicht so lustig, Scholl drohte sogar eine Anzeige. Diese umging er letztendlich durch eine 5000-Mark-Spende an Körperbehinderte.
"Vor Krieg und Oliver Kahn." Mehmet Scholl auf die Frage, wovor er im Leben Angst habe.
"Eng." So antwortete Mehmet Scholl in einem SPIEGEL-Interview 1996 auf die Frage, wie es war, als Bundeskanzler Kohl in die deutsche Kabine kam. Zuvor hatte das DFB-Team 0:0 im Gruppenspiel gegen Italien gespielt und den Einzug ins Achtelfinale perfekt gemacht. Später gewann Scholl mit Deutschland den Europameistertitel.
"Irgendwo in den Süden, vielleicht nach Kanada" wollte Mehmet Scholl 1998 in den Urlaub fahren, denn im Sommer hatte er Zeit. Zuvor war er nicht in den Nationalmannschaftskader für die Weltmeisterschaft in Frankreich aufgenommen worden.
"Die schönsten Tore sind diejenigen, bei denen der Ball schön flach oben rein geht." Mit dieser Aussage sorgte Scholl 2001 für Verwirrung. Später erklärte er, dieser Spruch stamme schon aus seiner Zeit beim Karlsruher SC.
"Weil ich in diesem Alter mit dem Rauchen aufgehört habe." Damit klärte Scholl auf, warum er die Rückennummer sieben trägt.
"Die Momente, in denen es sich wirklich lohnt, Fussballprofi zu sein, sind, wenn man Oliver Kahn beim Einseifen zusieht." Nach seinem Abschied 2007 vom FC Bayern München blickte Mehmet Scholl auf die ganz besonderen Momente seiner Karriere zurück.
"Hund bei Uli Hoeneß": Das sagte Mehmet Scholl einst auf die Frage, was er in seinem nächsten Leben gern werden möchte.
"Ich habe Gänsehautentzündung." Im Achtelfinale der WM 2014 setzte sich Brasilien im Elfmeterschießen gegen Chile durch. Der emotionale Erfolg der Gastgeber berührte Mehmet Scholl so sehr, dass er gleich ein neues Wort erfinden musste, um seine Gefühle auszudrücken.
"Alle laufen. Nur Fred, der geht." Im Halbfinale der WM 2014 ließ das DFB-Team Gastgeber Brasilien auf dem Weg zum Titel keine Chance. Mehmet Scholl wunderte sich über die geringe Laufbereitschaft von Seleção-Stümer Fred.
"Ich hatte zwischendrin Angst, dass er sich wundgelegen hat, dass man ihn wenden muss." Beim 1:0-Sieg Deutschland über Portugal in der Gruppenphase der EM 2012 kritisierte Scholl als TV-Experte Mario Gomez scharf. Die Aussage wurde zum Fußballspruch des Jahres gewählt, verfolgte Gomez aber noch lang. Aus Sicht des Angreifers sorgte nämlich diese Aussage für sein schlechtes Image. Drei Jahre später hat Scholl sich für seine Äußerung entschuldigt.
"Vielleicht kommt er ja wirklich in den Knast. Dann mache ich mir Sorgen, dass er zu Miss September wird." Auch während des Confederations Cups 2017 provozierte Scholl mit seinem Kommentar zu einer möglichen Haftstrafe Cristiano Ronaldos heftige Kritik. Seine Äußerung strotze vor Homophobie und relativiere Gefängnisgewalt, so der Verwurf.
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