Ex-Nationalspieler Herr Özil sucht das Glück

Annäherung an den DFB, ein bevorstehender Wechsel nach Istanbul – bei Mesut Özil bewegt sich derzeit einiges. Der 32-Jährige will noch mal etwas beweisen. Auch sich selbst. Er könnte damit seinen Frieden finden.
Ex-Nationalspieler Mesut Özil: Vor dem Abschied vom FC Arsenal

Ex-Nationalspieler Mesut Özil: Vor dem Abschied vom FC Arsenal

Foto: Nick Potts DPA

Manchmal brauchen Dinge ihre Zeit. Zwei Jahre lang herrschte totale Funkstille zwischen Mesut Özil und dem Deutschen Fußball-Bund (DFB). Seit dem Bruch im Anschluss an die WM in Russland. Seit dem großen Schweigen nach Rücktritt und den Rassismusvorwürfen Özils, damals hieß der DFB-Chef noch Reinhard Grindel.

Grindels Nachfolger Fritz Keller scheint nun um Annäherung bemüht. Am Montag machte Özil via Twitter öffentlich, dass Keller ihm bereits im Oktober einen »netten persönlichen Brief« geschrieben habe. Auch von Nationalmannschaft-Direktor Oliver Bierhoff, der im Nachklang der WM die Affäre durch seine Äußerungen erst groß gemacht hat, ist jetzt zu hören: »Wenn ein Treffen daraus entsteht und sich alle an einen Tisch setzen, würden wir uns freuen«, so Bierhoff zur »Bild«-Zeitung. »Ich hatte auch schon mit Mesut zu seinem Geburtstag über WhatsApp Kontakt, und er hat sehr nett geantwortet.«

Die Charme-Offensive geht auf der anderen Seite weiter. Özil selbst schwärmte in der Twitter-Fragestunde von »vielen, fantastischen Erinnerungen« aus seiner Zeit als Nationalspieler, von »der großen Ära im deutschen Fußball«. Da bewegt sich etwas.

»Dann nur zu Fenerbahce«

Und nicht nur auf der Gefühlsebene. Özil steht ganz offensichtlich kurz vor einem Wechsel vom FC Arsenal zu Fenerbahce Istanbul, Fener-Präsident Ali Koc hat am Dienstag davon gesprochen, dass man in den Verhandlungen »ein Stück vorangekommen« sei, der Transfer sei aber noch nicht perfekt. Özil hatte am Montag schon die Richtung vorgegeben: »Es gibt zwei Länder, in denen ich noch Fußball spielen will, bevor ich aufhöre: die Türkei und USA. Wenn ich in die Türkei gehe, dann nur zu Fenerbahce.«

Es war in letzter Zeit nicht mehr gut gelaufen für Mesut Özil, beim FC Arsenal war der 32-Jährige zuletzt nicht mal mehr Ersatz, vom Klub wohl auch aufgrund von Özils Einsatz für die Uiguren in China nicht mehr wertgeschätzt. Eine große Karriere schien glanzlos dem Ende zuzugehen, Özil in der sportlichen Sackgasse, isoliert vom Verein und vom Verband, dazu kommt seine Nähe zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, auch das hat ihm mancherorts viele Sympathien gekostet.

»Mir schien, er hatte die Lust am Fußball nach der WM etwas verloren, für einen wie Özil, der sich fast nur über Fußball definiert, besonders fatal«, sagt Fatih Demireli, Herausgeber und Chefredakteur des Sportmagazins »Socrates«, dem SPIEGEL. Demireli hat Özils Karriere über viele Jahre beobachtet, gleichzeitig ist er auch ein intimer Kenner des türkischen Fußballs. Ein Wechsel von Özil zu Fener wäre für ihn nachvollziehbar.

Riesenhype um den möglichen Transfer

»Beide Seiten würden damit ein Ausrufezeichen setzen«, sagt er. Özil, »weil er damit sich und anderen noch mal etwas beweisen kann«, der Verein, weil er seit nunmehr sechs Jahren einem türkischen Meistertitel hinterherläuft, »für einen Klub wie Fener ist das eine Katastrophe«, sagt Demireli. Seitdem die ersten Spekulationen über den Transfercoup in der Welt sind, sei die Euphorie der Fener-Fans »ins Unermessliche gesteigert, die sind jetzt schon komplett vernarrt in diesen Transfer«, so Demireli: »Die haben nur noch ein Thema: Mesut Özil.«

Es gab mal eine Zeit, da war Özil so etwas wie eine Persona non grata in der Türkei. Viele türkische Fans hatten ihm übel genommen, dass sich Özil für die deutsche Nationalmannschaft entschieden hatte, nicht für die der Türkei. Der Unmut entlud sich beim Länderspiel in Berlin im Oktober 2010, als Tausende türkischstämmige Fans im Olympiastadion Özil ausbuhten.

Das ist längst vorbei, »auch wenn die Nicht-Fener-Fans das Thema jetzt natürlich sofort wieder hochgebracht haben«, wie Demireli sagt. Auch die Özil-Erdoğan-Connection, die darin gipfelte, dass Erdoğan zur Hochzeit des Fußballers als Trauzeuge geladen war, werde in der Türkei durchaus kontrovers diskutiert. Die Fenerbahce-Fans gelten an sich als tendenziell Erdoğan-kritisch, dennoch finden sich unter ihnen bisher kaum kritische Stimmen zum wohl bevorstehenden Wechsel. Der Hype ist zu groß.

Falcao als warnendes Beispiel

Worin Demireli durchaus eine Gefahr sieht. »Der Erwartungsdruck auf Özil ist dermaßen hoch, da muss er schon ein verdammt dickes Fell haben, um dem standzuhalten.« Schließlich habe der 32-Jährige als Dauer-Reservist seit fast zwei Jahren nicht mehr regelmäßig Fußball gespielt. Inwiefern er wirklich eine sportliche Verstärkung für Fener werden könnte, müsse man daher erst einmal sehen. Als Stadtrivale Galatasaray 2019 den kolumbianischen Superstar Radamel Falcao verpflichtete, seien die Fans ähnlich ausgeflippt. Die riesigen Erwartungen konnte Falcao aber nicht erfüllen, jetzt ist er für viele Anhänger der Buhmann.

Versöhnung mit dem DFB, ein bevorstehender Wechsel in das Land seiner Vorfahren, es sieht so aus, als wolle Mesut Özil im Karriereherbst alte Konflikte beenden, seine Angelegenheiten ordnen, »so einiges reparieren«, wie Demireli sagt.

Auf seinem linken Oberarm trägt Mesut Özil ein Tattoo: »Only God can judge me«, steht dort, nur Gott kann über mich richten. Gerichtet über Özil, das haben viele getan, auch in der Türkei. Aber die Chancen, dass er dort dennoch seinen Frieden findet, stehen gar nicht so schlecht.

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