Rücktritt in drei Teilen So argumentiert Mesut Özil

Drei Posts in den sozialen Medien, verteilt über sieben Stunden - und Mesut Özil ist kein Nationalspieler mehr. Wie glaubwürdig begründet er seinen Rücktritt? Welche seiner Vorwürfe sind haltbar?
Mesut Özil

Mesut Özil

Foto: SERGEI ILNITSKY/ EPA-EFE/ REX/ Shutterstock

Die Form folgt der Funktion. Die äußere Gestalt leitet sich im Optimalfall vom Zweck eines Gegenstands ab, so lautet ein weithin akzeptierter Designgrundsatz. Andersherum bedeutet das, dass der Blick auf die Form eines Dings regelmäßig auch Rückschlüsse auf dessen Absichten zulässt.

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Mesut Özil: Der Rückzug

Foto: Alexander Hassenstein/ Getty Images

Mesut Özil hat seinen Rücktritt aus der deutschen Fußballnationalmannschaft am Sonntag in drei Teilen verkündet - um 12.52 Uhr, dann um 15.03 Uhr, fein orchestriert und mit ausreichend Resonanzraum vor dem Finale um 20.04 Uhr. Özil hat keine Pressekonferenz einberufen, er erreicht sein Publikum direkt über die sozialen Medien. 31 Millionen Abonnenten bei Facebook, 23 Millionen Follower bei Twitter, 17,3 Millionen bei Instagram, über den gesamten Planeten verteilt. Rückfragen zum Verständnis sind nicht vorgesehen.

Der dreiteiligen Erklärung des 92-fachen Nationalspielers kann sich der Leser über eine klassische Textinterpretation nähern. Was genau sagt Özil eigentlich? Wie sauber und glaubwürdigt argumentiert er? Welche seiner Vorwürfe sind haltbar? Eine Analyse.

Teil I/III: Das Treffen mit Präsident Erdogan

Özil startet bei dem Treffen mit dem türkischen Präsidenten am 13. Mai. Hauptargumentationslinie sind die zwei Heimaten, Özil habe "ein deutsches Herz und ein türkisches". Mit dem Treffen habe er keine politischen Absichten verfolgt, er habe zugesagt aus Respekt vor "dem höchsten Amt des Landes meiner Familie", eine "Bekräftigung" der inhaltlichen Politik Recep Tayyip Erdogans sei damit nicht verbunden gewesen.

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Was sagt Özil damit? Dass ihm bewusst ist, dass es ein Ansatzpunkt zur Kritik ist, sich mit Präsident Erdogan zu treffen. Seine Argumentation, er habe sich überhaupt nicht mit dem türkischen Präsidenten Erdogan getroffen, sondern lediglich mit dem türkischen Präsidenten, ist dünn. Wie wacklig seine Argumentation ist, Person und Inhalt ließen sich im politischen Kontext komplett entkoppeln, gesteht Özil selbst ein: Ihm sei bewusst, dass dieser Gedanke in den meisten Kulturen nicht funktioniere.

Zwischenfazit: Aus Sicht Özils ist es nachvollziehbar, die Einlassungen zum Erdogan-Foto von seiner Rücktrittsankündigung zu trennen. Verschiedene Posts, sieben Stunden Differenz. Seinen Loyalitätskonflikt schildert Özil anschaulich, inhaltlich ist dieser Part trotzdem angreifbar.

Teil II/III: Medien und Sponsoren

Özil schiebt voraus, er sei erfahren genug, um mit Kritik umzugehen. Sein duales Erbe werde instrumentalisiert, er allein würde für das deutsche WM-Aus verantwortlich gemacht, zumindest von "gewissen deutschen Zeitungen" - er dürfte vor allem die "Bild-Zeitung" meinen -, die sein Treffen mit Erdogan missbrauchten, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Zwischen sportlicher Leistung und seiner Abstammung werde vorsätzlich nicht getrennt.

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Özil wirft der Presse Doppelmoral vor, der Besuch von Lothar Matthäus beim russischen Präsidenten Wladimir Putin habe ein deutlich geringeres mediales Echo gehabt. Auch dem DFB wirft er doppelte Standards vor, da er angesichts der von einem seiner Sponsoren - Özil meint Mercedes-Benz - eingesetzten Betrugssoftware keine Erklärung eingefordert habe, wohl aber von Özil nach seinem Treffen mit dem türkischen Präsidenten.

Zudem berichtet er vom unterschiedlichen Verhalten seiner Sponsoren - die, die ihm die Treue gehalten haben, werden namentlich genannt -, von einem abgesagten Besuch an seiner ehemaligen Schule und verweist auf sein eigenes soziales Engagement, das unterrepräsentiert sei in der Berichterstattung.

Zwischenfazit: Wie Özil am Ende seiner zweiten Erklärung sein Engagement für hilfsbedürftige Kinder gegen sein Foto mit Erdogan stellt, ist fragwürdig. Seine ehemalige Schule bestreitet zudem seine Vorwürfe, er sei "aus Furcht vor den Medien" wieder ausgeladen worden. DFB-Sponsor Mercedes-Benz wird von Özil nicht namentlich genannt, fühlte sich aber offensichtlich angesprochen: Man werde "die Vorwürfe von Mesut Özil gegenüber den Medien, dem DFB und den Sponsoren in Ruhe ansehen, bewerten und anschließend entscheiden", teilte der Konzern mit.

Seine Anschuldigungen hinsichtlich der Doppelstandards des Verbands sind nachvollziehbar. Matthäus in seiner Rolle als DFB-Ehrenspielführer und nicht etwa als Privatmann zu beurteilen, ist legitim. Auch der Glaube an eine gezielte Kampagne der "Bild-Zeitung", die Özil am Tag "nach seiner wirren Abrechnung" (Originalzitat "Bild) sogar sein Lächeln bei seiner Ankunft  in Singapur vorwirft, lässt sich nachvollziehen. Wie verletzt der Fußballer sich fühlt, ist greifbar.

Teil III/III: DFB

Im dritten Teil attackiert Özil vor allem DFB-Präsident Reinhard Grindel: Der habe Özils Verteidigung von Anfang an "herabgewürdigt" und ihn "bevormundet" - es habe schließlich einen Burgfrieden gegeben mit der Maßgabe der vollen Konzentration auf den Fußball. Die Hoffnung aller Beteiligten war es, der sportliche Erfolg könne alles heilen.

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Wenn Özil den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier kontrastierend als "professionell", interessiert und offen schildert, spricht er eigentlich über Grindel. Dieser habe stets seine eigene politische Agenda verfolgt und sei sogar darüber verärgert gewesen, dass Bellevue (Sitz des Bundespräsidenten) federführend bei diesem Treffen war - und nicht die Otto-Fleck-Schneise (Sitz des DFB).

Im dritten Teil seiner Erklärung macht sich Özil auf die Suche nach der einen Variable, die imstande ist, die Ungleichbehandlungen in seinem Fall zu erklären. Warum werden "sein Freund Lukas Podolski und Miroslav Klose" nicht reduziert auf ihre Abstammung? Weil sie keine Muslime sind? Schon der weithin etablierte Begriff "Deutsch-Türke" sei entlarvend. Bevor Özil schließlich "schweren Herzens und nach langem Bedenken" seinen Rücktritt aus dem DFB-Team erklärt, schildert er persönliche Rassismuserfahrungen und rückt Grindels Ansichten in dieselbe Tradition. Der DFB-Präsident stehe damit für "ein Deutschland der Vergangenheit", ein Deutschland, auf das Özil nicht stolz sei.

Fazit: Dass Özil für seine Frontalattacke auf Grindel ein Zitat aus einer Bundestagsdebatte aus dem Jahr 2004  bemüht - Özil war damals gerade 16 Jahre alt geworden -, ist ein weiteres Zeichen dafür, dass die drei Texte alles andere als ein persönlicher, spontaner Wutausbruch eines verletzten und gekränkten Fußballers sind. Sie wirken vielmehr wie das Resultat etlicher Abstimmungsrunden mehrerer PR-Profis, die gezielt den schwächsten Teil der Argumentation - die behauptete Trennung von Amt und Person im Falle Erdogans - in ein vorgelagertes Statement (I/III) verschoben haben.

An vielen Stellen greift der Text nach Hilfsargumenten, die wie nachträgliche Ergänzungen erscheinen: der Hinweis auf die Wohltätigkeit der Erdogan-Veranstaltung, die Parallele zur englischen Königin und Theresa May, die Seitenhiebe auf die Schummelsoftware oder Grindels parlamentarische Haltung zur Abgeordnetenbestechung. Einige Passagen lesen sich wie eine persönliche Abrechnung, andere wie strategisch redigiert. Das Resultat ist nicht durchgehend authentisch.

Der Kern jedoch ist klar und wiegt schwer: Özil fühlt sich - nachvollziehbar - ungerecht behandelt. Auch sein Schluss, was der Auslöser für diese Ungleichbehandlung sein könnte, ist verständlich. Özil versucht, aus der Defensive zu kommen, und schiebt stattdessen die Verantwortung dem DFB-Präsidenten zu. Bevor er selbst das Spielfeld verlässt.

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