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Özil-Wechsel nach London Flucht aus dem Paradies

Er war Stammspieler bei Real Madrid, der beste Tor-Vorbereiter - doch plötzlich verlässt Mesut Özil die "Königlichen" und wechselt zum FC Arsenal. Was wie ein Karriere-Rückschritt aussieht, ist mit Blick auf die WM eine schlaue Entscheidung.

Es ist noch nicht mal eine Woche her, da sagte Mesut Özil über Real Madrid: "Unser Ziel sind Titel, wir sind der größte Verein der Welt. Und ich werde mich auch in diesem Jahr durchsetzen." Fünf Tage später verlässt der deutsche Nationalspieler Real und wechselt zum FC Arsenal in die englische Premier League. Auf den ersten Blick sieht das aus wie ein sportlicher Abstieg.

Für viele ist Real Madrid der größte Verein der Welt. Die "Königlichen". Der Club ist eine Weltmarke, die Spieler werden als "Götter in Weiß" verehrt. Mehr Ruhm geht nicht für Fußballer, denen in Madrid Titel und Geld garantiert sind. Real Madrid ist das Paradies, aus dem Özil nun Hals über Kopf flüchtet.

Die Personalie ist allerdings ein wenig komplizierter als gewöhnliche Wechsel, Özil nicht irgendein Spieler. Er war derjenige, der nach Cristiano Ronaldo das Real-Spiel in den vergangenen drei Jahren am meisten geprägt hat. Nach der WM 2010 war Özil für 15 bis 18 Millionen Euro von Werder Bremen nach Madrid gewechselt und wurde auf Anhieb Stammspieler. In 159 Pflichtspielen für Real bereitete er 81 Treffer vor, ein unglaublicher Wert. Zudem traf er noch 27-mal selbst, war entscheidend am Meistertitel vergangenes Jahr beteiligt. Bei den Fans ist er überaus beliebt, während der Präsentation von Gareth Bale machten sich Tausende gegen einen Verkauf Özils stark.

Warum gibt man so einen Mann dann ab?

Weil Real nach dem Rekord-Transfer von Bale gezwungen war, einen Spieler zu verkaufen, der viel Geld in die Kasse spült. Rund 50 Millionen Euro soll Arsenal für Özil überweisen, der bei Real noch einen Vertrag bis zum 30. Juni 2016 hatte. So viel hätte Madrid mit einem Verkauf von Ángel di María, Karim Benzema, Luka Modric oder Sami Khedira wohl niemals erlösen können. Und Ronaldo ist für den Verein zu wichtig, als ihn kurzfristig abzugeben. Özils Verkauf ist vor allem eine wirtschaftliche Entscheidung.

Dazu kommt, dass Özil bei aller fußballerischen Klasse für Real sportlich ersetzbar ist. Auf der Zehn, direkt hinter der Sturmspitze Benzema oder Ronaldo, hat Trainer Carlo Ancelotti gleich mehrere Optionen. Zugang Isco hat beim FC Málaga überragende Partien auf dieser Position gezeigt, Modric kann dort ebenfalls spielen. Auch Bale, der eher über die Flügel kommt, hat bei Tottenham in der Zentrale überzeugt. Auf kaum einer Position hat Real so viele Optionen wie auf der des Spielmachers. Trainer Ancelotti deutete ja bereits beim 3:1-Sieg gegen Athletic Bilbao am Sonntag an, dass es auch ohne Özil gehen könnte. Seinen Stammplatz wäre er nach dem Bale-Transfer wohl vorerst los gewesen.

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Mesut Özil: Schalke, Real, Arsenal

Foto: MARTIN MEISSNER/ AP

Ganz anders beim FC Arsenal. Bei den Londonern muss Özil wenig Konkurrenz im zentralen offensiven Mittelfeld fürchten. Dort spielt der mittlerweile fast 33-jährige Tomas Rosicky. Und bei allem Respekt vor dem früheren Profi von Borussia Dortmund: Özil ist eine Klasse besser.

Auf den Flügeln wird er in London unterstützt von Theo Walcott, Lukas Podolski und Santi Cazorla, davor stürmt Olivier Giroud. Damit hat Arsenal endlich wieder eine Offensive, die es mit den Manchester-Clubs United und City sowie dem Stadtrivalen FC Chelsea aufnehmen kann. Und mit Özil erhöht sich die Chance, die K.o.-Runde in der Champions League zu erreichen. Arsenals schwierige Gegner in der Gruppenphase heißen Dortmund, SSC Neapel und Olympique Marseille.

Eine Titelgarantie hat Özil bei Arsenal nicht. Aber der 24-Jährige hat bei den Londonern - im Gegensatz zu Madrid - eine Stammplatzgarantie, was wichtig ist mit Blick auf die Weltmeisterschaft in Brasilien im kommenden Sommer (12. Juni bis 13. Juli 2014). Nicht nur für den Spieler selbst, vor allem auch für Bundestrainer Joachim Löw.

Dass Özil bei der WM dabei sein wird, ist so sicher wie eine Nominierung von Torwart Manuel Neuer, Kapitän Philipp Lahm oder Stürmer Miroslav Klose. Der Regisseur gehört zu Löws Lieblingsschülern, er ist auf der Zehn gesetzt, höchstens eine Verletzung könnte seine Turnier-Teilnahme verhindern.

Nur: Wäre Özil bei Real zum Ergänzungsspieler degradiert worden und mit fehlender Spielpraxis zur Nationalmannschaft gestoßen, wäre der Druck vor der WM immens gewesen. Rufe nach einem Mario Götze oder einem Marco Reus als offensive Kreativkräfte wären wohl laut geworden. Nicht auszudenken, wenn Özil als Real-Bankdrücker im ersten Gruppenspiel eine schlechte Leistung abgeliefert hätte. Auch Löw wären dann wohl die Argumente ausgegangen. Dass für Özil so eine WM einfacher ist, wenn er Stammspieler und damit im Rhythmus ist, versteht sich. Und Löw braucht einen Özil in Top-Form, um den WM-Titel gewinnen zu können.

"Ich gehe in meine vierte Saison bei Real", hat Özil vor kurzem gesagt. Das war nicht einmal falsch, schließlich hatte er die Spielzeit ja tatsächlich in Madrid begonnen. Das Saisonende wird er dort aber nicht erleben.

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