Münchner Allianz-Arena "Die Welt schaut nach Fröttmaning"
Genau besehen ist sie ziemlich rund. Pölsterchen reiht sich an Pölsterchen. Wie ein durchgelegenes Paradekissen liegt sie da. Zweieinhalb Jahre wurde an ihr geschraubt, geglättet und die Haut aufgepumpt. 340 Millionen Euro haben ihre Väter ausgegeben, bis der Körper vollendet war. "Weich und spielerisch" mute ihre Erscheinung an, schwärmt die "FAZ". Wie die Gestalt von innen her leuchte, sei gewiss "das Spektakulärste", schmeichelt die "Hörzu", während die "Süddeutsche Zeitung" sie am liebsten in der Abendsonne anschaut: "Ganz ohne künstliches Licht sieht sie vielleicht noch schöner aus."
Die Bewunderung gilt einem Fußballstadion, der neuen Spielstätte des Deutschen Rekordmeisters FC Bayern München - und des Zweitligisten TSV 1860. Mit zwei Spaßspielen der beiden ungleichen Partner wird die Allianz-Arena im Stadtteil Fröttmaning am Montag und Dienstag eröffnet.
Ein paar Jahre verspätet bekommt die bayerische Landeshauptstadt damit das, was die internationale Konkurrenz von Manchester bis Mailand und andere Bundesligaclubs schon lange haben: Ein modernes Stadion, in dem 66.000 im Trockenen sitzen, um Berufskickern live bei der Arbeit zuzusehen - auf drei steil ansteigenden Rängen, minimal 8, maximal 39 Meter weit vom Spielfeldrand entfernt.
Die Erregung, die von dem neuen Sportpalast ausgeht, reicht indes weit über alle Strafräume und über die freistaatlichen Grenzen hinaus - und ist nicht allein mit jener Spannung zu erklären, die eine gut gebaute Arena seit der Antike erzeugt.

Allianz-Arena: Klassentreffen mit Tante Käthe
Gewiss: Das Bauwerk ist auserwählt, die Bühne für Sporthistorisches zu sein. In Fröttmaning wird in ziemlich genau einem Jahr das Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 angepfiffen. Verständlich auch, dass Bernd Rauch, 62, Geschäftsführer und Sprecher der Stadion GmbH, wie ein Windrad abwechselnd seinen Charme und beide Arme fliegen lässt, wenn er im Countdown-Stakkato Superlative runterzählt: 7100 Tonnen Stahl. 2800 luftgefüllte Kunststoffkissen. Zwei Videowände, jede so groß wie eine Vierzimmerwohnung. Gefängniszellen für 50 Randalierer. Mindestens 33 Millionen Euro Umsatz will die Stadion GmbH alles in allem pro Jahr einspielen, unter anderem mit Hilfe der Megastores, die Vereine und Sponsoren an 365 Tagen geöffnet halten.
Rauch, der wie sein Kollege Peter Kerspe quasi im Bellheim-Verfahren nach den Korruptionsvorwürfen gegen Löwen-Managersohn Karl-Heinz Wildmoser aus dem Ruhestand in die Arena komplimentiert wurde, setzt ein Robert-Redford-Lächeln auf, wenn er sein Traumszenario vom Arena-Shopping entwirft: "Die Frau ruft: 'Schatz, wie wär's mit diesem neuen Audi', der Junior spielt im Lego-Paradies und Vater raucht eine Kubanische in der Davidoff-Lounge, bevor er eine Lebensversicherung abschließt." Nur andererseits: Ist es nicht erst fünf Jahre her, dass Deutschlands Vorzeigeclub von der Stadt keinen Bauplatz für ein neues Stadion bekam? Erzwang Oberbürgermeister Christian Ude nicht gar einen Volksentscheid über die Neubau-Frage? Vergeben und vergessen.

Allianz-Arena: Münchens Sporttempel der Superlative
Hardliner, die mit allen Mitteln das denkmalgeschützte, aber fußballferne Olympiastadion davor bewahren wollten, ohne fußballerische Aufführungen vor sich hinzugammeln, sagen heute wie der Dokumentarfilmer Wolfgang Ettlich, der den Bau fürs Fernsehen begleitete, dass "der ganze Widerstand in Faszination umgeschlagen ist". Jetzt sind sie gewaltig stolz auf ihr Werk, die Münchner. Als gäbe es Amsterdam, Barcelona, Berlin, Hamburg, Gelsenkirchen und all die anderen nicht.
Diese Arena, dieses Sammelbecken der Superlative, ihr "Kaiserklo", wie sie es im bayerisch-derben Koseton nennen, hat dem Selbstbewusstsein einer Stadt gerade noch gefehlt, die eben zum zweiten Mal in einer Wirtschaftstudie zur erfolgreichsten Kommune Deutschlands gekürt wurde. Solche Auszeichnungen bestätigen nur ein Wir-Gefühl, das sich in seiner offensiven Naivität von anderen Gemeinwesen unterscheidet. Der Münchner Stolz definiert sich über München. Er braucht keine Analyse, keinen Vergleich. Und keine Geburtsurkunde.
"Schönstes Stadion der Welt"
Der Münchner Stolz braucht Philharmonien, Pinakotheken, Promi-Discotheken. Er braucht einen Prunkverein wie den FCB. Und eine "Prachtschüssel" ("SZ") brauchte er auch. Zwischen diesen und noch ein paar anderen Identifikationspunkten in der Stadt pendeln die, die sich zur Gesellschaft zählen. Deutschlands Unternehmensberater Nummer eins, Roland Berger, sitzt im Premium Circle der Staatsoper, im Verwaltungsrat der Pinakothek und in dem des FC Bayern. Dieter Rampl, Vorstandssprecher der Hypo-Vereinsbank, engagiert sich für Kunst und Oper und verstärkt den Vorstand des FC Bayern. Herbert Henzler, ehemals Deutschlandchef von McKinsey, heute Crédit Suisse, führt im Aufsichtsrat des FC Bayern gemeinsam mit Adidas-Boss Herbert Heiner den Prüfungsausschuss und bezeichnet sich als "Fußballfan total".
Das Superstadion ist ein idealer Hort für jenen kollektiven Sehnsuchtszustand, der das männliche Wesen von der Windel bis zur Weltmeisterschaft erfasst. Allein der Anblick des "magischen Ortes" ("SZ") provozierte auf der nahen Autobahn 247 Auffahrunfälle. Herbert Henzler, dessen Spielerkarriere beim FH 09 Nürtingen begann und endete, sieht deutschlandweit "keine andere Mannschaft mit den Bayern auf Augenhöhe". Darum wollen sie alle in München dabei sein und die Fäden ziehen. Darum brauchte es dieses Stadion, von dem heute nicht nur Günter Netzer behauptet, dass es "das schönste der Welt" sei.
"Jetzt geht's obi"
Die Schweizer Architekten Herzog und de Meuron, die auch das Olympiastadion für Peking und die Hamburger Elbphilharmonie bauen, traten in der Wettbewerbsphase mit Bildern der Wiener Staatsoper an, in deren Mitte sie einen Rasen simuliert hatten. "Es geht um ein Spektakel, 90 Minuten Oper mit ungewissem Ausgang", sagt Pierre de Meuron. Das Wesen der Münchner Fußballs hat der FC-Basel-Anhänger mit sicherem Faninstinkt erfasst: "Es geht um Identifikation." Mit der Idee, das Stadion je nach Verein blau oder rot erstrahlen zu lassen, schafften es die Baumeister, jeden Widerstand quasi auszuknipsen. Jetzt schaut die Welt nach München. Nein, sagt, Hans Ehrenschwender, 74, und lächelt fein, "die Welt schaut nach Fröttmaning".
Die Ehrenschwenders wohnen in Sichtweite des Stadions und in Hörweite der Autobahn, die dazwischen verläuft. Die Ellenbogen auf zwei Kissen im Fenster gestützt, hat das Rentnerpaar die Arbeiten an dem Koloss vom ersten Spatenstich bis zur Bauabnahme verfolgt. Sie haben sich an die Dezibel ebenso gewöhnt wie an die Duftschwaden, die mal von der Kläranlage im Süden, mal von der Mülldeponie im Norden herüberwehen.
"Die Welt schaut nach Fröttmaning"
Allenfalls bei "Inversionswetterlagen", hat der Deutsche Wetterdienst die Bauherren beruhigt, könne es den Leuten im Stadion mal stinken. Hans Ehrenschwender ficht das nicht an. "Früher waren wir das Ende von München", sagt er, "aber jetzt geht's obi."ter, jeden Widerstand quasi auszuknipsen. Jetzt schaut die Welt nach München. Nein, sagt, Hans Ehrenschwender, 74, und lächelt fein, "die Welt schaut nach Fröttmaning".