
Fotostrecke: Das Prinzip Angriff
Stürmer im WM-Kader Sag niemals Nils
Stürmer Nils Petersen hat einen gewissen Standortvorteil. Er schießt seine Tore für den SC Freiburg, in der Stadt, in der auch der Bundestrainer seinen Lebensmittelpunkt hat. Möglicherweise ist das auch ein Ansatzpunkt, warum in der Öffentlichkeit zuletzt häufig der Name Petersen fiel, wenn es darum geht, einen Stürmer für das DFB-Aufgebot zur Fußball-WM in Russland zu benennen.
Joachim Löw hat durchaus eine gewisse emotionale Nähe zu den Vereinen, bei denen er als Spieler oder Vereinstrainer tätig und erfolgreich war. Dass er Spieler aus dem Dunstkreis des VfB Stuttgart bevorzugt nominiert, ist ihm in seinen zehn Jahren als DFB-Coach schon mehrfach vorgeworfen worden. Dass er Spiele des SC Freiburg vor der eigenen Haustür häufiger besucht als andere Bundesligapartien, ist naheliegend. Aber um Petersen in den WM-Kader zu befördern, wird das alles nicht ausreichen.
Der mittlerweile 29-jährige Petersen hat in dieser Saison bislang 13 Treffer erzielt. Er liegt damit auf Rang zwei der Torschützenliste - mit gebührendem Abstand hinter Bayern-Angreifer Robert Lewandowski. Kein anderer deutscher Angreifer hat so oft getroffen, also auch nicht Timo Werner, Mario Gómez und Sandro Wagner, die sich in diesen Tagen bei der Nationalmannschaft für die Testspiele gegen Spanien am Freitag und Brasilien am Dienstag (beide Spiele 20.45 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) vorbereiten. Und so fragte selbst die "Süddeutsche Zeitung" schon mit drängendem Ton: "Nils Petersen für die Nationalmannschaft?"
Von Martin Max über Alex Meier bis zu Stefan Kießling
Tore wecken in der Öffentlichkeit stets den Reflex, denjenigen, der sie erzielt, für höhere Ziele zu empfehlen. Das ist nachvollziehbar, das Toreschießen ist nun einmal das Wichtigste im Fußball. Der Reflex funktioniert so: Wer in der Liga trifft, muss auch gut genug für die Nationalmannschaft sein - auch wenn der Bundestrainer das anders sieht. Das war schon in den Neunzigerjahren bei Martin Max so, das galt für Kevin Kuranyi, für den Frankfurter Alexander Meier und für Stefan Kießling, der jahrelang eine Lobby in der Öffentlichkeit besaß und dennoch (oder deswegen) von Löw eisern ignoriert wurde.

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Der Bundestrainer hat es noch nie gemocht, wenn von außen versucht wurde, ihm Spieler in die Mannschaft hineinzuschreiben. Er reagiert darauf mit einer gewissen Sturheit. Löw glaubt sehr genau zu wissen, welchen Spielern er vertraut und welchen nicht. Und er kann mit Recht darauf verweisen, dass er meistens damit richtig gelegen hat. Dass er jahrelang verlässlich an Miroslav Klose festhielt, auch dann noch, als der Stürmer im Verein nicht mehr erste Wahl war, hat sich letztlich als angemessen bewiesen. Auch Kloses Tore haben den Weg zum WM-Erfolg in Brasilien geebnet.
Löw und die Mittelstürmer - das ist immer eine komplizierte Beziehung gewesen. Der Bundestrainer hat keinen echten Bezug zu diesem Spielertyp, er ist ihm zu unflexibel, zu unbeweglich, zu wenig angepasst ans Spielsystem. Jahrelang hat er die Mittelstürmer bei seinen Nominierungen links liegen gelassen, er hatte ja seinen spielintelligenten Klose, der auch mal den Strafraum verließ, wenn es die Situation erforderte.
Seit 2016 denkt Löw um
Erst seit 2016 hat Löw leicht umgedacht, als Mario Gómez das Team mit seinen Toren bei der EM 2016 überhaupt bis ins Halbfinale gebracht hatte. Dass er jetzt mit Gómez und Wagner zwei Strafraumspieler in der engeren Wahl hat, ist schon ein gewaltiges Stück Selbstüberwindung an der Grenze zur eigenen sportlichen Selbstverleugung. Da wird er sich nicht noch mit einem dritten Spieler dieser Kategorie befassen.
Timo Werner, Leroy Sané - das sind die Angreifertypen nach Löws Geschmack. Die mit Tempo aus dem Mittelfeld aufs Tor zugehen, die das halbe Spielfeld als ihr Revier betrachten, die auf dem Platz rochieren können. Das unterscheidet Löw von vielen Nationaltrainern anderer Auswahlteams, die wieder auf den klassischen Torjäger setzen. Einen wie Harry Kane, der die spielerische Qualität mit Torinstinkt verbindet, so einen hat Deutschland derzeit nicht. Die Bundesliga hat ihn, aber Robert Lewandowski spielt für Polen.
Petersen selbst, der das DFB-Trikot bisher leidlich als Spieler des Olympiateams 2016 getragen hat, sagte zuletzt: "Wenn der Bundestrainer anruft, gehe ich natürlich ran." Das ist schließlich allein ein Akt der Höflichkeit. Aber er darf davon ausgehen, dass das Telefon schweigen wird. Von seinen 13 Treffern fielen fünf durch verwandelte Elfmeter, das relativiert die Bilanz.
Dass er sich einst beim FC Bayern nicht durchsetzen konnte und auch bei Werder Bremen nicht wirklich den Durchbruch schaffte, kommt hinzu. Mit Verlaub: Petersen ist letztlich dann doch nur ein Stürmer des SC Freiburg, der seine Tore gegen Hannover, Mainz, Köln, Bremen und Augsburg macht. Im Sommer warten Argentinien, Brasilien, Frankreich oder Spanien. Es geht nicht um den Ligaverbleib in der Bundesliga, es geht um die Titelverteidigung bei der Fußball-Weltmeisterschaft.