

Hamburg - "Der Schock sitzt bei uns noch immer tief", sagte eine Sprecherin von Roter Stern Leipzig (RSL) zwei Tage nach dem Überfall von rund 50 Rechtsextremisten während eines Amateur-Fußballspiels im sächsischen Brandis. Die Verantwortlichen des Clubs, der für seine politisch linksgerichteten Fans bekannt ist, werfen der Polizei vor, sie habe den Verein und seine Anhänger im Stich gelassen. "Wir fragen uns, warum weder Polizei noch der gastgebende Verein für die Sicherheit während der Partie Sorge tragen konnte."
Eine ähnliche Frage richtet auch Juliane Nagel vom Landesvorstand der Partei Die Linke an die Sicherheitsbehörden: "Die Polizei muss sich fragen lassen, warum sie die Sicherheit bei dem Spiel nicht gewährleisten konnte, obwohl es im Vorfeld Anzeichen dafür gab, dass es zu Störungen kommen könnte, die sich explizit gegen Mannschaft und Fans des Roten Stern Leipzig richten." Die grüne Bundestagsabgeordnete Monika Lazar geht gar einen Schritt weiter: "Sollte sich der Verdacht bestätigen, dass die Polizei vorab über einen möglichen Angriff informiert war, müssen Konsequenzen gezogen werden."
Die Polizei weist die Vorwürfe weit von sich: "Eines kann ich Ihnen versichern, und das betrifft nicht nur unsere Direktion, sondern die gesamte sächsische Polizei: Wenn wir Hinweise bekommen für solche Straftaten, Überfälle oder Ähnliches, dann reagieren wir. Da gibt es gar keine andere Frage", sagte Michael Hille, Sprecher der Polizeidirektion Westsachsen, dem MDR. Zehn Ordner und vier Polizisten waren am Samstag zunächst auf dem Platz. Erst als die Situation eskalierte, rückten mehr Kräfte an. Zuvor waren bei dem Angriff auf Fans und Spieler drei Menschen verletzt worden, einer davon schwer. Bei der Auseinandersetzung wurden Latten, Eisenstangen und Feuerwerkskörper verwendet.
Polizei gründet Ermittlungsgruppe
Mittlerweile wurde eine achtköpfige Ermittlungsgruppe gebildet. "Gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft ermitteln wir wegen schweren Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung - zunächst gegen Unbekannt", so Hille. Die Fahnder rechnen die Angreifer dem rechtsextremen Milieu zu. "Wir gehen davon aus, dass ein politischer Hintergrund da ist", sagte Hille. Auch der Club habe Anzeige gestellt, sagte eine RSL-Sprecherin auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE. Dem ausrichtenden Verein attestiert die RSL-Sprecherin "eine gehöriges Maß an Naivität. Teile des FSV Brandis müssen davon gewusst haben. Schließlich wurde die Gruppe der Rechtsradikalen vom Stadionsprecher angekündigt. Es wäre die Pflicht des Clubs gewesen, eine entsprechende Sicherheitskonferenz im Vorfeld einzuberufen".
Das sieht der Leipziger Fußballverband offenbar ähnlich, zumal ein als rechtsradikal bekannter Brandis-Ordner den Schlägern über eine Seitentür Zugang zum Gelände verschafft haben soll. Der Verband wolle nun prüfen, ob das "Risikospiel ordnungsgemäß" von Verein und Polizei vorbereitet wurde, sagte der Präsident des sächsischen Fußball-Verbandes, Lutz Mende. "Man muss in Vereinen darauf achten, dass Menschen rechtsradikaler Gesinnung dort nicht mitwirken." Für Thomas Knopf, Trainer des Roter Stern Leipzig, steht eines bereits fest: "Ohne dem Sportgerichtsurteil vorgreifen zu wollen - wir fahren da auf keinen Fall wieder hin, auch nicht die nächsten Jahre."
"Ich habe in die Gesichter von 50 Mördern geguckt"
Die Verantwortlichen des FSV Brandis räumen Versäumnisse ein: "Wir haben über einen Seiteneingang die keulenden Truppen auf das Gelände des Sportplatzes gelassen, was sich als Fehler herausstellte", sagte Gerd Große, Vereinssprecher des FSV 1921 Brandis, dem MDR: "Aber wir schätzen es so ein, dass die so aufgebracht waren, dass wir sie auf keinen Fall hätten aufhalten können. Die waren so was von aggressiv, dass wir keine andere Möglichkeit sahen, als sie auf der rechten Seite hereinzulassen", so Große, dem die Fassungslosigkeit deutlich anzusehen war: "Ich habe in die Gesichter von 50 Mördern geguckt."
Immerhin eine positive Nachricht gibt es: Dem RSL-Fan, der nach der Randale auf der Intensivstation mit schweren Gesichts- und Augenverletzungen behandelt werden musste, geht es wieder besser. Laut RSL-Sprecherin habe er mehrere Gesichtsfrakturen erlitten, darunter auch einen Jochbeinbruch: "Sein Augenlicht konnte aber gerettet werden", so die Sprecherin.
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Randale: Etwa 50 Personen haben am 24. Oktober beim Bezirksliga-Spiel zwischen dem FSV Brandis und Roter Stern Leipzig (RSL) Fans der Gäste angegriffen. Laut anwesenden RSL-Fans handelte es sich um "eine Mischung aus rechten Hools und einschlägig bekannten Neonazis aus dem Muldentalkreis". Spieler beider Teams...
...hatten noch versucht, sich zwischen die beiden Gruppen zu stellen,...
...um Schlimmeres zu verhindern - jedoch ohne Erfolg. Die Angreifer waren laut Zeugenberichten von einem Brandis-Ordner, der der rechtsextremen Szene angehören soll, durch eine Seitentür auf das Gelände gelassen worden. Dort bewaffneten sie sich mit angeblich zuvor dort deponierten...
...Eisenstangen und Holzknüppeln und gingen...
...auf die politsch als links bekannten Fans von Roter Stern Leipzig los. Die Polizei war laut Augenzeugen zu diesem Zeitpunkt mit zu wenigen Beamten vor Ort und musste...
...dem Treiben auf dem Feld zunächst tatenlos zusehen. Der Schiedsrichter brach das Spiel ab, da die Angreifer mittlerweile das Feld fest im Griff hatten und...
...sich zielstrebig in Richtung des Gästeblocks bewegten. Dort setzten...
...die Angreifer auch Feuerwerkskörper ein...
...und rückten weiter vor.
Gegenwehr: Ein Teil der RSL-Anhänger ging zur Selbsthilfe über und versuchte, die Angreifer aus dem Stadion zu drängen. Nach etwa 15 Minuten...
...traf dann auch Polizeiverstärkung ein. Unbehelligt...
...von der Polizei verließen...
...die Rechtsextremen den Sportplatz in Brandis und schickten einen letzten...
...obszönen Fingergruß in Richtung der Gästefans. Die Bilanz: Drei Menschen wurden verletzt, einer von ihnen schwer. Es gab weder Fest- noch Ingewahrsamnahmen. Die Polizei, die vom Gastverein scharf kritisiert wurde, gründete am Montag eine achtköpfige Ermittlungsgruppe und versucht nun mit der Hilfe von Zeugen, die Täter aus dem rechtsextremen Milieu zu fassen.