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Geschäft mit Fußballkindern Die Reise des Nelson Mandela Mbouhom

Mit neun Jahren verließ Nelson Mandela seine Heimat Kamerun, um Fußballstar zu werden. Doch weder in Barcelona noch in Paris oder Hoffenheim wurde sein Traum wahr. Jetzt hofft er auf ein Happy End.

Das Dokument, das Nelson Mandela Mbouhom zum glücklichsten Fußballer Deutschlands macht, kam auf einem gewöhnlichen Briefpapier, DIN-A4-Format: Es ist die vorläufige Aufenthaltsgenehmigung für die Bundesrepublik. Der Afrikaner darf bleiben, für weitere zwölf Monate. Am 13. August hatte seine 13-monatige Leidenszeit vorerst ein Ende. Nach sechs Jahren zwischen Kamerun, Spanien, Frankreich und Deutschland.

Mandela, heute 16 Jahre alt, ist ein Fußballkind, träumt vom großen Profivertrag. Dafür hat er seine Heimat Kamerun verlassen, wurde von seinen Eltern und Geschwistern getrennt, musste unzählige Niederlagen verkraften. Dabei dachte er im Sommer 2014 noch, der Profikarriere endlich ein Stück näher gekommen zu sein.

Der Stürmer gewann mit einem Juniorenteam seines Klubs Eintracht Frankfurt das Finale um die Süddeutsche Meisterschaft. Der Gegner damals: der große FC Bayern München. Mandela erzielte drei Tore, sein Team gewann 4:3. Großer Jubel, Mandela, die neue Sturmhoffnung. Seine Sternstunde.

Wenige Wochen später führte Mandela die Hessen-Auswahl der unter 15-Jährigen beim wichtigsten Jugendturnier Deutschlands auf den Platz. Als Kapitän. Der Duisburger Landescup ist eine Art Schaufenster für Deutschlands Top-Talente. Berater und Scouts stehen Schulter an Schulter und schreiben Namen in ihre Notizblöcke. Spieler, die hier bestehen, haben beste Chancen auf eine Profikarriere. Mandela war der prägende Spieler des Events.

"BEIM KOPFBALL IST NOCH LUFT"

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Aber wie so oft in seinem Leben: Das Gute blieb nicht lange.

Am Morgen vor dem entscheidenden Turnierspiel erreichte den Stürmer ein Anruf aus dem Frankfurter Jugendinternat, Mandelas damaligem Zuhause: "Sie sagten mir, die Polizei habe sich gemeldet", erinnert sich Mandela. Seine Papiere seien in Deutschland ungültig, erklärte die Anruferin, er habe keine Aufenthaltserlaubnis, ihm drohe womöglich sogar die Abschiebung: "Ich war geschockt."

Das Finale um den Landescup wurde für viele Monate das letzte Spiel des Kameruners. Mandela kämpfte nun nicht mehr auf dem Platz, sondern in stickigen Büroräumen. Sein Gegner: Dokumente, deren Inhalte er selten verstand. Mandela war erst ein Jahr in Deutschland. Hinter ihm lag eine Odyssee. Sie zeigte ihm die Härten des Geschäfts mit jungen Fußballtalenten. Wenn sich der 16-Jährige heute daran zurückerinnert, wirkt er ernst.

"ICH HABE EINEN TRAUM"

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Mandela wurde als jüngstes von sieben Geschwistern in Douala, der Wirtschaftsmetropole Kameruns, geboren. Die Mutter Hausfrau, der Vater Kaufmann. Als Achtjähriger kickte Mandela mit Freunden auf der Straße. Dann sprach ihn ein Mann an. Er sei von der Eto'o-Stiftung, einer Fußballorganisation des ehemaligen Stürmerstars des FC Barcelona, Samuel Eto'o. Er wolle Mandela und drei seiner Freunde zu einem Probetraining einladen. Mandela, damals noch ein kleiner, schmächtiger Junge, ging mit.

Er ist schnell, technisch stark, ein Dribbler. Der Scout von der Straße begleitete ihn nach dem Training zum Haus der Eltern. Er sagte der Mutter, er werde dem kleinen Mandela ein Probetraining bei La Masia, dem Elitefußballinternat des FC Barcelona, besorgen. Auch Messi habe dort das Kicken gelernt. Größer geht es nicht. Die Mutter müsse dafür aber die Vormundschaft für ihren Sohn an den Mitarbeiter der Eto'o-Stiftung übertragen. Erst dann könne der Sohn nach Spanien. Nelson Mandela verabschiedete sich als Neunjähriger von seinen Eltern.

IMMER ALLEIN

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Die Hilfsorganisation Foot Solidaire schätzt, dass jährlich bis zu 15.000 Jugendspieler aus Afrika in die großen Sportinternate der Top-Klubs in England, Spanien oder Deutschland transferiert werden. Windige Berater frisieren Geburtsurkunden, kümmern sich um Pässe, sichern sich dafür im Gegenzug die Transfer- und Marketingrechte an den Spielern. Es ist oft eine zynische, über die Grenzen des Legalen gehende Spekulation auf eine Rendite: den millionenschweren Durchbruch eines Talents im Profifußball.

Mandela kennt das inzwischen alles. Sein Barcelona-Trip endete jäh. Zwei Jahre lang spielte er für die Jugendmannschaften des Champions-League-Siegers. Irgendwann kam ein Jugendtrainer zu ihm und sagte, dass es jetzt nicht mehr reiche. Dass Mandela sich einen neuen Verein suchen müsse. Mandela war elf Jahre alt und mehr als 5500 Kilometer von zu Hause entfernt.

TRAINING BEIM FC BARCELONA

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Der Weltverband Fifa versucht, den Menschenhandel mit Minderjährigen seit Jahren einzudämmen. Verträge dürfen nur mit Spielern abgeschlossen werden, die mindestens 18 Jahre alt sind, aber es gibt Ausnahmen, die diese Regeln aufweichen. Die Vereine finden immer wieder Möglichkeiten, um die Paragrafen im Regelwerk des Weltverbands auszuhebeln.

Für Mandela ging es weiter zum spanischen Klub Real Valladolid. Dort kam er nicht zurecht. Er ließ sich ein Flugticket nach Paris kaufen. Dort wohnt sein älterer Bruder, Mandela zog bei ihm ein. Sein Bruder beauftragte einen Spielerberater, einen Klub für den kleinen Nelson zu suchen. Es vergingen Tage, dann Wochen.

Der Berater besorgte Mandela schließlich ein Probetraining bei Paris St. Germain: "Ich war zu aufgeregt", sagt Mandela. Er fiel durch. Der Berater meldete sich nicht mehr. "Ich habe Vertrauen verloren. Zu viele Menschen haben versucht, mich auszunutzen", sagt Mandela.

Mandelas Erinnerungen sind nicht komplett überprüfbar. Es gibt Fotos aus seiner Zeit bei La Massia, bei Real Vallodolid erinnert sich hingegen niemand mehr an ihn. Den Kontakt zur Eto'o-Stiftung hat er abgebrochen, auch die Telefonnummer zu seinem früheren Vormund hat er gelöscht. Die Stiftung will sich auf Anfrage nicht zu einzelnen Spielern äußern.

KINDERTRANSFERS

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Mandelas Irrfahrt durch den europäischen Spitzenfußball ging weiter: Von Paris per TGV weiter nach Mannheim, zur TSG 1899 Hoffenheim. Auch dort funktionierte es nicht. Mandela wechselte nur wenige Monate später zur Eintracht nach Frankfurt (lesen Sie im aktuellen SPIEGEL, wie Mandela nach Deutschland kam, wie schwierig sich sein Kampf mit deutschen Behörden gestaltete und warum Mandela inzwischen zu einem Spielerberater aus Rüsselsheim "Dad" sagt).

"Wir haben alle gesehen, dass der Junge richtig gut kicken kann", erinnert sich Armin Kraaz, Leiter des Frankfurter Nachwuchsleistungszentrums, an die ersten Trainingseinheiten Mandelas. Eine Saison hat der Kameruner bislang für die Eintracht gespielt. Fast zeitgleich mit der Ausländerbehörde, die sich bei dem Verein meldete und Kraaz über den fehlenden Pass informierte, rief auch Mandelas Bruder an. Ein Spielerberater würde nun die Interessen des Jungen vertreten.

Nach den drei Toren gegen Bayern München, so erklärten die Anrufer, müsse der Junge doch nun endlich ein vernünftiges Gehalt bekommen. Im Gespräch soll die Summe 17.000 Euro gefallen sein. Pro Monat. Für einen 15-Jährigen. Es riefen auch Berater von Manchester City, dem VfL Wolfsburg, RB Leipzig und Juventus Turin an.

"Die Behörden forschten nach, und gleichzeitig kamen all die Geier wieder angeflogen", sagt Kraaz, der Mandela kurz darauf aus dem Spielbetrieb nahm. Der Junge sollte erst seine persönlichen Dinge klären, sich um sein Bleiberecht kümmern. Es wurde eine lange Zeit des Wartens. Seit dem vergangenen August durfte Mandela kein Punktspiel mehr für die Eintracht bestreiten. "Ich war sehr wütend", sagt Mandela.

"SO GEHT ES NICHT WEITER"

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Dass er nun wieder spielen und in Deutschland bleiben darf, das verdankt er seinem Berater. Auch wenn dessen Rolle einige Fragen aufwirft (lesen Sie im aktuellen SPIEGEL, wie Mandelas Verhältnis zu seinem Berater ist und welchen Anteil dieser an Mandelas Aufenthaltsgenehmigung hat). Mandelas Geduld, Verzicht und Beharrlichkeit haben sein vorläufiges Happy End möglich gemacht. Kein großes, schnelles Geld bei einem anderen Klub. Kein Umhergeschiebe mehr. Vorerst.

HEIMAT? KAMERUN

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