Neue Fußballwelt Revolution in der Bundesliga

Hoffenheim siegt schon wieder, Leverkusen gewinnt in Bremen - und jetzt drängt auch noch Hertha in Richtung Champions League. Findet in der Bundesliga eine Revolution statt? Ja, sagt Peter Unfried: Mit der alten Hierarchie ist Schluss, alles ist nun eine Frage des Geldes.

Je unübersichtlicher und komplizierter die Welt ist, desto lieber zieht man sich auf den Fußball zurück. Da gibt es noch Sicherheiten.

Dumm nur: Ausgerechnet jetzt (oder gerade jetzt?) scheint selbst in der Bundesliga nicht mehr alles so zu sein, wie es immer war. Der Blick auf die Tabelle zeigt in der oberen Hälfte eine neue Unübersichtlichkeit: 1. Hoffenheim, 2. Leverkusen, 3. HSV, 4. (!) Bayern.

Was ist da los? Herrscht jetzt auch im Fußball Revolution?

Die Antwort: Ja. Aber eine überschaubare Revolution. Und eine zutiefst logische.

Letztlich pendelt sich am Saisonende ja seit Jahren alles so ein, dass die Punktetabelle mit der Spielerinvestitions-Tabelle weitgehend übereinstimmt - abgesehen von einem Ausreißer nach oben und einem nach unten.

Oben sind seit Jahren Bayern, Schalke, Werder, HSV, VfB Stuttgart und Bayer Leverkusen. In dieser Saison werden sehr wahrscheinlich die derzeit führenden zehn Clubs oben bleiben und um die besten Plätze kämpfen. Auch Bremen auf Platz zehn ist nicht in Gefahr. Darunter kommt die zweite Liga in der ersten; sie besteht aus sieben Clubs - den erwarteten Abstiegskandidaten inklusive dem KSC, dazu Hannover und Frankfurt.

Was aber, wenn man nicht auf die Tabelle blickt - sondern ein bisschen tiefergehende Erkenntnisse sucht?

Am einfachsten ist das im Fall des Aufsteigers und Tabellenführers TSG 1899 Hoffenheim. Für Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann ist ausgemacht, dass das Team "die Bundesliga im nächsten Jahr in einem europäischen Wettbewerb vertreten wird". Und um den Titel "ein Wörtchen mitreden" wird. Das wäre mehr, als man trotz der jüngsten Siege seriös vom FC Bayern sagen kann.

Die meistgebrauchte Vokabel der letzten Tage war "Fußballmärchen". Doch nichts kennzeichnet das Geschehen unpräziser: Hoffenheim ist weder ein Märchen noch ein Dorfclub, sondern eine so leidenschaftlich wie knallhart professionell geplante Realität. Und Hoffenheim ist ja längst nicht nur "Besitzer" Dietmar Hopp, also viel zusätzliches Geld - sondern auch Trainer Ralf Rangnick, also Fußballmoderne. Es ist faszinierend, wie Rangnicks Fußball sich in einem Jahrzehnt vom Ulmer Modell des Vorsprungs durch systematisches Laufen zu jenem organisierten, disziplinierten Tempospektakel entwickelt hat, das Hoffenheim derzeit abliefert.

Im Moment ist unklar, wieviel bei 1899 bereits Substanz ist und wieviel die Euphorie der ersten Monate ermöglicht. Dass ein Vedad Ibisevic beim 3:1 in Bochum bereits sein elftes Saisontor machte, dürfte selbst Rangnick kaum vorher gesehen haben. Letztlich ist die individuelle Klasse der Spieler noch nicht mit jener des FC Bayern zu vergleichen und wohl auch nicht mit Schalke und Werder. Noch nicht. Offensichtlich ist aber, dass Hoffenheim gekommen ist, um zu bleiben. Nicht bloß in der Liga, sondern in der Spitze der Liga.

Das gilt vermutlich auch für den VfL Wolfsburg (derzeit 8.), der seit der Inthronisation von Felix Magath als Vater, Sohn und Heiliger Geist erstmals die zusätzlichen ökonomischen Möglichkeiten einer VW-Unternehmenstochter richtig ausschöpfen kann - und bei dem der Aufbau eines Teams und eines neuen Fußballs sichtbar, nachvollziehbar und zumindest im eigenen Stadion emotional erlebbar ist. Teams wie Mönchengladbach (3:0) und zuletzt Bielefeld (4:1) werden Zuhause dominiert, und auswärts kann man bei Schalke und auch bei den Bayern mithalten.

Was Bayer Leverkusen angeht (derzeit 2.), so wurde der Club nach dem Entschluss zum Abstottern der Calmund-Hypothek zurückgeworfen - dennoch war man seit 2004 dreimal in den Top Fünf, einmal 6. , zuletzt auf Platz 7. Die ökonomische Zusatzinvestition, die nun wieder möglich ist, lässt der Bayer-Konzern traditionell im Vagen - deren Höhe wird entscheiden, ob der Club wieder um die Champions-League-Plätze spielt.

Die neue Qualität im Team ist seit längerem sichtbar. Wie in Hoffenheim ist der derzeit funktionierende Mix aus Offensivspiel und Defensivdisziplin der Stürmer Grundlage für den derzeitigen Erfolg.

Tja, und dann gibt es die in den letzten Jahren zurückgefallenen, potentiellen Fußballgroßmärkte: Borussia Dortmund (7.) und Hertha BSC Berlin (5.), beide am Mittwoch siegreich. Dortmund war das Gegenteil einer Klopp-Mannschaft, also eine, deren individuelle Möglichkeiten das daraus resultierende Team meist übertrafen. Sollte der BVB dauerhaft oben bleiben, hätte Jürgen Klopp eine Mannschaft geschaffen, bei der es umgekehrt ist. Das Ganze wäre dann mehr als die Summe der einzelnen Teile.

Und Lucien Favres Aufbau einer neuen Hertha? Das ist schwer. Wenn, dann handelt es sich derzeit noch um einen Geheimauftrag. Man trifft jedenfalls in Berlin selten jemanden, der einem sagt, man müsse unbedingt zu Hertha gehen, weil sich da etwas anbahne. Naja, Dieter Hoeneß vielleicht.

Die Veränderungen in der Bundesliga sind am Ende einfach Folge von Finanzkraft. Konkret: Teams mit erheblichen ökonomischen Möglichkeiten jenseits der allen zur Verfügung stehenden Quellen waren bisher Bayern (qua überragender Marke und Wirtschaftskraft) und Schalke (durch Gazprom). Nun gibt es dazu Hoffenheim (Hopp) und Wolfsburg (VW) und eventuell wieder Leverkusen. Zumindest durch Hoffenheim wird die Hierarchie des deutschen Fußballs dauerhaft verändert. Damit ist der Druck auf dem HSV (derzeit 3.), Schalke (6.) Stuttgart (9.) und Werder Bremen (10.) gewachsen, nicht zur negativen Geschichte dieser Saison zu werden.

Wer diese Saison abrutscht, könnte dauerhaft tief fallen.

Das zumindest droht den Bayern auf keinen Fall - nur Jürgen Klinsmann.

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