Fan-Vertreterin im Interview "Es braucht eine Neuausrichtung des Fußballs"

Ein fast schon nostalgisches Bild in der Corona-Zeit
Foto: Patrick Seeger/ dpaMit Forderungen, den Profifußball zu verändern, hat sich kurz vor Ende der Bundesligasaison ein neues Fan-Bündnis zu Wort gemeldet. "Unser Fußball" ist ein Zusammenschluss zahlreicher bekannter Fan-Organisationen wie "Unsere Kurve", "Pro Fans", dem "FC Play Fair" und dem "Bündnis aktiver Fußballfans BAFF". Helen Breit von "Unsere Kurve" erklärt, was die Fans damit bezwecken wollen.
SPIEGEL: Frau Breit, was hat es mit der Erklärung "Unser Fußball" auf sich?
Breit: Das sind zunächst etwa 1000 Erstunterzeichner einer gemeinsamen Erklärung zur Zukunft des Fußballs. Sie bietet die Möglichkeit, dass wir alle, ob klassischer Fanklub, Ultragruppe oder Dachverband, sagen können: So stellen wir uns den Fußball vor. Unabhängig davon, wie wir unser Fandasein ausleben.

Helen Breit, 32, ist Vorsitzende des Fanbündnisses "Unsere Kurve", einer Vertretung organisierter Fanszenen in Deutschland. In der Erklärung "Unser Fußball", in der über 1000 Fangruppen sich für verschiedene Reformen im Profifußball einsetzen, gehört sie zu den Erstunterzeichnern. In der Fanpolitik engagiert sie sich als Anhängerin des SC Freiburg seit mehreren Jahren - ehrenamtlich. Hauptberuflich arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Pädagogischen Hochschule Freiburg.
SPIEGEL: Warum braucht es dafür ein Bündnis?
Breit: Wir wurden als aktive Fans in den vergangenen Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass wir nur für einen kleineren Teil Fans, für aktive Fans sprechen, und eben nicht für alle. Das bringt Selbstorganisation natürlich mit sich. Ein solches Bündnis ermöglicht es, wie 2018 bei der Initiative "50+1-bleibt!", zu zeigen, wie breit der Rückhalt bei vielen Fans für gewisse Positionen ist. Die Zeit seit der Unterbrechung der Saison und auch der Wiederaufnahme des Spielbetriebs hat zur Folge gehabt, dass sich ganz viele Menschen, die sich als Fan bezeichnen, gesagt haben: Ich gehe zwar gern zum Fußball, aber es gibt Dinge, die ich nur schwer ertragen kann. Dieses Bündnis bietet die Möglichkeit, dass wir zeigen, wie viele wir sind.
SPIEGEL: Die Kritik, viele Vereine würden ungesund wirtschaften, gibt es nicht erst seit Corona. Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt für Veränderung?
Breit: Wir als aktive Fans haben schon vor Jahren kritisch auf die Spirale der Kommerzialisierung geschaut. Durch die Krise wurde vieles auch für andere Menschen sichtbar, die bis jetzt gedacht haben, das ist halt so, oder so schlimm ist es doch gar nicht. Und dann standen Klubs nach ein paar Wochen Pause vor der Pleite, weil sie über ihre Verhältnisse leben und keine Rücklagen haben. In dieser Zeit musste der Fußball plötzlich dafür werben, dass die Gesellschaft ihm zugesteht, weiterzuspielen. Werben, dass Menschen ihm positiv gesonnen sind. Das ist für den Fußball eine neue Erfahrung gewesen.
SPIEGEL: Was sollte Ihrer Meinung nach daraus folgen?
Breit: Es braucht eine Neuausrichtung des Fußballs, wenn man das Besondere, was wir in Deutschland haben, bewahren will. Nämlich eine starke, diverse Fankultur, eine Verbindung von Fußball und Fans. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal im internationalen Vergleich. Menschen kommen nach Deutschland, um genau diese Form des Fußballs zu erleben. Und deshalb sagen wir: Dieses Schneller, Höher, Weiter darf nicht mehr weitergehen. Jetzt ist die Zeit, zu fragen: Was für einen Fußball wollen wir?
SPIEGEL: Wie lautet denn Ihre Antwort?
Breit: Wir wollen einen Fußball, der Fußball und Fankultur als etwas Gemeinsames sieht. Wo Fans kein Beiwerk sind, sondern Teil des Ganzen. Einen Fußball, der anerkennt, dass Vereine die Basis sind. Damit muss ich auch anerkennen, dass die Vereine letztlich den Mitgliedern gehören und nicht Einzelnen. Die Stärke des deutschen Fußballs liegt ja darin, dass er - egal ob unterklassig oder bei den Profis – einerseits das sportliche Ereignis ist, aber andererseits auch eingebettet ist in den Verein, die Region, die Gesellschaft. Und da die Balance wiederherzustellen zwischen wirtschaftlichen Interessen und gesellschaftlicher Verantwortung, das ist die Herausforderung.
SPIEGEL: Wie kann das konkret aussehen?
Breit: Dass die Vereine wirtschaftlich nachhaltiger arbeiten müssen, ist sehr deutlich geworden. Um auch die sportliche und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, muss man in den Blick nehmen, wie zum Beispiel gerechter mit der Verteilung zentraler Gelder umgegangen werden kann. Von der profitieren bislang vor allem Einzelne, andere deutlich weniger.
SPIEGEL: Das heißt, man sollte Ihrer Ansicht nach die TV-Gelder fairer verteilen?
Breit: Das ist einer unserer Hauptpunkte. Die nationalen TV-Gelder sind nur ein Teil, aus den internationalen Wettbewerben profitieren einige Vereine national auch. Muss man da vielleicht Ausgleich schaffen? Dazu: Wir haben in der 3. Liga eine andere Situation als in den Bundesligen. Das heißt, wir wollen auch die Verteilung zwischen den organisatorischen Einheiten DFL und DFB in den Blick nehmen.

Während der Geisterspiele nach dem Wiederbeginn gab es Fans im Stadion nur als Pappkamerade wie hier in Mönchengladbach
Foto: Rolf Vennenbernd/ picture alliance/dpaSPIEGEL: Sind Sie zuversichtlich?
Breit: In der Anfangszeit der Unterbrechung der Ligen ist sehr viel Selbstkritik geäußert worden. Auch laute Stimmen Richtung Reformbedarf kamen aus dem Fußball selbst heraus. Unser Eindruck ist, dass das nach der Wiederaufnahme des Spielbetriebs wieder leiser geworden ist.
SPIEGEL: Es hieß anfangs, der Fußball wolle in Zukunft demütiger auftreten. Glauben Sie daran?
Breit: Im Moment können wir das noch nicht beurteilen. Christian Seifert (DFL) hat ja angekündigt, es werde eine Taskforce Zukunft Profifußball geben. Daran wird sich die DFL messen lassen müssen.
SPIEGEL: Wie wollen Sie das prüfen?
Breit: Wir als 'Unsere Kurve' haben die Erwartung, dass wir von Fanseite mit eingebunden werden. Wenn das annähernd ernstgemeint ist mit der Taskforce, müssen sie organisierte Fans einbinden.
SPIEGEL: Rund um die Geisterspiele gab es auch eine Kontroverse, was Fußball ohne Fans ist. Die Antworten gingen von Nichts bis Alles. Wenn Sie die Spiele am Fernseher gesehen haben: Wie würde Ihre Antwort lauten?
Breit: Für mich gehören Fußball und Zuschauer zusammen. Welchen Sport auch immer ich mache, die Leute, die zusehen, sind meine Resonanzfläche. Sie sind Motivator. Sie sind die, mit denen ich mich freuen kann oder danach das Spiel reflektieren. Ein Argument war ja, der Sport sei ohne Fans in seiner Reinheit gegeben. Aber Fußball ist ein Publikumssport.
SPIEGEL: Sie meinen das soziale Event, das über den Sport hinausgeht?
Breit: Ja. Das soziale Miteinander fehlt gerade. Ich habe vor Corona viele Jahre vom SC Freiburg kein Spiel im Fernsehen gesehen. Für mich findet Fußball einfach im Stadion statt. Das gilt auch für das Gesellschaftliche. Die Kraft, die im Fußball entwickelt werden kann, zum Beispiel antirassistisches Engagement, dafür brauche ich Menschen, die sich zusammenfinden, die Werte aushandeln. Dieser soziale Ort wird häufig unterschätzt.
SPIEGEL: Kann man das ersetzen?
Breit: Schwierig. Ich habe mein Leben schon sehr lange am Spielkalender meines Vereins ausgerichtet, weil ich ins Stadion gegangen bin. An einer TV-Übertragung will ich mein Leben aber nicht ausrichten.
SPIEGEL: Die Geisterspiele waren nur eines der Themen, die fanpolitisch in dieser Saison ausgehandelt wurden. Welche bleiben Ihnen noch in Erinnerung?
Breit: Zweifelsohne die unvermittelte Anwendung des 3-Stufen-Plans des DFB in Verbindung mit den Beleidigungen gegen Dietmar Hopp, die eigentlich dem Protest gegen Kollektivstrafen Ausdruck verleihen sollten und die kritischen, aber kreativen Reaktionen der Fanszenen am folgenden Spieltag. Wir sind in die Zwangspause ja unmittelbar nach einer sehr heftigen Eskalation gekommen. Es wurde sehr deutlich, dass ganz viele verschiedene Themen behandelt und teilweise vermengt wurden. Die aber schon lange Konflikte sind. Zum Beispiel Diskurse über Werte und Menschenrechte, glaubwürdiges Engagement gegen Diskriminierung, die Entfremdung zwischen Fans und dem Fußball, Fans, die als Sicherheitsrisiko kriminalisiert werden statt Fankultur mit ihren vielen positiven Facetten zu stärken. Das begleitet uns Fans seit Ewigkeiten.

Dortmund-Fans zeigen beim Spiel gegen Gladbach Anfang März Bannern unter anderem gegen Dietmar Hopp und Karl-Heinz Rummenigge
Foto:Bernd Thissen/ dpa
SPIEGEL: Wie geht es damit jetzt weiter?
Breit: Ich wurde während der letzten Wochen oft gefragt, ob diese Konflikte jetzt einfach aufhören. In der Annahme, nach so viel Pause ist da doch Gras drüber gewachsen. Ich kann mir das nicht vorstellen. Das ist nichts, was plötzlich aufgetaucht ist.
SPIEGEL: Was erhoffen Sie sich für die kommende Saison?
Breit: Grundlage wäre erst einmal eine ernsthafte Auseinandersetzung von Verbänden und Vereinen mit Fankultur. Ich sage: Nehmt unsere Kritik wahr! Nicht erst, wenn wir schon die nächste Eskalationsstufe erreicht haben. Aktive Fans schreiben zum Beispiel über Jahre unzählige Papiere mit fundierter Kritik am Konstrukt Hoffenheim aufgrund der Umgehung von 50+1, mit umfassender Kritik, dass RB Leipzig so zugelassen ist. Am Anfang ist die Kritik in der Regel konstruktiv. Dann wird sie nicht gehört, dann spitzt sie sich zu, und dann haben wir verfestigte Konflikte und Feindbilder, die sich nur noch mühsam abbauen lassen. Vereine und Funktionäre haben die Verantwortung, das viel früher wahrzunehmen. Denn mit ihrer Kritik wollen Fans ja etwas Gutes für ihren Verein und den Fußball. Sie fühlen sich ja als Teil davon.