Saudi-Arabiens möglicher Einstieg bei Newcastle United Brisante Übernahme

Fans von Newcastle United: Bald der vierte Verein in einer von Europas großen Fußballligen, der praktisch einem arabischen Staat gehört
Foto: John Sibley/ Action Images via ReutersWenn der Fußball zurückkehrt und irgendwann auch die Fans, wenn der St. James’ Park von Newcastle wieder voll ist, dann könnte dort "etwas Besonderes hinter der nächsten Ecke warten". So formuliert es Greg Tomlinson aus dem Vorstand des Newcastle United Supporters Trust im Gespräch mit dem SPIEGEL.
Grund für diese Zuversicht ist, dass der Premier-League-Klub dann neue Besitzer haben dürfte. Mit ihnen steigt die Hoffnung darauf, bald wieder zu den Großen im englischen Profifußball zu gehören.
Das aber hätte seinen Preis: United würde geführt werden von einem der meist kritisierten Staaten weltweit - und findet sich plötzlich als Gegenstand eines geopolitischen Konflikts wieder.
Newcastle gilt als stolzer Klub mit passionierter Gefolgschaft und einem der stimmungsvollsten Stadien Großbritanniens. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde United viermal Meister. Heute kämpfen die Magpies (Elstern) längst nicht mehr um Titel, sondern darum, dauerhaft Teil der Premier League zu sein. Nach 13 Jahren, zwei Abstiegen und ständigem Fan-Protest ist nun der Eigentümer des Klubs, der Sportartikel-Magnat Mike Ashley, kurz davor, United zu verkaufen. An ein Konsortium, hinter dem zu 80 Prozent der Staatsfonds Saudi-Arabiens (PIF) steht. Den Kaufpreis taxieren britische Medien auf 300 Millionen Pfund. Offenbar fehlt für das Geschäft nur noch die Zustimmung der Premier League.
"Ein Desaster für den Verein und für die Stadt”
Vorsitzender des PIF ist Mohammed bin Salman, Kronprinz und quasi Herrscher Saudi-Arabiens. Nach Paris Saint-Germain (Katar), Manchester City (Vereinigte Arabische Emirate, Abu Dhabi) und Sheffield United (ebenfalls Saudi-Arabien) wäre Newcastle der vierte Verein in einer von Europas großen Fußballligen, der praktisch einem arabischen Staat gehört.
Saudi-Arabien wird international kritisiert, etwa für die Ermordung des kritischen Journalisten Jamal Khashoggi, den Stellvertreterkrieg mit Iran im Jemen, die Verfolgung von Menschenrechtsverteidigern, Journalisten und Reformern sowie die Unterdrückung von Frauen und Minderheiten.
Dass dieser Staat die Kontrolle bei Newcastle United übernimmt, "ist ein Desaster für den Verein und für die Stadt”, sagt Nicholas McGeehan dem SPIEGEL. Er ist Fachmann für Menschenrechte im Mittleren Osten. Seiner Meinung nach sollte die Premier League den Deal stoppen. Vertreter von Organisationen wie Amnesty International äußerten sich ähnlich .
United-Anhänger verweisen auf Manchester City
Einige Newcastle-Fans aber sehen darüber hinweg, wofür der neue Haupteigentümer steht. Zu diesem Fazit kommt man, wenn man sich Reaktionen in den sozialen Medien anschaut. Sie ignorieren die politische Dimension des Deals und verweisen auf Manchester City oder die britische Regierung, die ebenfalls Geschäfte mit Saudi-Arabien macht. Nach der Tristesse unter Noch-Eigentümer Ashley, dem unter anderem vorgeworfen wird, mehr an finanziellen Gewinnen interessiert gewesen zu sein als an Siegen, wollen viele von ihnen einfach nur guten Fußball sehen, das ist der Tenor.
Die saudische Strategie hinter dem Manöver ist einfach: Es geht um "Sportswashing", also das Aufpolieren des eigenen Images durch Ausrichtung von oder Investitionen in Sportveranstaltungen. Damit ist Saudi-Arabien in der Region relativ spät dran. "Saudi-Arabien tut jetzt mit 25 Jahren Verspätung das, was Dubai, Abu Dhabi und Katar tun", sagt Danyel Reiche, Politikwissenschaftler der American University of Beirut, dem SPIEGEL.
So habe etwa Katar schon 1993 das erste ATP-Tennisturnier ausgerichtet. Seitdem war der Zwergstaat Gastgeber von Weltmeisterschaften in zahlreichen Sportarten, in zwei Jahren soll mit der Fußball-WM der Coup gelingen. In Saudi-Arabien fanden zuletzt bereits der spanische Fußball-Supercup oder der Box-WM-Kampf zwischen Anthony Joshua und Andy Ruiz statt. Eine Investition in die besten Fußballklubs der Welt scheint nur konsequent, sagt Politikwissenschaftler Reiche.
"Ein cleveres Investment aus Sicht des Landes"
"Saudi-Arabien hat erkannt, dass es nur so international eine bessere Wahrnehmung des Landes geben kann", sagt Reiche. "Der Kauf eines Klubs, der nicht schon ganz oben ist, den man noch hochbringen kann, ergibt absolut Sinn. Der Preis ist überschaubar, insofern ein cleveres Investment aus Sicht des Landes."
Es gibt auch positive Effekte abseits des Imagegewinns. Es gehe ebenso um das "Netzwerk an Möglichkeiten, das es den Investoren eröffnet", sagt Simon Chadwick. Er ist Sportökonom und lehrt zurzeit an der Lyon Business School, hat in der Vergangenheit aber auch mit zahlreichen Sportorganisationen zusammengearbeitet, darunter auch einigen in Katar. "Solche Erwerbungen sind oftmals mit infrastrukturellen Immobilienvermögen oder Handelsmöglichkeiten verbunden", sagt er.

Newcastle-Anhängerin: Protest gegen Besitzer Mike Ashley
Foto: Alex Livesey/ Getty ImagesDurch seine Ölexporte ist Saudi-Arabien eines der reichsten Länder der Welt. Doch der Ölpreisverfall auf dem Weltmarkt und die Endlichkeit der Ressource setzen das Königreich langfristig unter Druck. Also versucht es, andere Wirtschaftszweige zu etablieren. Sport ist dabei Teil des 2016 ausgerufenen Entwicklungsprogramms "Vision 2030".
E-Mail aus Katar
Verkompliziert wurde die Übernahme durch eine brisante E-Mail, über die nun britische Medien berichten und die inzwischen bestätigt wurde. Absender ist der internationale TV-Partner der Premier League, beIN Sports. Die E-Mail ging an die Liga und ihre 20 Klubs, sie enthielt die Aufforderung, den Deal zu verhindern. Die Begründung: Saudi-Arabien stecke hinter einem Piraterie-Netzwerk, das illegal Fußballspiele streame - und zwar mittels der Bilder von beIN.
Die Premier League und beIN Sports haben einen TV-Vertrag über 300 Millionen Pfund (etwa 340 Millionen Euro). Der Sender ist in katarischer Hand. Jenem Land also, gegen das sich Saudi-Arabien 2017 mit weiteren Golfstaaten verbündete hatte und so die Katarkrise auslöste.
Laut "Guardian" wird die E-Mail aus Katar die Übernahme nicht verhindern. Das Blatt will aus mit dem Deal vertrauten Kreisen erfahren haben, dass die Liga keine grundsätzlichen Einwände habe.
Fan-Vertreter Greg Tomlinson ist hin- und hergerissen. Er sagt: "Es ist durchaus möglich, froh über das Ende von Mike Ashley zu sein und gleichzeitig ernste Vorbehalte gegen die neuen Eigentümer zu haben.”