Bayerns klarer Sieg bei den Spurs Willkommen in Europa

Niko Kovac feierte bei Tottenham seinen ersten großen Sieg in Europa
Foto: ANDY RAIN/EPA-EFE/REXEs gehört zur Tradition des FC Bayern München, dass Karl-Heinz Rummenigge nach Spielen in der Champions League beim anschließenden Bankett das Wort ergreift. Oft gab der Bayern-Boss in den vergangenen Jahren an dieser Stelle den Mahner, dämpfte nach Siegen den Enthusiasmus, übte bei Misserfolgen Kritik. In London aber trieb er mit auf der Euphorie-Welle eines einzigartigen und unvergessenen Abends. 7:2 hatten die Bayern bei den Tottenham Hotspur gewonnen, die in ihrem phänomenalen neuen Stadion ihre erste schlimme Demütigung erlebten.
"Wir haben Geschichte geschrieben", schwärmte Rummenigge, "das war unglaublich." Weshalb selbst er nach dieser Gala nicht mehr umhinkam, zuallererst dem "Trainerteam an der Spitze mit Niko" zu gratulieren. Niko Kovac stand rechts von Rummenigge, er wirkte sehr entspannt, mehr aber noch, erlöst und erleichtert.

Denn so sehr natürlich alle von Serge Gnabry sprachen, dem vierfachen Torschützen: Mehr noch als der Abend von Gnabry war es der von Niko Kovac. Es war nämlich das allererste Mal, dass Kovac mit den Bayern international einen großen Sieg feiern konnte. Und damit auch das erste Mal, dass Rummenigge, der in den vergangenen Monaten zahlreiche Breitseiten auf den Cheftrainer abgefeuert hatte, das Gefühl zu vermitteln schien: Oha, mit diesem Trainer geht ja vielleicht doch was. So schlecht ist der Niko ja gar nicht.
Jeder Schuss ein Treffer
Natürlich waren die Spurs wie schon zuletzt in der Premier League und beim blamablen Aus im Ligapokal weit von jener Form entfernt, mit der sie sich im Frühjahr wie im Rausch bis ins Champions-League-Finale spielten. Festzuhalten bleibt auch, dass die Bayern keine gute erste halbe Stunde erlebten, und am Ende war jeder Schuss ein Treffer, das Ergebnis irgendwie surreal und zu hoch. Und doch sagte dieser Auftritt viel aus über die Entwicklung des Trainers, der mit den Bayern bislang erst zwei Klubs in der Champions League besiegen konnte. Im Herbst 2018 in der Gruppenphase AEK Athen und Benfica Lissabon. Nicht die ganz großen Kaliber. Im Achtelfinale folgte dann schon das Aus gegen Liverpool, eine Pleite, die ihm bis heute nachhängt.
Der Niko Kovac der vergangenen Saison war ein Trainer auf der Suche nach sich selbst, nach der richtigen Taktik, Einstellung und Aufstellung. Der Niko Kovac Ende 2019 ist einer, der sich gefunden hat. Niko Kovac gewinnt an Statur, an Format und auch intern an Autorität.
Exemplarisch für sein immer stärkeres Selbstvertrauen war in den vergangenen Tagen sein kompromissloses Auftreten gegenüber dem zuletzt sehr launischen und gerade beim 3:2 in Paderborn schwachen Thiago. Dass der Spielmacher am Dienstag zunächst auf der Bank saß, überraschte dann doch viele - war aber ein Denkzettel, der Wirkung zeigte. Angespornt von der Ausbootung zeigte Thiago, als er nach der Halbzeit aufs Feld kam, dass er an guten Tagen als einer der weltbesten Mittelfeldspieler das Spiel aufziehen und gestalten kann wie kaum ein anderer.
Man erkennt eine klare Kovac-Handschrift
Dazu funktionieren die Abläufe auf dem Platz immer selbstverständlicher, immer schneller. Philippe Coutinho wird mit jedem Einsatz besser, Robert Lewandowski trifft weiter unbeirrt, seine zwei Tore gingen bei der Gnabry-Show fast schon unter. Und auch hinten fügt sich mit Abstrichen die Abwehr immer mehr zusammen, selbst der schon abgeschriebene Jérôme Boateng lieferte bis zu seiner verletzungsbedingten Auswechslung einen beherzten und meist erfolgreichen Kampf gegen Stürmer-Superstar Harry Kane.
Vor einem Jahr wirkte die Spielweise der Bayern unter Kovac oft unverständlich. Unleserlich. Mittlerweile erkennt man eine klare Handschrift. Die Bayern sind auf einem guten Weg zurück zu alter Stärke und zur Überzeugung vom eigenen Selbstverständnis. Deswegen versuchten sie nach dem Anschlusstor von Kane zum 2:4 auch gar nicht erst, das Ergebnis zu verwalten. Sie legten nach, trafen noch dreimal, in der Nachspielzeit verfehlte Tolisso per Distanzschuss das achte Tor nur knapp. Später sprach Joshua Kimmich von der "riesigen Gier", Manuel Neuer sagte: "Wir haben alle Hunger", und der Torwart ergänzte noch: "Es war auch mal wieder an der Zeit, ein Ausrufezeichen zu setzen." Eines, das man auch in Europa wahrnimmt.
Die Saison ist noch sehr jung, die Champions League dauert noch lange, viel zu früh, um die Bayern gleich zum großen Favoriten auf den Henkelpott hochzujubeln. Allerdings wird es auch schwer, die Bayern in dieser Form aus dem Weg zu räumen. Und womöglich wird Karl-Heinz Rummenigge doch noch ein großer Fan von Niko Kovac.