Zum Tod von Fußball-Weltmeister Stiles Nobby grätscht, Nobby tanzt

Nobby Stiles (r.) feiert den WM-Sieg mit Trainer Sir Alf Ramsey und seinem Kapitän Bobby Moore
Foto: Keystone / Getty ImagesMan soll sich nicht an Äußerlichkeiten aufhalten, das gehört sich nicht, aber bei Nobby Stiles kommt man nicht daran vorbei. Daran, dass er nur 1,68 Meter klein war. Dass er so kurzsichtig war, dass er auf dem Platz schon als Jugendlicher Kontaktlinsen tragen musste. Und vor allem, dass ihm die obere Zahnreihe fehlte, weil er nach einem Zweikampf auf dem Platz in jungen Jahren die Zähne verloren hatte. Wenn er seine Gegenspieler besonders beeindrucken wollte, ließ Stiles denn auch das Gebiss mal in der Kabine und wirkte dann auf dem Feld besonders einschüchternd.
Dieser kleine Giftzwerg von Manchester United, der da im defensiven Mittelfeld herumwuselte, war der Schrecken der Stürmer in den Sechzigerjahren. Gegen Nobby Stiles spielen zu müssen, war eine regelrechte Mutprobe. Einer dieser Typen, die auf dem Platz kein Pardon kannten, aber dabei gar nicht unbedingt unfair spielten. Berti Vogts war auf deutscher Seite so einer, aber selbst der Terrier von Borussia Mönchengladbach hätte bei Stiles noch etwas lernen können in Sachen Kompromisslosigkeit und Härte. Es sind diese Spieler, die das Herz der Zuschauer im Sturm erobern. Stiles wurde geliebt.
Eusebio hat ihn verflucht
Sein Meisterstück machte er im Halbfinale der Fußball-WM 1966, die Weltmeisterschaft im eigenen Land in der Heimat des Fußballs, der Auftrag an Trainer Sir Alf Ramsey war demnach eindeutig, der Titel musste es sein, nichts anderes. Aber vor dem Endspiel standen den Engländern noch die Portugiesen mit ihrem Wunderkind Eusebio im Weg. Ein Fall für Special Agent Nobby Stiles.
Der damals 24-Jährige stieg Eusebio 90 Minuten nicht von den Fußspitzen, er bearbeitete ihn nach allen Regeln der Defensivkunst, der Portugiese, bis dahin der überragende Spieler des Turniers, war am Ende komplett entnervt. Ihm gelang zwar ein Elfmetertor, sonst aber nichts: England siegte 2:1 und stand im Endspiel, dem Finale gegen Deutschland, das zur Wembley-Legende werden sollte.
Denkt man an die Weltmeister von 1966, dann denkt man an Geoff Hurst, den Torjäger, an den filigranen Bobby Moore, an sein Alter Ego Bobby Charlton. Stiles war ihr Adjutant, sich für nichts zu schade, einer muss ja die Drecksarbeit erledigen. Stiles erledigte sie und wurde dadurch zum Liebling seines Cheftrainers. Sir Alf Ramsey, der mit Lobesworten geizte, wo er nur konnte: Für Stiles hatte er das Kompliment parat, er sei ein echter Engländer. Stiles brauchte keine Zähne, um kraftvoll zubeißen zu können.
In der Hand den Pokal und die Prothese
Nach dem 4:2 über Uwe Seeler, Franz Beckenbauer und Co., als England am Ziel war, tanzte dieser kleine, pardon, hässliche Nobby Stiles über den Rasen, in der einen Hand den WM-Pokal, in der anderen seine Zahnprothese, er tanzte, und das ganze Vereinigte Königreich fühlte sich ihm nah und tanzte mit ihm. "We can dance Nobby's Dance, we can Dance it in France" texteten Baddiel, Skinner und die Lightning Seeds mehr als 30 Jahre später im berühmten WM-Song "Three Lions". Football is coming home.
Stiles machte nur 28 Länderspiele, keiner aus der großen englischen WM-Elf hatte am Ende seiner Karriere weniger Einsätze auf dem Buckel als er. Stiles tanzte im Grunde nur einen Sommer für England, schon bei der EM 1968 war er nur noch Ersatz, 1970 wurde er für die WM in Mexiko zwar noch einmal nominiert, blieb aber ohne jeden Einsatz und musste mit ansehen, wie die deutsche Elf, die er noch vier Jahre zuvor das Fürchten gelehrt hatte, den Titelverteidiger im Viertelfinale aus dem Turnier warf. Seine Länderspiellaufbahn war damit vorbei.
Elf Jahre hatte Stiles ab 1960 für seinen Herzensklub Manchester United die Knochen hingehalten, er war Europapokalsieger 1968 mit ihm geworden, gegen Benfica Lissabon, wieder mit Eusebio. Nobby Stiles war sein Fluch. United blieb Stiles im Grunde sein Leben lang treu, auch wenn er es als Spieler am Ende auch bei Preston North End und dem FC Middlesbrough versuchte. Die Red Devils verdankten ihm viel mehr als elf erfolgreiche Profijahre. Viel später, als Nachwuchstrainer, trug er mit dazu bei, die jungen Juwelen David Beckham, Paul Scholes, die Neville-Brüder und Ryan Giggs zu Diamanten zu schleifen, bevor sie United zu neuem Ruhm führten.
Depressionen machten ihm zu schaffen
Stiles hatte da schon schwere Jahre hinter sich gebracht, in den Achtzigern litt er unter Depressionen, seine Versuche, als Cheftrainer Fuß zu fassen, scheiterten auch deswegen schnell. Der harte Bursche Nobby Stiles war in Wirklichkeit ein sensibler Charakter, anfällig für Stimmungen. Die Arbeit mit den jungen United-Talenten, die später als die Klasse von 1992 die Fußballwelt eroberten, gab ihm den Boden unter den Füßen zurück.

2008 mit einer Ehrung für seine Verdienste um Englands Fußball
Foto: Martin Rickett / imago images/PA ImagesIn den letzten Jahren war er in der Öffentlichkeit kaum noch zu sehen gewesen, seit fast zehn Jahren litt er an der Demenz, zuvor wurde er noch hochdekoriert, mit dem Order of the British Empire ausgezeichnet. Reich haben ihn die Meriten nicht gemacht, während andere wie Moore und Charlton ihren Ruhm über die Zeit brachten, blieb Stiles auch hier derjenige, der von den 66er-Weltmeistern den Dienstboteneingang nahm.
Nobby Stiles ist am Freitag mit 78 Jahren gestorben, sein Tanz von Wembley ist mittlerweile britisches Kulturgut. England ist seither nie mehr Weltmeister geworden. Die Three Lions hatten danach ähnliche Kerle wie ihn, sie hatten einen Tony Adams, einen John Terry, einen Stuart Pearce, aber sie hatten eben nie mehr einen Nobby Stiles.