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NRW-Polizei beim Fußball Eins zwei Polizei, drei vier keiner hier

Nordrhein-Westfalen will die Zahl eingesetzter Polizisten bei Fußballspielen reduzieren, einige Partien sollen ganz ohne Beamte stattfinden. Gewerkschafter stemmen sich gegen die Pläne des Innenministers, doch Experten sind begeistert.

Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger erzählt sehr gerne, wie groß seine Begeisterung für den Fußball ist. Auch wenn er als Fan des MSV Duisburg gerade harte Jahre durchmacht. Die Stimmung in den Arenen in Dortmund und Gelsenkirchen jedenfalls sei einmalig in Europa, sagt der SPD-Politiker nicht selten, und er sagt auch, dass das unbedingt so bleiben müsse.

Jetzt könnte in den kommenden Wochen die Stimmung sogar noch besser werden - oder aber kippen.

Denn Jägers Haus hat einen Erlass ausgearbeitet, der eine Reduzierung der Zahl bei Fußballspielen eingesetzter Polizisten vorsieht. In dem dreiseitigen Dokument, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, heißt es, es sollten in einer Pilotphase bis zum 27. September diejenigen Spiele der ersten drei Ligen identifiziert werden, die mit weniger oder ganz ohne Beamte der Bereitschaftspolizei auskämen.

Vereine sollen sich stärker engagieren

Laut Jäger wird dazu das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste in Duisburg unter anderem analysieren, bei welchen Partien es in den vergangenen Jahren Ausschreitungen gab. Zusammen mit aktuellen Erkenntnissen etwa der szenenkundigen Beamten werde der Einsatzleiter dann den jeweils geeigneten Kräfteansatz wählen. Zugleich sollen sich die Vereine stärker als bislang für die Sicherheit in ihren Stadien einsetzen.

Generell will Jäger, dass sich Einsatzhundertschaften den Fans künftig nur im Notfall zeigen. Dadurch sollen Provokationen vermieden werden. In dem Erlass ist die Rede davon, dass die Einheiten "verdeckt aufgestellt" und "nicht offen im Stadion" auftreten sollen. Auch werde der Shuttleverkehr zu den Arenen nicht mehr von Beamten begleitet. "Die Polizei wird aber weiterhin für Sicherheit beim Fußball sorgen", verspricht Innenminister Jäger.

Doch das bezweifelt der NRW-Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Arnold Plickert. "Mir macht das Konzept große Bauchschmerzen", so der frühere Hundertschaftsführer aus Bochum. "Tausende Problemfans werden eine verdeckte Aufstellung der Polizeikräfte als Einladung verstehen, sich in den Innenstädten auszutoben." Die Einheiten würden dann wiederum, wenn Krawalle entstanden seien, mit größerer Härte einschreiten müssen, als wenn sie sie schon im Keim hätten ersticken können. "Das kann für alle Beteiligten gefährlich werden", so Plickert. "Überhaupt halte ich es für ein Unding, dass die Polizei sich vor den Fans verstecken soll."

"Brisante Debatte"

Auch Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) kritisiert den Düsseldorfer Vorstoß. "Ich halte die Debatte, die einige SPD-Minister derzeit aufmachen, für brisant", so Henkel. "Ich kann den Kollegen aus NRW durchaus verstehen, dass er seine Beamten anders einsetzen möchte. Aber ein Rückzug wäre falsch. Es muss sichergestellt werden, dass der Staat seine Kernaufgaben wahrnimmt."

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) wiederum sagt, dass bei Spielen im Freistaat "überhaupt keine Änderungen geplant" seien. Man wolle für die Partien der ersten, zweiten und dritten Liga die bisherige Strategie "konsequent fortsetzen". In Bayern, so Herrmann, sollen Familien mit kleinen Kindern auch künftig "entspannt Fußballspiele besuchen können".

NRW-Innenminister Jäger begründet sein Projekt mit einer strukturellen Überlastung der Bereitschaftspolizei. Schon jetzt müssten die 18 Hundertschaften des Landes ein Drittel ihrer Einsatzzeit auf Fußballspiele verwenden. Durch den Aufstieg zweier weiterer NRW-Vereine in die erste Liga - es handelt sich um Köln und Paderborn - werde sich die Belastung weiter erhöhen. "Das kann ich dem Steuerzahler nicht mehr vermitteln", so Jäger.

5000 Polizisten mehr gebraucht

Wie aus einem internen Dokument des Ministeriums hervorgeht, setzte die Polizei in der vergangenen Saison bei jedem Spiel der ersten drei Ligen durchschnittlich 235 Beamte ein. Sollte dieser Kräfteansatz beibehalten werden, benötigte NRW in der kommenden Spielzeit 54.285 Polizisten für Fußballspiele - das wären fast 5000 mehr als in der vergangenen Saison.

"Einige Einsatzleiter neigen dazu, im Zweifel eher zu viele Polizisten aufzubieten, weil sie immer auf Nummer sicher gehen wollen", sagt der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes, der sich intensiv mit dem Thema Polizei und Fußball befasst hat. Womöglich soll Jägers Erlass daher auch intern disziplinierend wirken und Druck auf die Polizeiführer machen, möglichst mit weniger Beamten auszukommen. "Ich bin jedenfalls hellauf begeistert", sagt Feltes. "Die Strategie ist genau richtig."

Unterstützung für Jäger kommt auch vom NRW-Landesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Erich Rettinghaus: "Das ist mutig und zukunftsweisend. Wir lassen keinen Zweifel daran, dass die Polizei einschreitet, wenn Straftaten passieren, aber die kräftezehrende Rundum-Betreuung wird es nicht mehr geben." Fans und Vereine erhielten viel Verantwortung und Vertrauen, so Rettinghaus. "Das ist der richtige Weg."

Politisch ist das Manöver dennoch nicht ohne Risiko für Ralf Jäger: Sollte es bei schlecht geschützten Partien zu Krawallen kommen, stünde der Innenminister plötzlich persönlich in der Verantwortung. Sollte sich das Konzept jedoch bewähren, müsste Jäger wiederum die Frage beantworten, warum in den vergangenen Jahren offenbar stets zu viele Polizisten beim Fußball eingesetzt wurden.

Mitarbeit: Björn Hengst
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