DFB-Verantwortliche Bierhoff und Löw Szenen einer Ehe

Joachim Löw und Oliver Bierhoff: Hält die Verbindung auch diese Krise aus?
Foto: Peter Steffen/ AP/dpaEigentlich sollte der Fall schon am Dienstagabend erledigt gewesen sein. Da stellte sich Oliver Bierhoff, Direktor Nationalmannschaft beim DFB und damit Vorgesetzter des Bundestrainers, direkt nach dem 0:6-Fiasko von Sevilla gegen Spanien vor die ARD-Fernsehkamera und sprach den Satz: »Das Vertrauen in Joachim Löw ist vollkommen da, daran ändert auch dieses Spiel nichts.«
So einfach ist die Angelegenheit dann aber doch nicht.
Auch Bierhoff hat beim DFB mit dem Präsidenten Fritz Keller schließlich noch einen Chef, und die Wucht der öffentlichen Meinung, die seit dem Dienstagabend auf den Verband und die Nationalmannschaft einwirkt, ist gewaltig. Keller, der schon am Mittwoch bei seinem offiziellen Statement zwar die eingeschlagene Richtung der Mannschaft verteidigte, den Trainer aber namentlich dabei nicht erwähnte, spielt erst einmal auf Zeit: Bis zum 4. Dezember soll Löw eine Analyse der Situation im DFB-Vorzeigeteam vorlegen. Selbst vorstellen soll er sie dem Präsidium aber nicht, dies soll stattdessen Bierhoff tun – ein dezenter Hinweis auf die Hierarchien beim DFB.
Der Manager wird dadurch so etwas wie der Trainer-Entscheider. Wenn seine Präsentation am 4. Dezember überzeugt, ist ein Abgang Löws, ohnehin die unwahrscheinliche Variante, erst einmal vom Tisch. Bierhoff ist lange genug beim Verband, um zu wissen, was von ihm abhängt. Und er hat die Sensibilität zu erspüren, dass der Zeitpunkt gekommen scheint, die Verbindung zum Bundestrainer etwas zu lösen, damit dass das Schicksal Löws nicht siamesisch mit dem Schicksal Bierhoffs verbunden wird.
Setzt Bierhoff sich langsam von Löw ab?
So ist in diesen unübersichtlichen Tagen beim DFB auch die Beziehung zwischen Trainer und Manager ambivalent. Auf der einen Seite gibt es das Treuebekenntnis am Abend von Sevilla, auf der anderen Seite hatte Bierhoff durch ein Interview in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« in der Woche zuvor überhaupt erst eine Diskussion über Löws Position losgetreten.
In der »FAZ« hatte Bierhoff gesagt: »Den Weg, den der Bundestrainer eingeschlagen hat, gehe ich bis einschließlich der EM mit.« Ein harmlos klingender Satz, aber einer mit Widerhaken. Anschließend war er nämlich so interpretiert worden, als denke der DFB-Direktor jetzt schon laut über eine Zeit ohne Löw nach der EM nach. Der Satz soll, so ist rund um den DFB zu hören, ganz bewusst in dem Interview platziert worden sein. Zwar war das vor dem 0:6, aber durch diese monströse Niederlage hat Bierhoffs Zitat eine noch größere Wirkmacht erhalten. Im Löw-Lager wissen sie, dass dem Bundestrainer diese Aussage geschadet hat, und sie fragen sich, warum Bierhoff sie getätigt hat.
Bierhoff und Löw – das ist eine Arbeitsbeziehung, die mittlerweile 16 Jahre lang währt. Manchmal wirkte das zuletzt schon wie bei einem alten Ehepaar, aufeinander abgestimmt, aber eingefahren und auch mit Problemen. Bierhoffs Wahl des WM-Quartiers 2018 in der Nähe von Moskau hat Löw vor den Kopf gestoßen. Er wollte ans Schwarze Meer nach Sotschi, wo er ein Jahr zuvor beim Confed Cup beste Bedingungen für ein erfolgreiches Turnier vorgefunden hatte. Hört man sich in Löws Umfeld um, wird der Fall immer noch angefügt.
»Wir kennen uns in- und auswendig«, hatte Löw in der Vorwoche über Bierhoff gesagt, als er nach dessen Aussagen gefragt wurde. Die Rollenaufteilung zwischen beiden war dabei immer klar: Bierhoff, der Verkäufer, Löw, den das Drumherum alles nicht interessiert hat. Das ist lange gut gegangen, Bierhoff hat Löw selten ins Sportliche hereingeredet, Löw Bierhoff dafür nicht ins Geschäftliche. Vor dem Hintergrund der zweiten schweren Krise innerhalb von zweieinhalb Jahren steht auch die Seilschaft Löw-Bierhoff vor einer Zerreißprobe.
Bierhoffs Kurs von vielen Fans abgelehnt
Die Kritik an der Nationalmannschaft war in den vergangenen Jahren nie eine nur sportliche. In Sachen Löw hat sich in der Öffentlichkeit ein gewisser Überdruss breitgemacht. Die sportliche Bilanz seit der miserablen WM in Russland ist dabei gar nicht so schlecht, dass die harsche Kritik, die sich seit Dienstag über ihn ergießt, in dieser Form tatsächlich eine Grundlage hätte.
24 Spiele hat die DFB-Auswahl seit Russland absolviert. Vier Niederlagen gab es (gegen Frankreich, Spanien und zweimal gegen Holland), zwölf Siege und acht Remis. Damit steht Deutschland deutlich hinter Belgien, Frankreich und Portugal, aber etwa auf einer Höhe mit Spanien, England und den Niederlanden (hier gibt es eine Übersicht).
Deutschland im Umbruch ist ein Team im gehobenen Mittelmaß. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.
Die Kritik an Bierhoff dagegen ist grundsätzlicher. Sie geht in Richtung Kommerzialisierung, Marketing, Überverkaufen. All die Dinge, die viele Fans prinzipiell am heutigen Spitzenfußball stören, werden an seiner Person und an seinem Tun festgemacht. In gewisser Weise muss Löw jene Kritik an der Kommerzialisierung, die Bierhoff vorangetrieben hat, jetzt mit ausbaden.
Den Verband hat das lange nicht gestört. Bierhoff war für den DFB auf vielerlei Ebenen ein Segen. Er hat neue Geldquellen erschlossen, Sponsoren besorgt, er hat wirtschaftlichen und sportlichen Sachverstand kombiniert. Nach den schwierigen Anfangsjahren, in denen Bierhoffs Art viele im alten DFB vor den Kopf stieß, hat er sich mittlerweile eine Position und auch eine Machtfülle erarbeitet, dass man an ihm nicht mehr vorbeikommt.
Rücktrittsforderungen an Bierhoff gibt es in der Öffentlichkeit zwar derzeit auch, aber ernsthaft steht dies verbandsintern nach SPIEGEL-Informationen überhaupt nicht zur Debatte. Kritisiert wird hinter den Kulissen lediglich, dass Bierhoff angesichts seiner Aufgabenfülle im Verband – Bierhoff ist unter anderem der Verantwortliche für die neue Akademie, die seit Jahren als Leuchtturmprojekt gepriesen wird – die Aufmerksamkeit für die Nationalelf habe schleifen lassen. Das dürfte jetzt wieder anders werden. Die Nationalmannschaft ist jetzt gerade wichtiger selbst als die Akademie.
Der Bundestrainer tut derweil das, was er oft nach Rückschlägen getan hat. Joachim Löw, so heißt es, ist erst einmal wieder abgetaucht. Aber bis zum 4. Dezember wird er mit Bierhoff in Klausur gehen müssen. Beide müssen ein schlüssiges Konzept zur Überwindung der aktuellen Krise in der Nationalelf erarbeiten.
Bierhoff und Löw kamen 2004 im Zuge des Dienstantritts von Jürgen Klinsmann als Bundestrainer gemeinsam zum DFB. Es ist jetzt gut möglich, dass sie nicht gemeinsam gehen.