Hertha-Trainer Dárdai Verzweiflungstat mit guter Prognose

Hertha-Trainer Pal Dárdai: Bei ihm wissen sie zumindest, was sie an ihm haben
Foto:Andreas Gora / dpa
Der Unterhaltungsfaktor der Fußballmannschaft von Hertha BSC war zuletzt extrem niedrig, insofern ist die Rückholaktion von Pál Dárdai als Chefcoach zumindest in dieser Hinsicht jetzt schon ein Fortschritt. Auf die Entertainer-Qualitäten Dárdais bei Pressekonferenzen ist Verlass, und so kam bei der Vorstellung des alten und neuen Trainers etwas vor, dass man bei dem kriselnden Hauptstadtverein länger nicht erlebt hat: Es wurde sogar gelacht.
Nach alldem, was er in den vergangenen Tagen über den als schwer trainierbaren Kader gelesen und gehört habe, habe er befürchtet, »ich treffe auf 20 Alligatoren, die mich auffressen«, aber dann sei das erste Training mit den Hertha-Profis »besser gewesen, als ich erwartet habe«, sagte der Ungar. Dárdai gleich beim ersten Training zu verspeisen, das wäre allerdings auch kontraproduktiv gewesen, der Trainer ist schließlich in schwerer Hertha-Zeit so eine Art Rettungsanker. Bei ihm wissen sie zumindest, was sie an ihm haben.
Die Entscheider im Klub trauen dem 44-Jährigen aufgrund seines »blau-weißen Blutes« (Sportdirektor Arne Friedrich) zu, das Team vor dem Abstieg zu bewahren. Die Defensive zu stabilisieren, das ist Dárdais oberster Auftrag. Aus seiner früheren Zeit bei Hertha weiß man, dass er das kann. Als Dárdai 2015 in ebenfalls prekärer Situation kam (damals am 20. Spieltag), reduzierte er die Zahl der Gegentore zügig und radikal: Aus zwei Gegentoren pro Spiel unter Dárdais Vorgänger Jos Lukukay wurden weniger als eines unter dem Ungarn. Am Ende stand der knapp errungene Klassenerhalt, und um nichts anderes geht es jetzt auch wieder bei Hertha.
Um Gottes willen kein erneuter Abstieg
Gerechnet hatte damit niemand angesichts der Ansprüche und den Investitionen von mehr als 100 Millionen Euro. Ein Abstieg wäre daher eine einzige Katastrophe für den Klub. So weit ist es tatsächlich noch nicht, es liegen noch zwei Plätze und zwei Punkte zum Relegationsrang dazwischen. Das kann sich allerdings sehr schnell ändern, denn die nächsten Gegner heißen Frankfurt und Bayern München.
Viereinhalb Jahre lang war Dárdai schon mal Cheftrainer in Charlottenburg, dann wollte Manager Michael Preetz 2019 einen neuen Impuls. Hertha, kurze Zeit später frisch ausgestattet mit dem Geld von Lars Windhorst, sollte keinen gehobenen Durchschnitt mehr verkörpern, das war der Plan. Umgesetzt wurde er nur insofern, dass Hertha sportlich mittlerweile nur noch unterer Durchschnitt ist. Der neue Impuls, der jetzt gesetzt wurde, war die Demission von Preetz.
Ob er Genugtuung verspüre darüber, dass er nun wieder zurück sei und dafür Preetz seinen Stuhl räumen musste? »So ein Mensch bin ich nicht«, sagt er, das Jahr ohne die ganz große Chefverantwortung habe ihm auch gutgetan. »Nach viereinhalb Jahren war der Manager müde von mir und ich müde von ihm«, sagt Dárdai. Das klingt alles sehr abgeklärt, aber der schnöde Abschied 2019 hat ihn dennoch getroffen. »Aber wenn ich wirklich gekränkt worden wäre, würde ich jetzt nicht wieder bei Hertha anheuern. Ich hätte stattdessen die beleidigte Leberwurst gespielt«, sagt er.
Die Vertragsgespräche mit ihm sollen konstruktiv gewesen sein. Dárdai spielte nicht die beleidigte Leberwurst, die sich dreimal bitten lassen wollte. Aber er wollte auch eine Perspektive über den Sommer hinaus – und nicht nur Feuerwehrmann sein. Profis, die wissen, dass ihr Trainer in ein paar Monaten wieder weg ist, lassen sich bisweilen schwerer führen.
»Ab jetzt wieder Stress«
Nach seiner Demission 2019 nahm sich Dárdai eine Auszeit. Der 1. FC Köln legte ihm einen unterschriftsreifen Vertrag vor, aber Dárdai schlug das Angebot aus und ging nach dem Sabbatjahr zurück in den Nachwuchs. Denn da hatte er bei Hertha noch einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Das hätten nicht viele Bundesligatrainer gemacht, aber Dárdai tickte immer schon ein bisschen anders.
Das Wirken bei der U16-Auswahl der Hertha habe ihn ausgefüllt, sagt Dárdai nun. »Als ich mich von ihnen verabschiedet habe, habe ich geweint, mir ist fast das Herz rausgeflogen«. Auch weil jetzt wieder eine andere Zeit für ihn anbricht: »Ab jetzt ist wieder Stress angesagt, das liegt natürlich vor allem an euch Medien.« Dárdai hat immer schon damit gespielt, dass man nicht genau wusste, wie ernst er das wirklich meint, was er sagt.
Das mit dem Stress mag man ihm abnehmen, es ist eine mindestens herausfordernde Aufgabe, dieses Team wieder in die Spur zu bringen. »Jede Mannschaft braucht eine Achse«, sagt Arne Friedrich, der neue starke Mann von Gnaden des neuen CEO Carsten Schmidt. Bisher hat Hertha diese Achse nicht. Es handelt sich hier vielmehr um eine Ansammlung talentierter, teils hochtalentierter Spieler, aber ohne Gespür für eine Teamhierarchie. Manche der Profis, so hört man, sollen durchaus schwer zu führen sein. Auch daran ist Dárdais Vorgänger Bruno Labbadia gescheitert.
Pál Dárdai
Dárdai soll nun eine Hierarchie herstellen. Bei seinen Spielern diagnostiziert er einen gewissen »Negativstress: Die sind diese Situation Abstiegskampf nicht gewöhnt. Die sind hierhergekommen, um Champions League zu spielen.« Und es stimmt ja: Das ist keine Mannschaft, die für den Abstiegskampf gebaut ist. Das macht die Situation für Hertha auch so gefährlich. Und das ist neben den mangelnden Alternativen der Grund dafür, dass Schmidt und Friedrich nun Dárdai zurückgeholt haben.
Es ist eine Verzweiflungstat, aber sie hat eine recht gute Prognose.
Denn Dárdai wurde schon immer gern unterschätzt. Mit seiner hemdsärmligen Art wirkt er manchmal gestrig im verwissenschaftlichten Profifußball. Aber Dárdai hat in seiner Zeit bei Hertha auch bewiesen, dass er neben Rettungstaten auch entwickeln kann: Ab seiner zweiten Saison bei Hertha hatte er dem Team einen ballorientierten Stil verordnet und mischte zeitweise die Liga auf mit Siegen gegen Dortmund und Bayern. Hertha überwinterte unter ihm zweimal auf Platz drei, schmierte dann aber jeweils in den Rückrunden ab.
»Vielleicht waren es auch ein Tick zu viele neue Spieler auf einmal«, sagt Dárdai und zertrümmert mal eben so in einem Satz die Kaderpolitik von Preetz im vergangenen Jahr, als man über die Lande zog und sich den Erfolg zusammenkaufen wollte. Geld ist dank Windhorst auch für die Winter-Transferperiode noch genügend vorhanden, Hertha soll unter anderem an dem Bergamo-Profi Alejandro Gomez interessiert sein. Der wechselt allerdings wohl eher nach Spanien zum FC Sevilla. »Ansonsten fahren wir aber eher mit der ruhigen Hand und lassen Pál und seine Jungs arbeiten«, sagt Friedrich.
Seine Jungs, das sind der neue Assistent Andreas »Zecke« Neuendorf, einer der besten Freunde Dárdais aus Spielertagen, einer, der für die gute Stimmung sorgen soll. Dazu kommt Admir Hamzagic, dem Dárdai vor allem in taktischen Fragen blind vertraut. »Ich brauche nicht viel, aber ihn brauche ich«, hat Dárdai einmal gesagt. Schon in der U15 haben beide vor Jahren zusammengearbeitet.
Mit diesem Team soll der Ungar nicht nur bis Sommer, sondern auch noch in der kommenden Saison arbeiten. Sein Vertrag läuft offiziell bis 2022. Ob er aber tatsächlich erfüllt wird, darauf antwortete der Coach eher ausweichend: »Erst mal will ich bis Sommer gute Arbeit machen, damit wir uns dann am Plattensee alle auf den Rücken schlagen und einen Rotwein trinken können.«