Polizei vs. Fußballfans "Der Hass nimmt zu"
Wenn Dieter Mundt versucht, seine berufliche Motivation zu beschreiben, dann denkt er lange nach und sagt endlich, dass sein Job eine "sinnvolle Aufgabe" sei. Die Arbeit mit jungen Leuten habe ihn "immer interessiert", sagt er dann noch, und: "60 Prozent meiner Arbeit sind Jugendarbeit."

Polizei, Fußballfans: "Wollen Zeichen setzen"
Foto: ddpDabei sitzt der etwas bullig wirkende Mann unverrückbar wie ein Fels auf dem Stuhl, die Arme vor der Brust verschränkt. Nur die flinken Augen verraten seine innere Spannung, immer auf dem Sprung. Mundt ist ein Mann zwischen den Fronten. Zwischen Fußball-Fans auf der einen und Ordnungshütern auf der anderen Seite. Er soll vermitteln und beruhigen, vorwarnen und deeskalieren, einschreiten und notfalls auch dazwischen gehen.
Und vor allem immer am besten Bescheid wissen und stets zur rechten Zeit am rechten Ort sein.
Dieter Mundt, 46, ist SKBler. "Szenekundiger Beamter" heißt er in Amtsdeutsch. Er kennt seine Pappenheimer und sie ihn. Auf Seiten der Fans sowieso, auf Seiten der Uniformierten aber auch. Das dürfte er so wohl nie offen sagen, aber aus seinen Erfahrungsberichten schwingt die Erkenntnis für den aufmerksamen Zuhörer fast in jedem Satz mit.
Eigentlich ist der Mann aus einem Hamburger Randgebiet ein politisches Relikt. Als die deutschen Innenminister Anfang der neunziger Jahre über neue Strategien für die Polizei rund um die Fußballstadien nachdachten, kam dabei der SKB raus. Und für die Bundespolizei, damals noch Bundesgrenzschutz, der FKB - "Fankundige Beamte". Das "kundige" merkt man bis heute nicht in jedem Fall. Wie zum Beispiel am letzten Spieltag der vergangenen Saison in Frankfurt, als Uniformierte ohne Grund, ohne Ansage und ohne Kommunikation rund 700 HSV-Fans aus dem Sonderzug nicht in die Stadt lassen wollten und für etwa 45 Minuten den Bahnsteig absperrten (sich für die völlig überzogene Aktion vor der Rückfahrt aber offiziell entschuldigten).
Für den Hamburger Beamten war die Entscheidung damals schnell klar. Als Mitarbeiter der so genannten Spezialdienststelle "Polizeilicher Jugendschutz" und passionierter Jugendarbeiter meldete er sich sofort für die neue Aufgabe. Acht Beamte sind sie heute, die formal "für den gesamten Sportbereich Hamburg" zuständig sind, also auch für Eishockey oder Handball, in erster Linie aber für Fußball.
Mundt und seine Kollegen sind vor und bei den HSV-Heimspielen im Einsatz, sie sind auswärts mit unterwegs, auch in Europa, meistens jedenfalls. Der Polizeioberkommissar oder seine Kollegen sind aber auch in unteren Klassen dabei, wenn HSV II oder Altona 93 spielen oder die Zweite aus der Neustadt (der FC St. Pauli, die Red.) gegen Holstein Kiel.
Nach jedem Spiel und rechtzeitig vor der nächsten Begegnung wird das vergangene Wochenende bilanziert und der nächste Spieltag vorgedacht. Wie verliefen die letzten Begegnungen der Vergangenheit? Welches sind die "Problemgruppen"? Gibt es noch "alte Rechnungen" zwischen den Fan-Lagern? Wie viel auswärtige Besucher werden erwartet und wie reisen sie an?
Alle Informationen fließen ein in eine Prognose für die Polizei-Einsatzleitung und in die Sicherheitsbesprechung beim HSV, an der neben Vorstand auch die Supporters beteiligt sind. Dann entsteht ein Problem, häufig jedenfalls. Welche taktischen Folgerungen die Polizei aus den Erkenntnissen ihrer Frühwarner zieht, wie die aktuellen Verhaltensweisen am Spieltag ausfallen, das entscheidet allein die Einsatzleitung.
Wie die Polizei versucht, Konflikte zu vermeiden und warum der Ehrenkodex der Ultras Kommunikation erschwert
Die ist vom Spiel oft soweit weg, wie die Deutsche Fußball-Liga von der Praxis vor Ort. Daran ändert auch die zunehmende Erkenntnis in deutschen Bundesliga-Städten wenig, dass sich Zugführer vor Ort oft herzlich wenig um die SKBler und ihre Erkenntnisse und Erfahrungen kümmern. Auch das würde Mundt oder einer seiner Kollegen natürlich nie so sagen. Geschweige denn, Kritik erkennen zu geben, im Gegenteil. Der SKB habe "lediglich beratende Funktion", sagt er stattdessen ganz loyal, "er wird in Entscheidungen mit einbezogen, mehr oder weniger".
Vor jedem Spiel machen Mundt und Kollegen dann sogenannte "Gefährderansprachen" oder sie führen Präventionsgespräche, je nachdem ob "Auffälligkeiten" vorliegen oder individuelle Erfahrungen und Erkenntnisse Anlass zu Besorgnissen geben. Das geschieht bei Runden Tischen, bei Hausbesuchen und manchmal auch erst in einschlägigen Kneipen oder an szenebekannten Treffpunkten vor dem Spiel. "Wir gehen auf die Fans zu", sagt Mundt, "wir wollen Zeichen setzen, und das wird von denen auch so gesehen." Und es wirkt, nicht immer, aber in vielen Fällen.
Was sich verändert hat in all den Jahren in den Fan-Szenen? Über Fans will der SKB nicht konkret reden, das ist so etwas wie ein Anwaltsgeheimnis. Aber es gibt sie natürlich noch, die Hooligans, ihr gewaltbereiter Nachwuchs und manchmal auch schwer berechenbare Ultras, das ist kein Geheimnis in Hamburg.
Auf maximal 150 dürfte sich die Zahl der Hools in Hamburg belaufen, die ihrem Aussehen und dem Selbstverständnis nach noch immer wie aus dem Bilderbuch der Neunziger entlehnt sind, aber nie normale Fans angreifen würden. Es gibt ihren unberechenbareren Nachwuchs, die "Riot"-Gruppen, zahlenmäßig weit weniger, und es gibt eben Ultras, die sich im Zweifel nichts gefallen und auf die Raute (HSV-Vereinsloge, d. Red.) sowieso nichts kommen lassen. So weit, so altbekannt.
Aber "die Szene unterliegt einem ständigen Wandel", sagt der Beamte, die Mobilität ist größer, die Reisetätigkeit nimmt zu. Die Zahl der Delikte dagegen ist eher gleichbleibend, statistisch jedenfalls, eigentlich ein gutes Zeichen. Wenn da nicht dieser "Hass" wäre. "Der nimmt zu", sagt Mundt und wirkt bei der Feststellung noch immer überrascht, über "die Brutalität, die aus dem Nichts kommt, nur weil einer zum Beispiel einen grünen Schal trägt".
Der Beamte ist ein Mann offener Worte, auch wenn er sich damit keine Freunde macht. Aber "das muss sich ändern", ist er überzeugt, wenn nicht wieder - wie neulich - ein 15-Jähriger als "potentieller Gewalttäter" den Behörden gemeldet werden soll. Der war ausgerastet, nur weil ein anderer Jugendlicher einen HSV-Aufkleber von einem Baugerüst kratzte. "Da ist auch der Mann mit dem Megaphon in den Kurven gefordert", sagt Mundt diplomatisch, beim Anstimmen von Schlachtgesängen und Sprechhören keine Grenzbereiche zu verletzen.
Und auch die Sprachlosigkeit nimmt zu, vielleicht das aktuell vordringlichste Problem. "Es gibt erkennbar keinen Dialog mehr", sagt Mundt. Das ist neu und das sei neuerdings offenbar so gewollt, so nimmt er es jedenfalls wahr. Mundt meint damit nicht den Verein oder die Fan-Beauftragten, sondern Teile der Fans. Mundt meint den "Ultra-Kodex: Mit der Polizei spricht man nicht". Und er bedauert das, weil dadurch ehrliches Bemühen, zu vermitteln, erschwert wird.
Besonders getroffen hat ihn, dass vor den brisanten Werder-Spielen Ende der vergangenen Saison der letzte Runde Tisch "abgesagt" worden sei: "Das hat mich überrascht." Er sagt das, als wenn er "enttäuscht" meint. Warum er den Job dann überhaupt noch macht? Weil ihn die Abwechslung reize, die ständig neuen Herausforderungen, die Arbeit mit jungen Leuten. "Jede Straftat, die wir verhindern, ist ein Erfolg", sagt er, auch wenn sich der nicht leicht messen lässt.
Wenn man Mundt dann noch fragt, was er sich wünschen würde, hätte er eine Bitte für seine weitere Arbeit frei, dann denkt er wieder lange nach. Und sagt schließlich: "Miteinander reden!"