Wie ein Chef, der bei Betriebsschluss noch mal kontrolliert, dass alle Lichter aus sind, verließ Cristiano Ronaldo als Letzter seines Teams das Stadion in Warschau. Der Kapitän der portugiesischen Nationalmannschaft hatte zuvor per Kopf den Siegtreffer seiner Mannschaft gegen Tschechien erzielt, und somit für den Halbfinal-Einzug gesorgt.
Es war einmal mehr eine One-Man-Show des Stars von Real Madrid, doch seine Mitspieler wollten es ganz so nicht stehen lassen. "Einen Top-Spieler wie ihn zu haben, macht die Sache einfacher", sagte Hugo Almeida. Schnell fügte der ehemalige Werder-Profi an: "Aber wir sind als Team stark. Wir haben den Willen, zusammen ein Spiel zu gewinnen, Ronaldo gehört zu uns."
Und Mittelfeldspieler Nani sagte: "Ronaldo hat die entscheidenden Tore für uns geschossen. Aber er hat auch eine starke Mannschaft hinter sich, nur deshalb hat er so viele Chancen." Ronaldo selbst bedankte sich brav bei seinen Kameraden: "Das war ein Sieg der Mannschaft."
"Jetzt wollen wir ins Finale"
Trainer Paulo Bento sprach von einer perfekten taktischen Leistung der portugiesischen Mannschaft. Die so aussah: Vorne Ronaldos Angriffsgewalt, hinter ihm eine aufmerksame Abwehr und ein Mittelfeld, das ihm die Bälle auflegte und bei schöpferischen Pausen in die Bresche sprang. Die Mittelfeldspieler überzeugten mit einer bemerkenswerten Pass-Quote: João Moutinho brachte 82 Prozent seiner Zuspiele zum Mann, Raul Meireles 70 und Miguel Veloso 72. "Die Tschechen hatten keine einzige Torchance. Es war ein phänomenaler Abend für uns. Jetzt wollen wir ins Finale", sagte Ronaldo nach der Partie.
Doch ganz so überragend, wie Bento und Ronaldo es beschrieben, war die portugiesische Leistung nicht. Besonders in der Anfangsphase tat sich der EM-Halbfinalist von 2004 schwer. Ronaldo hatte auf der linken Außenbahn Probleme mit Tschechiens Verteidiger Theodor Gebre Selassie. Der portugiesische Angreifer musste reagieren und verschwand von links, zog mal in die Mitte, mal nach rechts, manchmal ließ er sich sogar ins Mittelfeld fallen.
Neben der viel beschworenen Mannschaftsleistung war es vor allem Ronaldos Besessenheit, die Portugal die Unruhe der ersten halben Stunde überwinden ließ, als die Tschechen noch in der Lage schienen, für eine Sensation zu sorgen. Standen die Portugiesen zu Beginn in der Defensive sicher, war das Spiel nach vorne ohne Inspiration.
Für eine Weile schien sich der Fluch großer Turniere zu wiederholen, der Ronaldo bisher wie ein unheilvoller Schatten begleitete. So überragend er bei seinen Clubs Manchester United und Real Madrid auch spielte: In der Nationalmannschaft zeigte er oft schwache Leistungen. Diesen Makel schien er gegen Tschechien unbedingt loswerden zu wollen. Er schoss ohne zu zögern aus allen Positionen, traf aber zunächst nur zweimal den Pfosten. An den meisten der 20 Chancen der Portugiesen war Ronaldo beteiligt.
"Er ist der Beste der Welt", sagte Almeida über seinen Mannschaftskameraden. "Er ist das ganze Jahr in guter Form." Im Halbfinale könnte Portugal nun auf den amtierenden Welt- und Europameister Spanien treffen, doch soweit wollte Almeida noch nicht denken. "Wir sprechen jetzt nicht über das, was kommt, Spanien oder Frankreich. Wir genießen den Augenblick."
Tschechien - Portugal 0:1 (0:0)
0:1 Ronaldo (79.)
Tschechien: Cech - Gebre Selassie, Sivok, Kadlec, Limbersky - Hübschman (ab 86. Pekhart), Plasil - Jiracek, Darida (ab. 61. Rezek), Pilar - Baros
Portugal: Rui Patricio - Joao Pereira, Pepe, Bruno Alves, Fabio Coentrao - Raul Meireles (ab 88. Rolando), Miguel Veloso, Joao Moutinho - Nani (ab 84. Custodio), Helder Postiga (ab 40. Almeida), Cristiano Ronaldo
Schiedsrichter: Howard Webb (England)
Zuschauer: 55.590
Gelbe Karten: Limbersky - Nani, Veloso
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Matchwinner: Superstar Cristiano Ronaldo hat Portugal mit seinem Kopfballtor gegen Tschechien ins Halbfinale der Europameisterschaft befördert.
Viertelfinale in Warschau: Tschechien und Portugal eröffneten die K.o.-Phase der EM 2012.
Diesem tschechischen Fan standen schon vor dem Anpfiff die Haare zu Berge. Den anderen...
...Zuschauern ging es später nicht viel anders - allerdings nicht vor Begeisterung. Zweikämpfe wie hier zwischen Theodor Gebre Selassie und Fabio Coentrao (l.) bestimmten das Bild.
So viel Dynamik hätte man sich auch in den Offensivaktionen gewünscht.
Ronaldo beim Torschuss: In der ersten Halbzeit war der Superstar fast komplett abgemeldet. Seine...
...Unzufriedenheit war ihm deutlich anzusehen. Erst in der Nachspielzeit der ersten Hälfte sorgte er mit einem Pfostenschuss für Aufregung.
Die B-Note bei diesem Fallrückzieher von Ronaldo war gewohnt hoch - ein Tor brachte dieser jedoch auch nicht ein.
Und wenn Cech mal nicht an den Ball kam, ging er an den Pfosten.
Gegen Ende der zweiten Halbzeit wirkte es, als sei Ronaldo bereits der Verzweiflung nah. Doch dann gelang...
...ihm doch noch der entscheidende Treffer: Einen Kopfball wuchtete er zum 1:0 ins Netz (79. Minute).
Der Jubel war riesig, nun heißt es abwarten, wer im Halbfinale wartet: Frankreich oder Spanien?
Niedriges Niveau: Das EM-Viertelfinale zwischen Portugal und Tschechien war ein Langeweiler. In der ersten Hälfte gab es vor allem Zweikämpfe und Fehlpässe, ansehnliche Kombinationen hingegen nicht.
Lediglich Portugals Cristiano Ronaldo konnte die Qualität des Spiels verbessern. Direkt vor und kurz nach der Pause scheiterte er am Pfosten, ansonsten war er aber kaum zu sehen.
Doch elf Minuten vor Spielende köpfte er das 1:0 - und erlöste damit die Portugiesen.
So gut wie nicht im Spiel war Tschechiens Sturm-Hoffnung Milan Baros. Der 30-Jährige bestritt im ersten Durchgang nicht einen Zweikampf.
Auch seine Heatmap zeigt, wie wenig Baros unterwegs war. Insgesamt schoss der Stürmer nur einmal aufs Tor und gewann - über 90 Minuten gesehen - nur 14 Prozent seiner Zweikämpfe.
Tschechien hielt die Partie zwar offen, im Spiel nach vorne gelang aber kaum etwas. Das lag auch an Petr Jiracek, der in der Gruppenphase doppelt getroffen hatte.
Gegen Portugal konnte sich der Wolfsburger kaum in Szene setzen und kam nur zu einem Torschuss.
Auch der von Wolfsburg und Bremen umworbene Theodor Gebre Selassie (l.) konnte seine guten Leistungen aus den ersten Spielen nicht bestätigen.
Der Rechtsverteidiger blieb ohne Offensivaktion und gewann zudem nur 33 Prozent seiner Zweikämpfe. Zudem ließ er Ronaldo vor dem entscheidenden Tor laufen.
In der zweiten Hälfte wurden die Portugiesen stärker. Das lag auch an Hugo Almeida, der kurz vor der Pause eingewechselt wurde und das Spiel belebte.
Der ehemalige Bremer köpfte dann auch ins Tor, stand dabei aber im Abseits. So war es Ronaldo der den Siegtreffer erzielte. Vorbereitet wurde dieser...
...von Joao Moutinho. Der Mittelfeldspieler vom FC Porto flankte auf Ronaldo, der per Kopf traf. Nicht nur wegen der Vorlage war der 25-Jährige einer der besseren Portugiesen.
Wie seine Heatmap zeigt, war Moutinho viel unterwegs und überzeugte zudem mit einer Passqoute von 90 Prozent.
Auf den Heatmaps der beiden Mannschaften ist gut zu sehen, dass die Tschechen (hier im Bild) fast nie im gegnerischen Strafraum waren. Zudem ist...
...Portugals Heatmap deutlich dunkler, die Mannschaft lief mehr - und war dabei auch viel mehr in der gegnerischen Hälfte unterwegs.
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