Premier League droht Saison ohne Zuschauer Krisensicher dank Abramowitsch-Faktor

Die britische Regierung hat Pläne zur Zuschauerrückkehr verworfen und die Premier League gegen sich aufgebracht. Trotzdem geben die englischen Klubs auf dem Transfermarkt kräftig Geld aus. Wie passt das zusammen?
Von Hendrik Buchheister, Manchester
Eigentümer Roman Abramowitch macht den FC Chelsea nahezu unabhängig von Zuschauereinnahmen

Eigentümer Roman Abramowitch macht den FC Chelsea nahezu unabhängig von Zuschauereinnahmen

Foto: Reuters Staff/ REUTERS

Das hätte man auch nicht gedacht: Dass die Premier League, bekanntlich die reichste Fußballliga der Welt, irgendwann mal neidisch sein würde auf Kneipen und Restaurants, Kinos und Theater, Friseure und Tattoo-Studios. Doch während diese Einrichtungen geöffnet bleiben dürfen unter den verschärften Corona-Regeln, die Premierminister Boris Johnson gerade angesichts steigender Infektionszahlen verkündet hat, wurde die für Oktober geplante Rückkehr von Zuschauern in die Stadien für unbestimmte Zeit aufgeschoben. Die Rede ist von Ende März, doch wegen der unberechenbaren Entwicklung der Pandemie droht sogar eine komplette Geistersaison.

Die Premier League ist empört über die Entscheidung der Regierung und gibt sich keine Mühe, ihren Neid auf andere Branchen zu verbergen. Man sei überzeugt, dass Fans in den englischen Profi-Spielstätten mindestens genauso sicher, wenn nicht sogar sicherer seien "als bei allen anderen öffentlichen Aktivitäten, die im Moment erlaubt sind", heißt es in einer Mitteilung 

Aus dieser geht auch hervor, warum die Liga unbedingt wieder Fans bei den Spielen haben will: nämlich zur Minderung des wirtschaftlichen Schadens durch die Coronakrise. Nach eigenen Angaben hat die Premier League in der vergangenen Saison 700 Millionen Pfund verloren, also umgerechnet knapp 770 Millionen Euro, und macht mit dem aktuellen Notbetrieb mehr als 100 Millionen Pfund Verlust im Monat. 

Riesige Investitionen trotz leeren Stadien

Das sind dramatische Zahlen. Doch wenn man sieht, wie viel Geld die Klubs der Premier League zur gerade begonnenen Saison für neue Spieler ausgegeben haben, dann klingt der Alarmismus scheinheilig. Der "Telegraph" zitiert Berechnungen , wonach die Vereine in diesem Sommer ein größeres Transferminus gemacht haben als im vergangenen Jahr (umgerechnet gut 683 Millionen Euro im Vergleich zu 673 Millionen Euro). Am meisten ausgeben hat der FC Chelsea, nämlich geschätzt fast 250 Millionen Euro, unter anderem für Timo Werner und Kai Havertz, doch auch Vereine wie Aufsteiger Leeds United (88 Millionen Euro), Aston Villa oder die Wolverhampton Wanderers (je 82 Millionen Euro) haben umfassend investiert. 

Wie das trotz Coronakrise möglich ist, dafür hat der Finanzexperte Kieran Maguire  von der University of Liverpool verschiedene Erklärungen. "Man muss den Roman-Abramowitsch-Faktor einberechnen", sagt er im Gespräch mit dem SPIEGEL und spielt damit auf den milliardenschweren Chelsea-Besitzer an, der nach einer abgelaufenen Transfersperre durch die Fifa in dieser Saison umso mehr Geld in seinen Verein gesteckt hat.  

Auch andere Klubs sind durch ihre reichen Eigentümer krisensicher, wie schon Trainer Jürgen Klopp von Meister FC Liverpool zu Saisonbeginn geklagt hatte, als er anmerkte, dass sich einige Konkurrenten wegen der Finanzierung durch "Länder und Oligarchen" wohl trotz der Pandemie keine Sorgen machen müssten. "Es ist viel Geld im Umlauf, das kein Fußball-Geld ist, sondern Eigentümer-Geld", so formuliert es Maguire.

TV-Vertrag bringt jährlich mehr als drei Milliarden Euro

Die Fernseheinnahmen, seit jeher Grundlage des Reichtums der Premier League, sind ebenfalls elementar, um den Schaden der Krise in Grenzen zu halten. Der aktuelle TV-Vertrag bringt den Klubs insgesamt mehr als zehn Milliarden Euro über drei Saisons. Und auch wenn der Liga gerade ein lukrativer TV-Deal in China (mehr als 600 Millionen Euro über drei Jahre) weggebrochen ist - die Abhängigkeit von Zuschauereinnahmen ist gering. 

Laut der Deloitte Money League, einer jährlich erscheinenden Finanzanalyse des internationalen Spitzenfußballs, macht der Verkauf von Eintrittskarten bei den großen Klubs des Kontinents in der Regel höchstens ein Fünftel des Umsatzes aus. In der Premier League wird laut Experte Maguire nur ein Siebtel der Einnahmen am Spieltag generiert, während die Einkünfte aus dem Kartenverkauf in den Ligen darunter sogar bis zur Hälfte des Umsatzes bedeuten. Dort droht wegen der abgesagten Rückkehr der Zuschauer tatsächlich vielen Klubs der Ruin. 

Klopp fordert Solidarität

Deshalb wird heftig debattiert, ob die Premier League wegen ihres Wohlstands verpflichtet sei, dem Rest der Fußballpyramide finanziell zu helfen. Das fordert unter anderem die (konservative) Regierung, die üblicherweise nicht die Umverteilung von Reichtum propagiert, und auch Liverpool-Trainer Klopp spricht sich für Solidarität mit ärmeren Vereinen aus. "Der Fußball sollte sich selbst helfen. Dem stimme ich zu 100 Prozent zu", sagt er vor der Partie gegen den FC Arsenal (21 Uhr, TV: Sky).

Es steht sogar eine konkrete Zahl im Raum: Die English Football League, zuständig für die Ligen zwei bis vier, fordert um die 200 Millionen Pfund von der Premier League. Doch diese knüpft ihre Hilfsbereitschaft offenbar an Bedingungen an die Politik. Laut der "Times " wollen die Klubs des englischen Fußball-Oberhauses eine Garantie für die Rückkehr von Zuschauern in dieser Saison - erst dann will man auch selbst Zusagen machen.

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