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Randale beim Spiel England-Russland: Massenschlägerei in Marseille

Foto: ROBERT PRATTA/ REUTERS

Gewalt beim Spiel England-Russland Sturm auf den Block

Russische Randalierer haben nach dem Spiel im Stadion von Marseille den Block der Engländer gestürmt. Die EM hat nach zwei Tagen einen Skandal, der den Kern des Turniers berührt: die Sicherheit.

Das unheimliche Schauspiel der russischen Fans begann kurz vor Ende der regulären Spielzeit. Aus dem Unterrang der Südtribüne des Stade Vélodrome von Marseille flog im hohen Bogen eine Fackel auf den Rasen. Im Block brannten bengalische Feuer, ein Böller krachte. Zu diesem Augenblick lag Russlands Nationalmannschaft im EM-Spiel gegen England 0:1 hinten. Es schien, als hätten sich die Fans mit der Niederlage abgefunden und wollten sich jetzt der Provokation widmen.

Das war nach dem Abpfiff der Partie zu beobachten, die dank des Ausgleichs von Wassili Beresuzki in der Nachspielzeit noch 1:1 ausgegangen war. Die Provokation schlug um in schiere Gewalt. Es ging ihnen darum, die Jagd auf englische Fans fortzusetzen, die sie am Nachmittag im Viertel um den Alten Hafen von Marseille begonnen hatten.

Die Spieler waren noch nicht in der Kabine, als die russischen Fans aus ihrem Block im Unterrang in die anliegenden Sektoren stürmten. Die englischen Anhänger, die sich dort aufhielten, wichen zurück. Es ist erstaunlich, dass es keine Massenpanik gab, denn die Engländer wurden in die Enge getrieben. Einige von ihnen kletterten über die Zäune in den Innenraum, um dem Gedränge und den russischen Angreifern zu entkommen. Die flehenden Bitten des Stadionsprechers verhallten. Es dauerte ein paar Minuten, bis sich die Szenerie auflöste.

Die EM in Frankreich soll ein Fest des Fußballs werden. Die Gewaltszenen von Marseille werfen nun zu einem frühen Zeitpunkt einen dunklen Schatten auf das Turnier. Schon seit Tagen kommt es in der Stadt zu Straßenschlachten, auch am Spieltag selbst. Dass es einer Fangruppe zudem gelingt, Pyrotechnik und Böller ins Stadion zu bringen, ungehindert einen benachbarten Block zu stürmen und dort auf alles und jeden einzuprügeln, lässt an zentralen Punkten des Sicherheitskonzepts zweifeln. Das Turnier hat schon nach zwei Tagen einen Skandal, der das Kernthema dieser EM berührt: die Sicherheit. Die Uefa und die örtlichen Behörden geraten nun in Erklärungsnot.

"Die Kontrollen waren ein Witz"

Da wären zum Beispiel die Kontrollen beim Einlass. Die Partie war als Hochsicherheitsspiel eingestuft worden, trotzdem sollen die Zuschauer an den Stadiontoren nachlässig überprüft worden sein. Ein Fan aus Deutschland berichtet, dass er nur kurz an der Hüfte abgetastet worden sei und an der Jacke, die er über den Arm geworfen vor sich her trug. "Die Kontrollen waren ein Witz. Bei jedem Bundesligaspiel werde ich strenger überprüft", sagt er. Dabei sollten die Sicherheitschecks bei diesem Turnier wegen der Angst vor Terroranschlägen besonders genau sein. Journalisten müssen auf dem Weg ins Stadion durch eine Sicherheitsschleuse wie am Flughafen. Sie werden abgetastet, ihre Taschen durchleuchtet. Doch so genau ist das Ordnungspersonal offenbar nicht immer.

Auch ist rätselhaft, warum es zwischen dem russischen Block und den angrenzenden Sektoren keine Trennung gab. Der harte Kern des russischen Anhangs ist für seine Gewalttätigkeit bekannt, nicht erst seit den Ausschreitungen am Nachmittag im Alten Hafen. Doch es gab im Stade Vélodrome keine Pufferzone, keine Polizeikette, die die Fangruppen voneinander hätte fernhalten können. Die Ordner, die zwischen den Blöcken Wache hielten, waren zu bemitleiden. Die Menschen im angrenzenden Block waren den russischen Schlägern schutzlos ausgeliefert. Die Polizei traf erst nach ein paar Minuten ein. In Marseille war zu beobachten, wie die Sicherheitsorgane kollektiv versagten.

Nach dem Spiel wurde Russlands Trainer Leonid Sluzki nach seiner Meinung zu den Vorfällen befragt. Doch wer sich harte Worte gegen die Tribünen-Schläger erhofft hatte, wurde enttäuscht. Er sei nicht auf dem neuesten Stand und wisse nicht, was in der Stadt oder vor dem Stadion passiert sei, sagte Sluzki. Als jemand nachhakte, dass er doch aber die Szenen nach Schlusspfiff im Stadion gesehen haben müsse, wiederholte er seine Antwort. Er wollte auch nichts davon wissen, dass den Russen bei der Qualifikation für die EM zwischenzeitlich der Abzug von sechs Punkten gedroht hatte wegen des Fehlverhaltens einiger Fans in der Vergangenheit.

Fußballtrainer sind keine Minister. Sie müssen sich nicht staatstragend äußern oder zu den Problemen des Weltgeschehens Stellung nehmen. Doch zumindest leise Kritik am Verhalten der russischen Fans hätte man sich schon gewünscht. So passte Sluzkis Auftritt zu einem traurigen Fußballabend.

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