Rangnicks Rücktritt Schalke muss sich neu erfinden
Die Niederlage nahm Ralf Rangnick fast gleichgültig hin. 0:2 verlor sein Team am vergangenen Sonntag gegen den FC Bayern München, aber der Coach des FC Schalke 04 wollte sich nicht so recht an einer Spielanalyse beteiligen. Bei seinen wenigen Antworten schaute er zur Seite oder auf den Boden, mied den direkten Blickkontakt. Die Schultern ließ er auffällig hängen. Er wirkte müde.
Am Donnerstagmorgen gaben die Gelsenkirchener dann bekannt, dass der 53-jährige Trainer seinen Vertrag bei den Königsblauen nicht erfüllen wird und mit sofortiger Wirkung freigestellt ist. "Wir haben bei Ralf Rangnick ein Burnout-Syndrom festgestellt", sagt Schalkes Mannschaftsarzt Thorsten Rarreck.
Der 47-jährige Sportmediziner gilt als enger Vertrauter Rangnicks und erfuhr als einer der ersten von dessen gesundheitlichen Problemen. "Wir haben es während der Vorbereitung auf diese Saison festgestellt. Seine Kraftreserven waren einfach leer", sagt Rarreck. Rangnick wurde mit unterschiedlichen Medikationen und Heilverfahren behandelt, "aber es hat alles nicht so richtig funktioniert", so Rarreck. Vor zehn Tagen suchte der Coach dann erneut das Gespräch mit dem Arzt, "dabei wurde deutlich, dass er vor einem körperlichen Zusammenbruch steht." Gestern teilte Rangnick seine Entscheidung den Verantwortlichen des FC Schalke 04 mit, heute Vormittag verabschiedete er sich von der Mannschaft und fuhr zur medizinischen Weiterbehandlung nach Süddeutschland.
"Für uns war das ein Schock. Uns ist damit der Teppich unter den Füßen weggezogen worden", sagte Schalke-Manager Horst Heldt. "Aber uns blieb nichts anderes übrig, wir mussten die Reißleine ziehen. Wenn der Trainer selbst nicht mehr das Gefühl hat, eine Mannschaft zu führen und erfolgreich zu sein, was soll man da noch machen?" Rangnick hatte erst Ende März das Amt von Felix Magath übernommen. "Er sollte uns eigentlich wieder zu einem intakten Verein machen", sagte Schalke-Präsident Clemens Tönnies. Die Zerrissenheit, die Magath durch seine zur Allmacht neigende Art im Club hinterlassen hatte, sollte Rangnick mit seinem Enthusiasmus und seiner Leidenschaft kitten.
"Jetzt stehen wir wieder vor einem Scherbenhaufen", sagte Heldt, dem es sichtlich schwerfiel, über einen neuen Trainer oder die kommenden Wochen zu sprechen: "Wir werden Lösungen suchen, sind aber im Moment einfach noch sehr betroffen." So tragisch die Krankheit Rangnicks für ihn als Person ist, so stark sie erneut die hohen Belastungen im Profisport in den Fokus rückt, so sehr trifft sie den Club auch sportlich. Rangnick, der mit seinem Konzeptfußball seit Jahren erfolgreich arbeitete, der der Schalker Mannschaft ein völlig neues Spielsystem beibrachte, der den Kader in der vergangenen Wechselperiode mit neun Zugängen und 17 Abgängen stark nach seinen Vorstellungen formte, hinterlässt sportlich ein riesiges Vakuum.
"Wir können das gar nicht glauben. In den vergangenen Wochen haben wir immer besser zueinander gefunden, immer mehr die Vorgaben umgesetzt und jetzt so etwas", sagte Schalkes Mannschaftskapitän Benedikt Höwedes SPIEGEL ONLINE. Das Kurzpassspiel, das Spiel gegen den Ball, das schnelle Verschieben und das überfallartige Umschalten von Abwehr auf Angriff - Rangnicks Vorstellungen des Spiels wurden auf dem Platz immer besser sichtbar. Jetzt muss der Club während der laufenden Saison an einer sich gerade erst einspielenden Mannschaft herumdoktern.
Jeder Fehler, jede Situation wird analysiert
Am Samstag empfangen die Königsblauen den SC Freiburg (15.30 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE), am darauf folgenden Spieltag geht es zum ebenfalls unter Druck stehenden Hamburger SV. Bei beiden Spielen wird wohl der bisherige Assistenztrainer Seppo Eichkorn auf der Trainerbank sitzen. Er will sich nun primär darum bemühen, "den derzeitigen Schock" aus den Köpfen der Spieler zu bekommen. "Wir müssen uns jetzt irgendwie in die in zwei Wochen beginnende Länderspielpause retten. Dort können wir die Zeit sicherlich auch zur Besinnung nutzen", sagte Tönnies SPIEGEL ONLINE. Der Präsident wird dann wohl auch den großen Erfahrungsschatz des Vereins in puncto Trainersuche ausschöpfen. Seit dem Jahr 2000 wurde dieser Posten in Gelsenkirchen immerhin 15-mal neu besetzt.
"Schalke ist Deutschlands zweitgrößter Club. Da schauen die Leute eben ganz genau hin, hier wird eben viel diskutiert und viel entschieden", sagt Heldt. Und natürlich wird auch viel Druck erzeugt. Jeder Fehler, jede Situation wird analysiert und interpretiert. Wenn Stürmerstar Raúl einige Wochen nicht lächelt, gilt er als abwanderungswillig und mit dem Trainer zerstritten. Wenn Manager und Trainer nicht gemeinsam ins Stadion kommen, wird tagelang über eine Entzweiung der beiden debattiert.
Für Rangnick war das anscheinend zu viel. Er ist ausgebrannt und muss seiner Gesundheit Tribut zollen. "Aber ich bin mir sicher, dass er in einigen Monaten wieder voll da sein wird. Das ist eine Krankheit, die man vollständig auskurieren kann", sagt Rarreck. In der Zwischenzeit muss sich der Schalke 04 wieder völlig neu erfinden.