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SSV Markranstädt: Wo Rasenballsport ins Rollen kam

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RB Leipzig Die Geburtshelfer aus der Oberliga

Der Turbo-Aufstieg von RB Leipzig gipfelt am Abend im Duell mit München um die Weihnachtsmeisterschaft - dabei gibt es den Klub erst seit 2009. Ein Besuch dort, wo alles anfing: beim SSV Markranstädt.

Holger Nussbaum stemmt sich schneller aus seinem Bürostuhl, als man es ihm zugetraut hätte. Eben noch hatte er mit hinter dem Kopf verschränkten Armen so weit zurückgelehnt gesessen, dass ihm der dunkelblaue Pullover über die Jeans hochgerutscht war und sein Hemd eine Handbreit freilegte.

Es schien, als werde er immer müder, während er erzählt, warum das alles doch nichts geworden ist mit dem großen Traum vom Profifußball und warum er sich den Manager-Job beim SSV Markranstädt nicht mehr antun will. Und warum das Geld nicht mehr da ist, das viele Geld von RedBull, das doch alle Träume vom Profifußball wahr werden lassen sollte.

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RB Leipzig: Der Weg an die Spitze

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Das Geld, mit dem RB sich seine Existenz im deutschen Fußball erkauft hat und das den Grundstein dafür legte, dass die Leipziger als Tabellenzweite in die Winterpause gehen. Ohne Nussbaum wäre das alles nicht möglich gewesen.

Ein bisschen klingt bei ihm immer noch der badische Einschlag durch, er hat sich auch nach 25 Jahren in der sächsischen Provinz nicht ganz abgeschliffen. Wenn ihm eine Pointe besonders wichtig ist, macht Nussbaum nach einem Satz eine kurze Pause, dann sagt er: Bumm. Fragt man ihn, den Fabrikanten von Hebebühnen und Parksystemen, nach seinem Alter, sagt er: "Baujahr 69."

Holger Nussbaum

Holger Nussbaum

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Hier so zu sitzen und erklären zu müssen, warum der SSV Markranstädt wieder in der gleichen Liga kickt wie vor sieben Jahren und seine Träume nicht erreicht hat, ist der Teil von diesem Gespräch, auf den Holger Nussbaum gut verzichten könnte.

Er holt lieber aus und erzählt, wie er es damals eingefädelt hat, das ganz große Ding mit RedBull. Und wie sein Plan, Interessenten nach Markranstädt zu locken, noch besser aufgegangen war, als er es sich selbst jemals erträumt hatte. Man hört ihm gerne zu, es ist ja eine spannende Geschichte. Träume also. Träume heißen bei Nussbaum "Visionen", und seine sah so aus: Er wollte mit den damaligen Viertligisten SSV Markranstädt aufsteigen und in der Leipziger WM-Arena spielen. 2004 hat Nussbaum als inoffizieller Manager bei dem Klub angefangen, der Geschäftsmann merkte schnell, dass die Voraussetzungen gut waren.

Nussbaum hatte nicht nur eine Vision, sondern auch eine lebhafte Erinnerung. Er werde nie vergessen, wie sehr er sich als kleiner Junge auf die Besuche der Heimspiele seines Lieblingsklubs Karlsruher SC gefreut hat, erzählt er. Auch in Leipzig gab es eine große Fußballleidenschaft. Das merkte Nussbaum während der WM 2006, die auch im ehemaligen Zentralstadion zu Gast war. Doch der Leipziger Fußball wurde seit Jahren überschattet von Ausschreitungen. Davon war der familienfreundliche SSV Markranstädt verschont geblieben. Nussbaum wandte sich an den Unternehmer Michael Kölmel. Dem gehörten neben dem Filmverleih Kinowelt und dem Buchhandelsfirma Zweitausendeins auch die Rechte am Leipziger Stadion.

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SSV Markranstädt: Wo Rasenballsport ins Rollen kam

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"Da war nur zweimal im Jahr der Posaunenchortag drin oder so", sagt Nussbaum. Er ahnte, dass Kölmel bei monatlichen Betriebskosten von 100.000 Euro an einer nachhaltigeren Nutzung der Arena interessiert sein müsste. "2008/2009 habe ich angefangen, die Fühler auszustrecken", sagt Nussbaum, "und dann kam von ihm relativ schnell die Nachfrage, ob sich bei uns mal jemand melden könnte und ob wir uns vorstellen können, auf die oberste Liga hin zu arbeiten." Na klar konnten sie.

RedBull hatte zuvor schon mehrmals versucht, im Leipziger Fußball Fuß zu fassen. Doch der erste Anlauf mit dem FC Sachsen Leipzig scheiterte an Fanprotesten und Indiskretionen, Meuselwitz hatte kein Interesse, der FC Eilenburg stieg während der Verhandlungen ab und schied deshalb für RB aus. Übrig blieb der SSV Markranstädt, ein ambitionierter Oberligist.

Aus der Leipziger Innenstadt ist man mit dem Auto in einer Viertstunde in der 15.000-Einwohner-Stadt. Man hat das Gefühl, nie aus Leipzig rauszufahren, Markranstädt ist eher Vorort als Dorf, nur der Kulkwitzer See trennt es von der Großstadt, lässt man diesen links liegen, kommt noch ein Kreisverkehr, dann ist man da. Der See und der Sport, das sind die beiden Dinge, über die Markranstädt sich definiert.

Die Gespräche mit RB laufen reibungslos

Im Volleyball, Handball, Kegeln und Schach hatte die Stadt Teams in den obersten Ligen, das Sportcenter ist die größte Ballsporthalle im Stadtkreis Leipzig. Alle Anlagen sind modern oder aufwendig saniert, wie das Städtchen selbst auch. Es kommt einem vor wie in einem Werbefilm für Sachsen. Die Freundlichkeit der Menschen in den Cafés und Restaurants und auf der Straße wirkt allerdings nicht so, als sei sie geschauspielert.

"Die Leute hier würden sagen: Wir haben mit Leipzig nichts zu tun. Sie sind stolz auf die Eigenständigkeit", sagt Nussbaum. Er sagt auch, dass man durch die Unabhängigkeit viele Vorzüge einer Eingemeindung verpasst hätte. Da spricht ein Optimierer, der immer das Beste herausholen will.

So ist er damals auch die Sache mit RB angegangen. Im Winter 2008/2009 saßen dann die RB-Manager Andreas Sadlo und Markus Egger bei ihm im Büro. Wenn Nussbaum davon erzählt, scheint er einen richtigen Energieschub zu bekommen, er richtet sich auf, streicht sich mit der Hand einmal über den Bartschatten und streckt den Brustkorb vor. Das war sein Moment damals, vor fast acht Jahren. Er steht auf, zeigt über seinen Schreibtisch hinweg ans andere, fensterlose Ende seines Büros. Ein glänzend polierter Holztisch steht da quer im Raum, gut drei Meter lang, und reicht fast von einer Wand zur anderen.

Dort haben sie damals gesessen. "Wir waren recht schnell beim 'Du'", sagt Nussbaum. "Die österreichische Mentalität ist ja eine freundliche." Man merkt, wie viel Spaß ihm die Verhandlungen damals gemacht haben müssen. Da war er in seinem Element, für die Nussbaum Parking GmbH reist er durch die Welt, die Geschäfte gehen gut, Parkplatznot ist keine deutsche Spezialität. Ehrfurcht vor dem potenten Gegenüber habe er nicht verspürt: "In meinem Job habe ich auch schon mit Automobilherstellern an einem Tisch gesessen, große Logos beeindrucken mich nicht sonderlich."

Wieviel Geld hat der SSV von RB bekommen - und wo ist es hin?

Eigentlich hatten Nussbaum und sein Mitstreiter im Verein, Volker Kirschner, einen Geldgeber gesucht, der im großen Stil in den SSV investiert. Doch RedBull hat andere Pläne. Die Österreicher wollen Markranstädt das Startrecht für die Oberliga abkaufen. Nur die erste Mannschaft soll als RB Leipzig/Markranstädt auflaufen, die anderen Teams spielen weiter im Namen des SSV.

Die Vereinsspitze schrecken die Übernahmepläne nicht ab, dort wäre man noch zu ganz anderen Dingen bereit gewesen. Man einigt sich, die Gründungsversammlung findet am 25. März statt, RB Leipzig wird aus der Taufe gehoben, der SSV Markranstädt bekommt sein Geld. Wie viel, das wissen nur die wenigsten, und die wollen es nicht verraten. RedBull schweigt dazu genau so wie Kirschner, der SSV-Rechtsbeistand Andreas Stammkötter und die damalige Bürgermeisterin Carina Radon. Nussbaum sagt, es sei "kein utopischer Betrag" gewesen. Im Verein erzählt man sich von rund 400.000 Euro.

Das ist der Erfolgsteil der Geschichte von Markranstädt und seinem SSV. Sechseinhalb Jahre sind seitdem vergangen, doch während RB Aufstieg an Aufstieg reihte und sich tatsächlich gleich in der ersten Bundesligasaison zum härtesten Bayern-Konkurrenten aufschwingen konnte, sind die Höhenflüge beim SSV vorbei. Die ehemals zweite Mannschaft war 2010 zum ersten Herren-Team geworden, spielte zwei Jahre in der Landesliga, dann gelang der Aufstieg in die NOFV-Oberliga Süd.

Wieso wurde nichts aus den Träumen?

Immer wieder wurden sie in den Jahren von den Fans der Gegner beschimpft, der Rasen im Stadion am Bad wurde einmal mit Unkrautmittel beschädigt. Nicht nur RB Leipzig hat Neider, auch der SSV. Derzeit ist der Klub in der Oberliga Tabellen-15. von 16 Mannschaften, mit acht Punkten und 40 Gegentoren aus 15 Spielen. Von Visionen redet im Verein keiner mehr, man fragt sich eher nach dem Wieso. Wieso wurde nichts aus den Träumen?

Einer, der glaubt das zu wissen, ist Volker Kirschner. Er verhandelte damals gemeinsam mit Nussbaum den Deal. Darüber, dass der in der Stadt für den Coup von damals noch immer gefeiert werde, könne er nur lachen. Dabei guckt Kirschner so, als sei Lachen jetzt das Letzte, woran er denkt. Er will seine Version der Geschichte erzählen. Dass sich die von Nussbaums Erzählungen unterscheiden werde, kündigt er gleich an, in der Presse werde das stets "anders dargestellt". Kirschner, Jahrgang 1955, ist Markranstädter, Arzt, alter CDU-Adel, Jahrzehnte im Stadtrat, derzeit stellvertretender Bürgermeister. Zum Treffen in einem Restaurant kommt er ohne Jacke, seine Praxis liegt keine 100 Meter entfernt. Auch im Dezember ist Kirschner braungebrannt, zu seinen silbernen Winfried-Kretschmann-Haaren trägt er einen dünnen Pullover ohne T-Shirt und eine weiße Arzthose.

Volker Kirschner

Volker Kirschner

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Kirschners Look lässt an Urlaub denken, von Entspannung aber keine Spur. Dass Nussbaum sich seit Jahren als der Macher beim SSV und Geburtshelfer von RB feiern lässt, scheint ihn ernsthaft zu ärgern. Nussbaum hätte als Manager von ihm damals erst "herangeführt" werden müssen, sagt Kirschner. Er war damals auch so einer mit Visionen, wie man den SSV groß rausbringen könnte. Er konnte sich für eine Idee des deutschen Sportfernsehens begeistern, wonach die Zuschauer nach den Punktspielen per Anruf entscheiden sollten, wer beim nächsten Mal spielen darf und wer nicht. "Ich fand das gut", sagt Kirschner, mit dem RB-Angebot konnte er sich aber auch schnell anfreunden, das war ja gutes Geld.

"Ich strample hier nicht weiter"

Aber das Geld ist weg. "Leider sind uns Einnahmen von Sponsoren weggebrochen", sagt Kirschner. Gemeint ist Nussbaum, aber Kirschner will nicht konkreter werden. Er bleibt lieber bei Andeutungen, spricht von Mentalitäten und, tatsächlich, von Ost-Denken und West-Denken. Mit dem RB-Geld hätte man "20 Jahre lang Sachsenliga" spielen können, sagt Kirschner, "ohne Höhenflüge". Der Mann für die Höhenflüge war Nussbaum, der es nach dem Neuanfang RB gleichtun und durch die Ligen marschieren wollte.

Nussbaum ist tatsächlich nicht der Typ, der Lust hat auf 20 Jahre Sachsenliga. Er sagt, die Kosten im Amateurfußball seien einfach enorm gestiegen in den vergangenen Jahren. Er habe Spieler immer mit korrekten Verträgen ausgestattet, das sei ihm wichtig gewesen. Allem Ehrgeiz zum Trotz wirkt Nussbaum eher wie ein auf Korrektheit bedachter Manager als wie ein Sonnenkönig, der das Geld aus dem Fenster wirft und mit der Brechstange Erfolg erzwingen will. "Manche sagen heute: Das Geschäft war das Beste, was wir hätten machen können", sagt er. "Andere finden es immer noch falsch. Aber so ist es nun mal: Es gibt immer welche, die sehen das Glas halb leer."

Er selbst sponsert zwar im kleineren Stil noch die Oberliga-Mannschaft, hat sich ansonsten aber vor dieser Saison aus dem Verein zurückgezogen. Der Grund ist ein Spiel und die Erkenntnis, dass es einfach nicht sein soll mit Markranstädt und der Oberliga. Lok Leipzig wurden im Sommer 2015 wegen Ausschreitungen Punkte abgezogen, der SSV rückte nach auf Platz drei und trat in der Relegation gegen Luckenwalde an. Markranstädt gewann das Hinspiel auswärts 1:0, im eigenen Stadion ging die Mannschaft in Unterzahl 1:4 unter. "In dem Moment habe ich mich gedanklich verabschiedet", sagt Nussbaum, "ich strample hier nicht weiter, das bringt nichts. Wären wir aufgestiegen, wäre ich natürlich geblieben."

So bleibt ihm nur ein Vereinswimpel in seinem Büro, eine Dauerkarte für RB und der dunkelrote, abgegriffene Aktenordner, den Nussbaum am Ende des Gesprächs mit einem Lächeln aus seinem Schreibtisch hervorholt. Da stehe alles drin, die ganzen Details zum Deal mit RB. Er klopft auf den Ordner: "Vielleicht kommt der ja mal ins Museum." Dann legt er ihn dahin zurück, wo er ihn hergeholt hat: in die unterste Schublade.

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