Rechtswidrige Datenspeicherung Hooligan-Datei steht vor dem Aus

Die umstrittene Datei "Gewalttäter Sport" könnte nach Informationen von SPIEGEL ONLINE bald geschlossen werden. Sie enthält Daten von Fans, die rund um Fußballspiele auffällig geworden sind. Laut mehreren Gerichtsurteilen wird das Verzeichnis seit Jahren ohne Rechtsgrundlage geführt.
Fan-Krawalle in Köln (Archivbild): Künftig weniger Überwachung?

Fan-Krawalle in Köln (Archivbild): Künftig weniger Überwachung?

Foto: A3508 Rolf Vennenbernd/ dpa

Hamburg - Paukenschlag in der deutschen Fußballszene: Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat erneut die fehlende rechtliche Grundlage der Verbunddatei "Gewalttäter und Sport" moniert. In ihr speichern die Behörden die Daten von Anhängern, die rund um Stadien auffällig geworden sind, beispielsweise durch Gewalttätigkeiten oder das Abbrennen von Pyrotechnik.

Mit dem Urteil wurde der Klage zweier Fans des Karlsruher SC stattgegeben, die die sofortige Löschung ihrer Daten eingeklagt hatten. Während sich an diesem Freitag in Berlin Vertreter von DFB und DFL über neue Sicherheitskonzepte unterhalten, steht damit das bestehende Konzept zur Disposition. Insgesamt zwölf Karlsruher Anhänger hatten sich an den Karlsruher "Fan-Anwalt" Steffen Schmitt gewandt. Sie waren auffällig geworden und daraufhin in der Gewalttäterdatei gelandet. Nach längerem Schriftwechsel hatten zunächst die Behörden in Nordrhein-Westfalen und Bayern die Löschung ohne Gerichtsbeschluss vollzogen. Lediglich Baden-Württemberg hatte es auf eine gerichtliche Klärung ankommen lassen.

Diese Klärung ist nun in den ersten zwei Fällen erfolgt - nach Informationen von SPIEGEL ONLINE mit gleichlautendem Ergebnis: Die Daten der beiden Fans müssen gelöscht werden. Denn der Datei fehle die Rechtsgrundlage, heißt es im Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe. So fehle die nötige Rechtsverordnung, die kläre, nach welchen Kriterien welche Behörde Daten in die Verbunddatei eingeben dürfe. Die gängige Praxis, das nach Gutdünken zu erledigen, sei rechtswidrig. Damit steht die Datei in der jetzigen Form vor dem Aus.

Probleme beim Grenzübertritt

Die Datei war von Fanvertretern in der Vergangenheit immer wieder kritisiert worden, da Namen selbst dann gespeichert blieben, wenn das Ermittlungsverfahren eingestellt worden war. Der Verdacht, die betreffende Person könne in Zukunft Straftaten begehen, reicht im Extremfall für einen Eintrag. Auch sind bereits Fans eingetragen worden, weil sie in einer Menschenmenge waren, die in der Nähe des Tatorts war, als eine Autoscheibe zu Bruch ging. Weil der Täter längst über alle Berge war, waren die Personalien aller Umstehenden kontrolliert worden.

Ein Eintrag in die Datei kann weitreichende Folgen haben. Er kann beispielsweise Grundlage für Ausreiseverbote bei internationalen Turnieren oder Meldeauflagen sein. Was bei echten Hooligans eine höchst wünschenswerte Maßnahme ist, wird fragwürdig, wenn die Behörden allzufleißig Daten sammeln. Fan-Projektler berichten immer wieder von völlig friedlichen Fans, die erst im Sommerurlaub beim Überqueren der Grenze merken, dass sie in der Datei geführt werden.

Die Datei "Gewalttäter und Sport" wurde 1994 gegründet, mittlerweile umfasst sie etwa 11.000 Einträge. Sie wird vom Bundeskriminalamt geführt. Darunter befinden sich zahlreiche notorische Gewalttäter, nach Einschätzung von Fanvertretern sind aber auch Tausende Bagatellfälle dokumentiert, die keine jahrelange Speicherung rechtfertigen.

Höchste Priorität für Datenschutzschutz

Bereits im Mai 2008 hatte das Verwaltungsgericht Hannover die Datei für rechtswidrig erklärt. Im Dezember 2008 bestätigte dann das Oberverwaltungsgericht Lüneburg dieses Urteil. In diesem Sommer wird sich das Bundesverwaltungsgericht mit der Datei "Gewalttäter und Sport" befassen. Nach den Karlsruher Urteilen spricht manches dafür, dass auch das Bundesverwaltungsgericht die Datei für rechtswidrig erklärt. Auch weil das Bundesverfassungsgericht, das höchstinstanzlich entscheiden würde, in der Vergangenheit dem Datenschutz immer wieder höchste Priorität eingeräumt hat.

Mit einer kompletten Löschung der 11.000 Datensätze ist indes nicht von allein zu rechnen, denn die müsste von höherer Stelle - etwa der Justizministerien - angeordnet werden. Die Politik ist nun gefordert, die nötige Rechtsgrundlage für die Datei zu schaffen. Solange die fehlt, dürften Klagen von Fans auf Löschung ihrer Daten gute Erfolgsaussichten haben.

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