Regisseur Jürgen Flimm "Uli Hoeneß ist der Drachentöter"
SPIEGEL ONLINE:
Herr Flimm, heute Abend beginnt die neue Bundesliga-Saison. Mit welchem Theaterstück lässt sie sich am besten vergleichen?
Flimm: Da fällt mir sofort "Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle" von Botho Strauss ein. Der Titel passt einfach. Die Leute sitzen vor dem Fernseher, sehen die Spieler, darunter auch die vielen bekannten Fußballer und denken sich: "Oh Gott, wie wird es dieses Mal ausgehen? Werden die Bayern wieder vorne weg marschieren? Wer steigt ab?" Auch wenn das Stück nicht ganz so verläuft, der Titel ist wie zugeschnitten.
SPIEGEL ONLINE: Die Bundesliga, ein Drama?
Flimm: Das kommt darauf an, wie sehr man sich engagiert. Wenn man ein bisschen Abstand hat, dann ist es sicherlich sehr komisch. Für mich persönlich allerdings ist die Liga wie eine schwere attische Tragödie.
SPIEGEL ONLINE: Das müssen Sie näher erklären.
Flimm: Es werden Helden gestürzt, Mythen zersplittern, man wird geläutert. Das beste Beispiel ist das berühmte Champions-League-Finale 1999 Bayern München - Manchester United in Barcelona, bei dem kurz vor Schluss zwei Tore die Träume der Bayern zerstören. Das nennen wir in der Theatersprache Katharsis, Läuterung und Krise. Das sind Begriffe aus der Dramaturgie des altgriechischen Theaters, die sogenannte "aristotelische Dramaturgie".
SPIEGEL ONLINE: Erwartet die Fans denn in der kommenden Saison Ähnliches?
Flimm: Das hoffe ich doch sehr! Vor allem, dass der Mythos Bayern endlich mal zerstört wird. Auch der Abstiegskampf wird wieder spannend, wobei Abstieg nicht unbedingt schlecht ist.

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SPIEGEL ONLINE: Das sehen die Absteiger aber sicher anders.
Flimm: Vielleicht, aber er hat kathartische Wirkung für die Beteiligten. Der Abstieg ist eine Katharsis, also eine Läuterung, durch die man zur Erkenntnis kommt und zugleich die Chance bekommt, wieder neu anzufangen. Abstieg ist eine Krise, und eine Krise ist immer der Anfang zur Besserung. Zum Beispiel der VfL Bochum, die werden nach ihrem Abstieg strahlend wieder aufsteigen. Außerdem freue ich mich auf Podolski und Schweinsteiger - die beiden sind für mich wie Castor und Pollux, wahre Götter. Sie sind die aufgehenden Sterne der Liga.
SPIEGEL ONLINE: Das klingt, als würden Sie sich selbst Inspiration aus den Geschichten holen, die der Fußball schreibt.
Flimm: Nein, für mich ist der Fußball einfach nur die schönste Nebensache der Welt. Meine Hauptaufgabe ist es, Theater zu machen, da gibt es dann doch Unterschiede.
SPIEGEL ONLINE: Wer besetzt die Hauptrollen im Theater Bundesliga?
Flimm: Natürlich Uli Hoeneß. Er ist der Drachentöter. Wenn die Drachen "Defizit" oder "Schulden" ihre Flügel spannen, kommt Hoeneß und vernichtet sie. Der andere Star ist Rudi Assauer. Er ist der Held des Westens, ganz nach dem Stück von John Millington Synge "Der Held der westlichen Welt". Man muss nur mal in den Westen der Republik kommen, Rudi Assauer ist hier überlebensgroß. Bei Borussia Dortmund dagegen kann man nur hoffen, dass sie sich wacker durch die Wirrnisse der Bundesliga schlagen.
SPIEGEL ONLINE: Und wenn Sie die für sich perfekte Saison inszenieren dürften? Was stünde im Drehbuch?
Flimm: Am Anfang müsste ein unheimlicher Siegeszug von Bayern München stehen, der dann in der zweiten Hälfte von den Helden aus Schalke und Bremen gestoppt wird. Die Bayern-Krise müsste kommen und gewaltig sein! Uli Hoeneß zweifelt an sich und hört als Manager auf, Edmund Stoiber verliert die Bundestagswahl und tritt vom Vorsitz des Verwaltungsbeirates bei Bayern zurück, Ballack wechselt zu Werder Bremen, Otto Rehhagel muss Bayern retten...
SPIEGEL ONLINE: ... und Trainer Felix Magath geht in die Zweite Liga?
Flimm: Genau! Und steigt dann sofort auf und wird Meister. Das müsste die Krise sein. Außerdem stünden die nordischen Götter aus Bremen im Drehbuch. Der Siegfried des Nibelungenliedes kommt jetzt aus Bremen, in Person vom blonden Trainer Thomas Schaaf, welcher die Bayern in die große Weißwurst-Krise stürzt. Das Stück nenne ich dann "Der unaufhaltsame Siegeszug der grünen Götter".
Das Interview führte Pavo Prskalo