Bayern-Remis bei Union In der Ebene

Der FC Bayern müht sich zu einem Unentschieden gegen einen starken Gegner: Union Berlin. Die Flick-Elf muss sich derzeit durch die Liga arbeiten, vom Glanz des Sommers ist sie weit entfernt.
Aus Köpenick berichtet Peter Ahrens
Kingsley Coman wirkt nach dem 1:1 auch nicht besonders zufrieden

Kingsley Coman wirkt nach dem 1:1 auch nicht besonders zufrieden

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Michael Sohn / dpa

Die Haupttribüne des Stadions An der Alten Försterei bildet eine Besonderheit in der Fußball-Bundesliga. Man kommt relativ nah an sie heran, ohne dafür direkt aufs Stadiongelände zu müssen. So sammelten sich am Samstagabend einige Anhänger des 1. FC Union Berlin in der Nähe der Tribüne und stimmten von außen gut hörbar im Stadion ihre Fangesänge an. Schon nach wenigen Minuten Spielzeit der Partie ihres Klubs gegen den FC Bayern München waren sie beim Bundesliga-Klassiker angelangt: »Zieht den Bayern die Lederhosen aus!«

Dieser Spruch wird seit Jahrzehnten bei Gastspielen des Rekordmeisters angestimmt, häufig ist er so etwas wie das Pfeifen im Walde der Außenseiter, meist behalten die Bayern dann doch ihre Lederhosen an, aber in diesen Spätherbstwochen 2020 erscheint es doch etwas leichter, den Bayern ihre Beinkleider zu entwenden. Union war beim 1:1 (1:0) am Samstag schon sehr nah dran, die Münchner retteten sich trotz ihrer Ballbesitz-Dominanz mehr oder weniger in ein Remis, und das sagt sehr viel über ihren gegenwärtigen Status aus.

»Die Frischesten sind wir im Moment nicht«, sagte Trainer Hans-Dieter Flick nach dem Spiel. Das ist zwar eine einfache, aber wahrscheinlich auch die treffende Erklärung, warum es für die Bayern derzeit mühsam zugeht. Der Glanz aus den Champions-League-Wochen im August ist dahin, die Mannschaft arbeitet sich durch ihren Dienstplan, mehrere der Leistungsträger aus dem Sommer schleppen sich durch oder sind drauf angewiesen, durchgeschleppt zu werden. Nach dem Gipfel im August sind die Bayern in den Mühen der Ebene angelangt.

Mit den einfachsten Mitteln

Das geht oft noch gut wie in der Woche beim Pflichtsieg in der Champions League gegen Lok Moskau, aber der Samstag zeigte deutlich: Es wird immer enger. Im Vergleich zu den Berlinern ist jeder einzelne Bayernspieler an Ballbehandlung, Gewandtheit, Technik überlegen, dennoch war es den Union-Stürmern immer wieder geglückt, die Bayern-Abwehr zu überspielen, teilweise mit den einfachen, gar einfachsten Mitteln des Fußballs: ein langer Ball in die Angriffsmitte, und schon war die Bayern-Abwehr in höchster Not. Bei fast jeder Union-Offensivaktion hatte man das Gefühl: Oh, das wird gefährlich. Und so kam es dann auch. Für die Eckbälle der Gastgeber galt das ähnlich.

Sicher, es fehlt Joshua Kimmich im Mittelfeld, der junge Jamal Musiala war am Samstag deutlich überfordert mit der Aufgabe, das Mittelfeldspiel zu strukturieren. Welch Wunder, mit 17 Jahren. Aber das lag auch daran, dass sein Nebenmann Leon Goretzka seine Überform aus den warmen Monaten verloren hat und dem jungen Kerl wenig Entlastung geben konnte. Die Abwehr um Jérôme Boateng war immer wieder in der Bredouille, schon nach 40 Sekunden hätte Union eigentlich führen müssen, als sich sperrangelweit die Löcher in der Abwehrzentrale auftaten. Manuel Neuer war da noch mit einem Reflex zur Stelle gewesen.

Union spielte mit Hingabe, aber auch mit Vergabe – von Chancen. Vermutlich wäre dieses Spiel der perfekte Abend für den ausgebufften Max Kruse gewesen, der die eine oder andere Situation mit seiner Cleverness noch ganz anders ausgenutzt hätte. Aber Kruse wird verletzungsbedingt ebenso vermisst wie Kimmich auf der Gegenseite, vielleicht sogar noch mehr. Umso erstaunlicher war es, wie sehr Union auch ohne ihn und mit ihrem eigenen Instrumentarium dagegenhalten konnte und das Spiel damit nicht nur offen, sondern auch höchst unterhaltsam hielt.

Ein Abend für Melancholie und Nostalgie

Es war einer dieser Abende, die im Corona-Jahr besonders melancholisch machen. Man stelle sich diesen Spielverlauf mit der Union-Führung nach drei Minuten in einer voll besetzten brodelnden Alten Försterei vor. Dann hätte es vielleicht ein Abend werden können wie damals beim schon legendären Spiel von Kruses Ex-Klub FC St. Pauli 2002 gegen die Bayern, es war damals auch so ein kalter Abend. Der Super-Außenseiter gewann nach ebenfalls früher Führung allerdings 2:1, damals nach vorne gepeitscht von einem enthusiastischen Publikum. Die Hamburger druckten anschließend auf ihre T-Shirts »Weltpokalsiegerbesieger«. Union hätte fast Shirts mit »Champions-League-Sieger-Besieger« drucken lassen können.

So ist es mit einem Punkt für die Gäste so gerade noch gut gegangen, Robert Lewandowski hatte seinen lichten Moment, die Tabellenführung ist so eben mal verteidigt, aber die Partie bei Union, auch das 3:3-Unentschieden in der Vorwoche gegen RB Leipzig und der 2:1-Arbeitssieg zuvor beim VfB Stuttgart, sie alle zeigen, wie sehr der Bayern-Erfolg im Moment auf Kante genäht ist. »Wir müssen konzentrierter spielen«, forderte Flick. Das scheint einigen derzeit aber kaum möglich sein. So viele Bälle, die statt beim Mitspieler im Seitenaus landeten, hat man bei den Bayern selten gesehen. Und Thomas Müller kann es nicht immer herausreißen, auch das hat man am Samstag gesehen.

Zu Beginn der zweiten Halbzeit und am Ende des Spiels brannten die erschienenen Union-Fans von draußen ein kleines Feuerwerk ab. Das Feuerwerk, das man auf dem Platz von den Bayern erwartet hätte. Aber im Moment ist der Zunder feucht.

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