Roger Schmidts Stimme klang wieder sanft und freundlich, als er sich bemühte, den Schaden zu begrenzen, den er in jener denkwürdigen 65. Spielminute der Partie zwischen Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund (0:1) angerichtet hatte. Der Leverkusener Trainer lächelte sogar, als er einräumte "ein bisschen stur" gewesen zu sein.
Aber wer Schmidt etwas genauer zuhörte, merkte schnell, dass er seine Sturheit immer noch nicht ganz abgeschüttelt hatte. Es fiel ihm schwer, seinen Fauxpas einzusehen.
Nach mehreren Bemerkungen gegenüber dem vierten Offiziellen war er auf die Tribüne geschickt worden, weigerte sich aber, der Anweisung zu folgen, weil Schiedsrichter Felix Zwayer ihm nicht persönlich die Gründe erläutern mochte. Zwayer unterbrach das Spiel, so sehen es die Regeln vor.
"Situationen, in denen man über das Ziel hinausschießt"
"Das war sicherlich ein Fehler von mir, aber natürlich hätte ich mir gewünscht, dass der Schiedsrichter mir erklärt, warum das so war, dass ich auf die Tribüne muss", sagte Schmidt nun. Etwas später erklärte er noch: "Es gibt in der Emotionalität Situationen, wo man auch mal über das Ziel hinausschießt, das habe ich wahrscheinlich gemacht."
Ein Hauch Dickköpfigkeit war immer noch da. Die kleinen Worte "aber" und "wahrscheinlich" in seinen Schilderungen deuten darauf hin, dass er sich weiterhin irgendwie im Recht fühlte. Dabei ist er der erste Trainer gewesen, der es gewagt hatte, eine Schiedsrichterstrafe einfach zu ignorieren, so was passiert eigentlich nur im testosterongeschwängerten Ambiente bestimmter Amateurligen.
Und dass es einen ausreichenden Grund für die Verbannung auf die Tribüne gab, zweifelte er dabei noch nicht einmal an. Selbst die Schiedsrichterentscheidung, die dem Eklat vorausgegangen war, ist vollkommen korrekt gewesen. Zwar führte Matthias Ginter tatsächlich einen Freistoß 5,8 Meter vor dem Ort des Fouls aus, aber das war kein Regelbruch. "Ich finde, dass eine Ausführung von drei, vier, fünf Metern in der Karenz liegt", sagte Schiedsrichter Zwayer. Denn Stefan Kießling hatte durch sein Foul genau den Konter unterbinden wollen, den Ginter durch den schnell ausgeführte Freistoß fortgesetzte. Wenige Sekunden später schoss Pierre-Emerick Aubameyang das Tor des Tages.
Hätte Zwayer die Dortmunder zurückgepfiffen, hätte er Kießlings Regelbruch belohnt. Genau das forderte Schmidt, dessen Mannschaft sehr häufig bei Ballverlusten am gegnerischen Strafraum Gegenstöße durch kleine Fouls unterbindet. So weit weg vom eigenen Tor gibt es für solche Aktionen selten Gelbe Karten, es handelt sich also um ein probates Mittel, das in diesem Fall mit einem Gegentor bestraft wurde. Man kann das durchaus als gerecht empfinden.
Nicht nur Tuchel war das Spiel zu emotional
Daher sagte Dortmunds Kapitän Mats Hummels, Zwayer habe "völlig richtig entschieden", und BVB-Trainer Thomas Tuchel erklärte, es sei "okay, die schnelle Spielfortsetzung zu erlauben", merkte aber an, dass ihm der ganze Nachmittag "ein Tick zu emotional" gewesen sei. Und am emotionalsten von allen agierte Roger Schmidt in seiner Coaching Zone.
Zum Wesen der Spielweise dieses Trainer gehört, dass Klarheit und Vernunft manchmal durch emotionale Extreme, durch Unruhe und eine bewusste Provokation von Zufällen auf dem Rasen ersetzt werden. Das ganze Spiel sei "sehr hektisch gewesen", fand Hummels, "Leverkusen-Spiele sind so. Das wollen sie dem Gegner aufzwingen, sowohl mit den langen Bällen vorne, als auch mit dem Gegenpressing."
Hektik ist demnach ein gewolltes Element. Schmidt hat sich auf diese Spielweise spezialisiert und die dazugehörige Intensität schon oft durch sein Verhalten an der Außenlinie geschürt. An besseren Tagen darf er sich sogar dafür feiern lassen, denn bevor er die Werkself übernahm, spielten die Leverkusener oft langweilig und bieder. Immer wieder wurde dem Klub eine Neigung zur Lethargie und zur Emotionslosigkeit vorgeworfen.
Seit Schmidt da ist, gibt es in Leverkusen mitunter große Abenteuer zu erleben. Vielleicht war es nur eine Frage der Zeit, bis mal eines dieser wilden Spiele aus den Fugen gerät wie nun das Duell gegen den BVB.
Schmidt wird mit einer heftigen Strafe rechnen müssen, zumal er später auch noch den Vorwurf erhob, dass die Schiedsrichter wegen seiner Weigerung, den Innenraum zu verlassen, Bayer 04 einen glasklaren Handelfmeter vorenthielt. "Wenn der Linienrichter diesen Elfmeter nicht pfeift, dann vielleicht auch weil ich eben zu emotional war, und das Schiedsrichtergespann sich vielleicht angegriffen gefühlt hat", sagt er. "Mir fällt kein anderer Grund eine, so einen Elfmeter nicht zu pfeifen."
Das ist ein harter Vorwurf, der vor dem Kontrollausschuss sicher keine strafmildernde Wirkung haben wird.
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Eklat in der Bundesliga-Top-Partie zwischen Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund. Schiedsrichter Felix Zwayer unterbrach die Partie in der zweiten Hälfte.
Der Grund: Leverkusens Spieler und auch Trainer Roger Schmidt hatten sich heftig über eine Szene beschwert, die dem Tor von Pierre-Emerick Aubameyang vorausgegangen war.
Zwayer verwies Schmidt daraufhin des Innenraums, doch dieser weigerte sich, seinen Trainerplatz zu verlassen.
Zwayer reagierte, indem er die Partie unterbrach und selbst das Spielfeld verließ.
Zwayer würdigt Schmidt beim Verlassen des Feldes keines Blickes.
Nach zehn Minuten war Schmidt dann doch aus dem Innenraum verschwunden - und Zwayer pfiff die Partie wieder an.
Das Spiel endete 1:0 für den BVB.
Bayer-Coach Roger Schmidt konnte relativ optimistisch in das Spitzenspiel gegen Dortmund gehen. Vor dem Anpfiff war Leverkusen seit sechs Ligaspielen ungeschlagen, in der heimischen BayArena sogar seit 310 Minuten ohne Gegentor.
Schmidts Pendant auf Dortmunder Seite hatte personell durchgewechselt: Ilkay Gündogan stand krankheitsbedingt nicht zur Verfügung, stattdessen beorderte Thomas Tuchel Rückkehrer Lars Bender, Moritz Leitner und den 17-jährigen Christian Pulisic (zuvor 67 Bundesliga-Minuten) in die Startformation.
Beide Teams verteidigten wie gewohnt sehr hoch. Weil auch gegnerische Umschaltaktionen unterbunden werden konnten, waren Chancen im ersten Durchgang Mangelware. In die Halbzeitpause ging es bei ausgeglichenem Ballbesitz mit einer Bilanz von vier zu vier Torschüssen.
In der zweiten Minute der Nachspielzeit hatte dann plötzlich Pierre-Emerick Aubameyang das Führungstor auf dem Fuß. Von rechts kam der Ball über Matthias Ginter und Pulisic zum BVB-Torjäger, doch der Gabuner vergab relativ freistehend die erste klare Torchance der Partie.
Zur zweiten Hälfte kam dann Marco Reus ins Spiel, der den jungen Pulisic im Angriff ersetzte. Aber auch der deutsche Nationalspieler hatte große Mühe, spielerische Akzente zu setzen.
Auch Henrich Mchitarjan (l.) konnte sich gegen sehr kompakt verteidigende Leverkusener nur selten in Szene setzen. In den 20 Bundesligapartien zuvor war der Armenier noch an 17 Treffern (acht Tore, neun Vorlagen) beteiligt gewesen.
Jonathan Tah (l.) zeigte unter den Augen von Bundestrainer Joachim Löw insgesamt eine exzellente Vorstellung. Mit gutem Stellungsspiel und resoluter Zweikampfführung wusste der 20-jährige Innenverteidiger über weite Phasen zu überzeugen.
Doch in der 64. Minute war auch Tah machtlos: Im Anschluss an einen schnell ausgeführten Freistoß von Ginter spielte Reus einen schönen Steilpass auf den aufgerückten Erik Durm. Der legte ab auf Aubameyang, der den Ball nur noch ins verwaiste Tor schieben musste.
Der Treffer sorgte jedoch für Diskussionen: Bayer-Coach Schmidt war der Meinung, dass der Freistoß im Vorfeld des Treffers zu weit vorne ausgeführt wurde und beschwerte sich nachdrücklich. Schiedsrichter Felix Zwayer unterbrach das Spiel anschließend einige Minuten, weil der aufgebrachte Schmidt sich weigerte, den Innenraum des Stadions zu verlassen.
Anschließend fehlte Bayer das Glück: Erst wurde ihnen ein legitimer Handelfmeter verweigert (71.), nachdem Sokratis den Ball im eigenen Strafraum mit dem ausgestreckten Arm geblockt hatte. Die anschließende Ecke verlängerte Tah auf den zweiten Pfosten, wo Javier Hernández nur knapp zu spät kam. Weil auch Chicharito spät verzieht (92.), bleibt es beim 0:1.
Bernd Leno, Tor: Stand unter besonderer Beobachtung, seinetwegen war Bundes-Torwarttrainer Andreas Köpke angereist. Der sah gleich eine kleine Nachlässigkeit des 23-Jährigen, als er Mkhitaryan anschoss. Nachher klärte er in Manuel-Neuer-Manier 30 Meter vor dem eigenen Tor gegen Aubameyang. Ansonsten außer durch Rückpässe nicht beschäftigt. Erst nach der Pause gefragt und gleich auf der Höhe. Am Gegentor machtlos. Danach im Eins-gegen-eins gegen Reus ganz stark.
Tin Jedvaj, Abwehr (bis 57.): Traute sich mehr zu als Wendell auf der anderen Seite und stand bei eigenem Ballbesitz häufig schon in der gegnerischen Hälfte. Blieb aber ohne die ganz große Offensivaktion. Defensiv ohne echte Probleme. Da er nach seiner langen Verletzungspause noch nicht wieder bei 100 Prozent ist, durfte er nach knapp einer Stunde raus.
Roberto Hilbert, Abwehr (ab 57.): Kam wie zuletzt häufiger in der zweiten Hälfte für Jedvaj. Versuchte, sich in die Offensive einzuschalten und schlug einige Flanken. Im Gedächtnis blieb nicht viel davon.
Jonathan Tah, Abwehr: Stand hinten gewohnt sicher und gewann so ziemlich jeden Zweikampf. Sorgte mit seinem beherzten Eingreifen bei einem der wenigen Dortmunder Konter für den größten Jubel der ereignisarmen ersten Hälfte. Mit dem Ball am Fuß aber nicht immer so souverän. Entweder spielte er zurück auf Leno oder schlug ihn lang nach vorne, wo er direkt bei den Gästen landete. Vorne durch Kopfbälle nach Standards gefährlicher als der komplette Bayer-Sturm zusammen.
Ömer Toprak, Abwehr (bis 46.): Seit Wochen auf Topniveau, auch gegen den BVB immer Herr der Lage ohne auch nur einen Wackler. Wurde allerdings auch nur wenig geprüft, da der BVB den Gastgebern Ball und Spielkontrolle überließ. Den Spielaufbau delegierte er an Nebenmann Jonathan Tah. Sorgte für die einzige Schrecksekunde, als er verletzt liegen blieb und lange draußen behandelt wurde. Kehrte noch mal zurück, blieb zur Pause aber in der Kabine.
Kyriakos Papadopoulos, Abwehr (ab 46.): Kam für den angeschlagenen Toprak und setzte gleich mal ein Zeichen, als er Leitner im Mittelkreis umtrat und dafür Gelb bekam. Nicht so souverän wie Toprak, aber ohne großen Fehler.
Wendell, Abwehr: Wie immer in den vergangenen Wochen, wenn es gegen spielstarke und schnelle Gegner geht, etwas defensiver. Hatte vor der Pause nur einen ordentlichen Flankenlauf. Klärte hinten einmal stark gegen Mkhitaryan, sonst meist unauffällig. Es sei den, er rannte sich fest.
Christoph Kramer, Mittelfeld: War der der Chef auf Leverkusener Seite. Kümmerte sich um zweite Bälle, ging hart in die Zweikämpfe, bot sich seinen Kollegen als Anspielstation an, verteilte Bälle. Ungemein aufmerksam und aktiv. Eines der besten Spiele seit seiner Rückkehr aus Mönchengladbach. Hatte allerdings auch keine Ideen, um die Gäste zu knacken.
Kevin Kampl, Mittelfeld (bis 46.): War gegen seinen Ex-Verein längst nicht so auffällig wie sonst. Lief wie immer fleißig Lücken zu und arbeitete viel für die Nebenleute. Langte auch mal hin, wenn es nicht anders ging und unterband so Konter es BVB. Sah deswegen schon früh die Gelbe Karte. Rückte bei eigenem Ballbesitz auf außen, trat offensiv aber so gut wie gar nicht in Erscheinung, weil die Bälle meist über ihn hinwegsegelten.
André Silva Ramalho, Mittelfeld (ab 46.): Kam für Kampl, orientierte sich aber etwas defensiver. Nach dem Gegentor mehr als Spielgestalter gefragt, zunächst mit einigen Ungenauigkeiten bei langen Bällen, später mit guten Spielverlagerungen und klugen kurzen Pässen.
Karim Bellarabi, Mittelfeld: Von ihm heißt es, er blühe auf, wenn Javier Hernández nicht auf dem Platz ist. Das war er am Donnerstag in Lissabon zu sehen, als er das Tor des Tages beim 1:0-Sieg erzielte. Nun war Hernández wieder da, und Bellarabi tauchte lange Zeit ab. Vor der Pause fiel er nur durch erfolglose Dribblings auf. Nach der Pause direkt mit einer Riesenchance. War fortan im Spiel und legte sich gleich mit Sokratis an. Wechselte danach auch mal die Seiten und stemmte sich am meisten gegen die Niederlage. Kurz vor Schluss mit einem starken Lauf und einer noch besseren Vorlage auf Herndández, doch der verzog.
Admir Mehmedi, Mittelfeld: Spielt zuletzt wieder häufiger von Beginn an. Das Spiel lief aber weitestgehend an ihm vorbei. Bekam kaum Bälle, tat aber auch nicht viel dafür, sie zu bekommen. Fast ohne Aktion.
Javier Hernández, Angriff: Bayers Top-Torjäger hatte zuletzt gefehlt, sein Einsatz war auch gegen Dortmund bis kurz vor Anpfiff fraglich. Wurde dann doch rechtzeitig fit, bekam aber kaum Bälle und hatte entsprechend auch keine gelungene Aktionen. Ließ sich hin und wieder ins Mittelfeld zurückfallen, um sich die Bälle selbst zu holen. Meist blieb es beim Versuch. Erst nach der Pause etwas präsenter und in der Schlussphase mit der Riesenchance.
Stefan Kießling, Angriff: War an Einsatzfreude kaum zu überbieten, doch gelingen wollte ihm nichts. Verlor sämtliche Luftduelle mit Hummels, und weil er sonst keine Anspiele bekam, passierte offensiv nichts. Leistete sich vor dem 0:1 auch noch den entscheidenden Ballverlust und fiel danach fast nur noch durch Fouls auf.
Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit
Anmelden