Peter Ahrens

Bundesliga-Bilanz Die bayerische Queen

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Ein Kommentar von Peter Ahrens
Die Saison ist vorbei, selbstverständlich haben die Bayern den Titel gewonnen, zwei Ur-Vereine müssen dagegen absteigen. Die Erosion der Fußballbundesliga geht rasant weiter.
Die Bayern feiern. Sie haben es in jeder Hinsicht verdient

Die Bayern feiern. Sie haben es in jeder Hinsicht verdient

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Sven Hoppe / dpa

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Manchmal hilft ein Blick zurück. Um zu ahnen, dass mit dieser Fußballbundesliga etwas schiefläuft. Dafür muss man gar nicht weit zurückschauen in die »Früher-war-alles-besser«-Zeiten, nur in das Jahr 2010 und in eine der Fußballromantik äußerst unverdächtige Rangliste: den Report der Football Money League der umsatzstärksten Vereine Europas, den die Wirtschaftsprüfung Deloitte jährlich erstellt.

Vor elf Jahren waren unter den 30 europäischen Topklubs sechs aus der Bundesliga – Bayern München und Borussia Dortmund sowieso, dazu VfB Stuttgart, der Hamburger SV, Schalke 04 und Werder Bremen. Drei davon spielen in der kommenden Saison in der zweiten Liga. Der VfB als vierter Verein ist ihr im Vorjahr glücklich wieder entronnen.

Die Unwuchten im deutschen Fußball haben sich im vergangenen Jahrzehnt nochmals massiv verstärkt, und in der abgelaufenen Bundesligaspielzeit hat sich das so deutlich gezeigt wie selten zuvor. Mit Schalke und Werder verlassen zwei abgetakelte Dickschiffe die Bundesliga, finanziell schwer angeschlagen, sportlich abgewirtschaftet. Somit verlässt auch eine gewaltige Fanbasis die Liga Richtung Unterhaus.

Und bei allem Wohlwollen für die sie ersetzenden Aufsteiger: Der VfL Bochum ist zwar auch ein Ruhrgebietsverein, aber er ist nicht der FC Schalke. Und Greuther Fürth ist auch Grün-Weiß, aber nicht Werder Bremen.

Die Liga driftet immer weiter auseinander

Noch mehr als zuvor wird sich die Liga teilen: in eine Gruppe kleiner Vereine wie Mainz, Freiburg, der 1. FC Union, Arminia Bielefeld mit dem Zuwachs aus Bochum und Fürth auf der einen Seite. Auf der anderen Seite die Großvereine und konzerngetriebenen Klubs, der FC Bayern und der BVB als die beiden, die sich ihren Reichtum irgendwann erarbeitet und erspielt haben und jetzt fast nichts mehr falsch machen können, um ihn nicht jährlich zu mehren. Und in ihrem Gefolge Bayer Leverkusen, der VfL Wolfsburg, RB Leipzig, 1899 Hoffenheim – diese Vereine sind mit Geldgebern groß geworden, die von Geldgebern groß gemacht wurden. Weiter schrumpft der Mittelbau, für den Borussia Mönchengladbach, Eintracht Frankfurt und der VfB Stuttgart stehen.

Durchs Internet geisterte dieser Tage eine Tabelle mit den Klubs, die nach dem Abstieg von Werder und Schalke nun am längsten der Bundesliga ununterbrochen angehören. Bayern, Dortmund, klar. Dann folgen Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim. Man kann sagen, das sind also die neuen Traditionsvereine.

Leipzig und Wolfsburg spielen im kommenden Jahr in der Champions League. Kein Zweifel, dass sie es sich verdient haben, aber auch kein Zweifel, dass sie Möglichkeiten haben, die anderen nicht zur Verfügung stehen. Und genauso wenig Zweifel daran, dass die Einschaltquoten bei den Partien dieser beiden Vereine in der Königsklasse wieder signifikant niedriger ausfallen werden.

Stoff ist noch genug da

Das Produkt Spitzenfußball büßt weiter an Attraktivität ein. Es war nicht leicht in dieser Saison, Fußball ohne Stimmung, ohne Fans, ohne Atmosphäre zu verkaufen, das hat aber noch leidlich geklappt. Der eine oder die andere wird gespürt haben, wie leer sich vieles im Spitzenfußball ohne Fans anfühlt. Aber die Produktion von Geschichten lief dennoch weiter: Die Aufholjagd der Mainzer, der Höllensturz der Schalker, der emotionale Niedergang in Frankfurt und Mönchengladbach nach den vorzeitig angekündigten Abgängen der Trainer, die diametrale Entwicklung der beiden Berliner Klubs – all das hat die Erzählung Bundesliga am Leben gehalten. Stoff ist immer da.

Aber was ist das für eine Erzählung, wenn jeder weiß, wie der Haupterzählstrang ausgeht? Es ist die neunte Meisterschaft des FC Bayern in Folge, die Münchner thronen über dieser Liga, so ewiglich und niemals endend wie die Queen über England. In München können sie Trainer während der Saison auswechseln wie im Vorjahr, oder Erfolgstrainer vergraulen wie in dieser Saison, am Ende der Geschichte ändern sie nichts.

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Momente der Bundesligasaison

Foto: Anke Waelischmiller / imago images/Sven Simon

Die Dominanz der Bayern, sie ist so oft beschrieben worden, schon nach dem vierten, fünften Titelgewinn in Reihe. Mittlerweile hat sie einen kritischen Punkt erreicht. Ebenso illusionslos wie selbstverständlich wird schon am 1. Spieltag den Bayern mehr oder weniger zum Titel gratuliert. Weil man weiß, dass es so kommen muss. Weil die Möglichkeiten des FC Bayern so viel größer sind als die aller anderen. Weil allen, die mitzuhalten versuchen, irgendwann die Puste ausgeht. Weil diejenigen, die sich dabei überschätzen und Fehler machen, so enden wie Schalke und Werder.

Weil die Bayern im Zweifelsfall den Trainer des größten Herausforderers RB Leipzig abwerben können, und der Herausforderer nimmt das achselzuckend hin.

Wie soll man das Dilemma lösen? Oder soll man es einfach hinnehmen?

Eine Selbstbeschränkung des FC Bayern wird es nie geben, und das kann man den Münchnern beim besten Willen nicht übel nehmen. Wahrscheinlich würde der Titelkampf der Fußballbundesliga tatsächlich erst dann wieder aufregend, wenn die Bayern dieser Liga nicht mehr angehören.

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