Bundesliga-Duell bei den Bayern Der Erfolg der Freiburger Nervensägen

Trainer Christian Streich herzt Baptiste Santamaria
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Jedes Bundesligateam hat seine eigene Erzählung. Über den SC Freiburg etwa erzählt man sich, dass die Uhren dort anders ticken. Am Fuße des Schwarzwalds, so die Story, geht es harmonisch zu. Warum sonst hatte zum Beispiel Schalke 04 allein im vergangenen Jahr mehr Trainer als Freiburg in den vergangenen 30 Jahren?
Im vergangenen Herbst schien es um den Sportclub jedoch ungemütlich zu werden. Nach einer 1:3-Niederlage gegen Mainz rutschte Freiburg in den Abstiegskampf, obwohl der Klub mit Ambitionen in die neue Saison gestartet war. Mit Baptiste Santamaria verpflichteten die Freiburger für die Rekordsumme von zehn Millionen Euro einen zentralen Mittelfeldspieler. Um Santamaria sollte sich die Mannschaft fußballerisch weiterentwickeln, so der Plan.
Plötzlich war man aber nur noch Vierzehnter.
Und es kam zu einer Aussprache, es sollen deutliche Worte gefallen sein. »In der Videoanalyse wurde auf den Tisch gehauen«, wie Innenverteidiger Keven Schlotterbeck dem SPIEGEL sagt. Bei der Aussprache habe man alles überdacht, sagt sein Abwehrkollege Philipp Lienhart.
Die beste Bilanz Europas
Diese Aussprache wurde zur Initialzündung eines Laufs. Seit dem Mainz-Spiel ist Freiburg ungeschlagen. Zuletzt haben sie fünfmal in Folge gewonnen, das ist Vereinsrekord.

Die Freiburger Verteidiger Philipp Lienhart (von links) und Keven Schlotterbeck
Foto: Jan Huebner/Meiser / imago images/Jan HuebnerUm das zu verstehen, muss man sich die Veränderungen zu Saisonbeginn anschauen. Mit dem spielstarken Santamaria setzte das Team von Trainer Christian Streich auf längere Ballstafetten und mehr Flachpässe. An den ersten acht Spieltagen erspielten sich die Freiburger durchschnittlich 49 Prozent Ballbesitz. Das überraschte angesichts des Spielplans: Eigentlich waren sie Gegnern wie Leipzig, Leverkusen oder Dortmund individuell klar unterlegen.
Der neue, ballbesitzorientiertere Spielstil der Freiburger fruchtete jedoch nicht. Zu sehr fokussierten sich die Freiburger auf das Passspiel. Defensiv standen sie mit ihrer Viererkette nicht so stabil wie in der Vorsaison, als sie häufig in einer Fünferkette verteidigt hatten. Bei jenem 1:3 gegen Mainz kamen sie zwar auf fast 70 Prozent Ballbesitz und spielten über 400 Pässe mehr als der Gegner. Am Ende aber wurden sie eiskalt ausgekontert. »Wir haben nicht schlecht gespielt, aber konnten keine Punkte holen«, sagt Lienhart heute.
Wieder wie Freiburg spielen
Die Spieler taten danach wieder das, was sie zuvor vermissen ließen: Sie zeigten Emotionen. »Die Message war klar: Wenn wir nicht schleunigst was ändern, kann es in die falsche Richtung gehen. Wir haben uns vorgenommen, die Trainingsintensität und den Druck deutlich zu erhöhen«, sagt Schlotterbeck. Lienhart ergänzt: »Wir wollten wieder wie Freiburg spielen – griffig, aggressiv, unangenehm für den Gegner und mit großer Laufbereitschaft.«
»Wie Freiburg spielen« – was das Team darunter versteht, erklärt Schlotterbeck: »Wir wollen den Gegner so sehr nerven, ihn so auf die Palme bringen, dass man am Ende das eine Tor mehr schießen kann. Nerven ist das perfekte Wort, um unser Spiel zu beschreiben. So kann man Gegner, die individuell besser sind, von ihrem Spiel wegbringen und das entscheidende Duell vorm Tor gewinnen.«
Aus taktischer Sicht war eine Rückkehr zur Fünferkette die offensichtlichste Veränderung. Seit der Mainz-Niederlage spielte der SC Freiburg stets im selben System, einer Mischung aus 5-4-1 und 3-4-3. Das System besticht durch seine Wandelbarkeit: Freiburg kann den Gegner an dessen Strafraum mit drei Stürmern im 3-4-3 stören, sich kurze Zeit später aber auch mit einem ultrakompakten 5-4-1 an den eigenen Strafraum zurückziehen. Lienhart findet: »Die Dreierkette bringt den Vorteil, dass wir die Breite gut abdecken: Hinten ist man ein Mann mehr, und nach vorne hat man über die Außen gute Lösungen.«
Fokus weg vom eigenen Spielaufbau
Seit der Systemumstellung liegt der Fokus nicht mehr so sehr auf dem eigenen Spielaufbau. Seit der Mainz-Niederlage sank der durchschnittliche Ballbesitz der Freiburger auf 45 Prozent, pro Partie spielen sie im Schnitt 50 Pässe weniger. Das überrascht umso mehr, schaut man auf den Spielplan der Freiburger: In den vergangenen sieben Bundesligapartien trafen sie sechsmal auf Gegner aus der unteren Tabellenhälfte.
Selbst gegen individuell schwächere Teams setzt Freiburg auf Konter: Sie laufen den Gegner früh an, wollen Ballgewinne erzwingen. Nach der Balleroberung suchen sie den schnellsten Weg zum gegnerischen Tor. Freiburg spielt vertikaler, schneller, aggressiver – und nervt damit die Gegner.

Durch das neue Spielsystem kann Ermedin Demirovic häufiger jubeln
Foto: Uwe Anspach / dpaFast jeder Freiburger fühlt sich wohler in einem laufintensiven Spielstil, der auf Balleroberungen und Umschaltspiel setzt. Das beginnt bei der Abwehrkette, setzt sich bei den Flügelverteidigern fort und reicht bis zu den Stürmern, die im Spiel gegen den Ball weite Wege zurücklegen müssen. Sommerverpflichtung Ermedin Demirovic etwa trifft erst, seit sein Tempo beim Sprint hinter die Abwehr besser ausgenutzt wird. In den vergangenen drei Partien war er an sechs Treffern beteiligt.
»Selbstvertrauen hochhalten«
Beim Sportclub wissen sie, dass ihr derzeitiges Hoch auch dem Spielplan geschuldet ist. Schlotterbeck: »Klar waren das zuletzt Teams aus dem unteren Drittel, klar hängt das auch mit Glück und Pech zusammen, aber diese Spiele muss man auch erst einmal gewinnen. Wir wollen das Selbstvertrauen hochhalten, das hilft uns bei unserem intensiven Spiel.«
Vor ihrem Spiel gegen Bayern München am Sonntag (15.30 Uhr, Liveticker SPIEGEL.de; TV: Sky) strotzen die Freiburger vor Selbstvertrauen. Schlotterbeck sagt: »Ob es der beste Zeitpunkt ist, um gegen Bayern zu spielen, weiß ich nicht. Aber Bayern ist in einer schwierigen Phase. Vielleicht ist die Möglichkeit dieses Mal da, was zu holen.« Sie wollen es dem Rekordmeister schwer machen. Sie wollen ihn nerven.